Das war dann eher eine lustige Ausnahmesituation. Die meisten Informationen hielten wir allerdings von ihr fern, denn ohne großes Hintergrundwissen hätte Renate sowieso nicht alles verstanden und zum Schluss doch noch Panik bekommen.
Wir anderen, inklusive König Oberon und seine Königin Titania, waren ja auch geschockt über die wahren Gründe dieser Mordserie in Renates Familie.
Die Muse Erato hatte, aus gekränkter Eitelkeit und Eifersucht, diese Morde in Auftrag gegeben und die Serienkillerin war Franca o'r tý Gwyrdd. Sie war keine Geringere als die Großcousine unserer Königin. Das musste erst einmal in unsere Köpfe rein und auch verkraftet werden.
Es wurden umgehend Maßnahmen ergriffen. Franca wurde zur Fahndung ausgesetzt und als vogelfrei erklärt, was so viel hieß wie tot oder lebendig unschädlich machen. Aidan und ich begleiteten Renate zurück ins englische College, wo wir uns als Schüler tarnten um sie zu beschützen. Der König befürchtete nämlich unbedachte Handlungen von Franca, wenn die realisierte dass sie aufgeflogen war. Renates Tante Elisabeth und ihr Onkel Oliver, die in Canterbury lebten, bekamen auch Personenschutz. Die beiden Kampfelben Briha und Mercan waren schon vor Ort als wir in England ankamen. Uns zur Seite gestellt war Cadoc Arawn, der Statthalter Oberons hier auf der Erde. Wir wunderten uns darüber, dass sich der große Heerführer höchstpersönlich an der Jagd auf Franca beteiligte, bis wir leider zu spät erkannten, welch andere Ziele er noch verfolgte.
So richteten wir uns in der Schule ein und warteten auf die Entwicklung der Dinge. Meine Tage als Schüler zu verbringen war schon etwas gewöhnungsbedürftig, aber es war die beste Tarnung um immer in Renates Nähe zu sein, denn es war schließlich meine Aufgabe rund um die Uhr für ihre Sicherheit zu sorgen. Und diese tagtägliche Nähe zu ihr spielte mir gut in die Karten. Irgendwann in der Zeit gestand sie dann mir und sich selbst endlich ein, dass sie durchaus Gefühle für mich hegte, wir wurden tatsächlich ein Paar und ich war der glücklichste Elb auf der Welt. Ihre anfänglichen Bedenken bezüglich unseres Altersunterschieds, immerhin etwas mehr als tausend Jahre, konnte ich ihr schnell ausreden, indem ich sie von meinen Beschützerqualitäten überzeugte.
Gegen Verbindungen zwischen Elb und Mensch gibt es in der Regel nichts einzuwenden. So etwas kam schon öfter vor. Man muss sich als unsterbliches Wesen nur der Tatsache bewusst sein, den Partner irgendwann einmal an den Tod zu verlieren. Doch in jenem Moment war ich glücklich und fing an, doch noch an ein gutes Schicksal zu glauben. Ich machte mir nur manchmal Gedanken, wie unsere Beziehung weitergehen würde, wenn diese Sache ausgestanden war. Im Großen und Ganzen war ich zwar mein eigener Herr und könnte sehr oft auf der Erde verweilen, aber ich hatte auch Verpflichtungen in meiner eigenen Welt. Und was Fernbeziehungen anging, traute ich diesen kurzlebigen Menschen nicht allzu viel Standhaftigkeit zu. Aber ich wollte mal das Beste für uns beide hoffen.
Witzig sind die Menschen ja, aber manchmal schwer zu verstehen für Unsereins. So zum Beispiel belegte Renate mich heimlich mit einem nicht schmeichelhaften Spitznamen. ‚Mein kleiner Depp‘ murmelte sie manchmal. Bis ich herausfand, dass es sich dabei um einen bestimmten Schauspieler handelte, dem ich angeblich ähnlich sehen soll, verging eine Weile. Von der Neugier getrieben, machte ich mir sogar einmal die Mühe und schaute einen Film von diesem Typen an. Danach war ich allerdings schlichtweg entsetzt. Denn von Ähnlichkeit war da überhaupt keine Spur und, bei allen Göttern, hoffentlich benehme ich mich nie auch im Entferntesten so albern wie der Kerl in seiner Rolle.
Alles war gut. Aidan meinte zwar, ich wäre ganz schön bescheuert wenn ich eine Beziehung mit einem Menschen anfing und sollte bloß aufpassen dass ich keine Halblinge in die Welt setzte. Aber so weit kam es noch, dass ich mir Beziehungstipps von jemandem geben ließ, der seit Jahrhunderten selber nicht mit seiner Freundin klar kam. Er hatte schon seit ewigen Zeiten eine Liebesgeschichte mit Briha o'r tý Cleddyf Beiddgar, die nicht immer reibungslos funktionierte. Aber er war mehr als begeistert, dass sie ausgerechnet hier in der Nähe stationiert war und versuchte immer wieder sein Glück bei ihr. Der Thronprinz Amnon bemühte sich derweil sehr intensiv um Guendalina Arawn, der er schon in Florenz verfallen war. Ausgerechnet die Tochter von Cadoc, aber für ihren Vater konnte dieses Mädchen ja nichts. Zuerst sträubte sie sich, aber mit der Zeit ließ sie sich erweichen und wenn nicht alle Zeichen trogen, stand bald eine Verlobung an.
So plätscherte ein halbes Jahr dahin und wir ergaben uns bald dem Alltagstrott. Aidan und ich absolvierten täglich unsere Übungskämpfe, um in Form zu bleiben. Ich versuchte außerdem Renate in Selbstverteidigung fit zu machen, falls sie einmal einer Bedrohung allein gegenüberstehen sollte. Die Sache erwies sich allerdings als schwieriges Unterfangen, denn sie hatte nicht die Kraft um irgendjemanden umzuhauen und vor Messern hatte sie eine höllische Angst. Aber ich war mir ziemlich sicher, immer in ihrer Nähe zu sein um sie zu beschützen. Deshalb sah ich ihre Talentfreiheit als nicht so tragisch an.
Von unserem großen Heerführer Cadoc bekamen wir in dieser Zeit wenig zu sehen. Er hatte sich sehr zum Leidwesen der Rektorin im Gästehaus der Schule einquartiert und sie war der unumstößlichen Meinung, dass Cadocs Anwesenheit nur Ärger bringen könne. Da spräche sie aus Erfahrung.
Wie immer ihre Erfahrungen aussahen weiß ich nicht, jedenfalls machte sich Cadoc ziemlich rar und wir wurden nicht in alle Einzelheiten einbezogen, was uns dann doch stutzig werden ließ. Als er heimlich immer mehr seiner Männer hier in der Nähe stationierte ohne uns seine Absichten zu erklären, holte Amnon seinerseits seine restliche Leibgarde von der Insel Martana und brachte sie in Canterbury unter. Sicher war sicher.
Wir beobachteten Cadocs Aktivitäten weiterhin und ließen ihn sogar von seiner Tochter Guendalina ausspionieren. Nur, etwas Konkretes konnten wir nicht herausbekommen.
Zwar gab es Gerüchte, dass Yolander Tywysog un Wlad, der Neffe unseres Königs, in Canterbury gesichtet wurde und das ließ uns aufhorchen.
Yolanders Vater war der Bruder von Oberon, er fiel vor langer Zeit in einer großen Schlacht und wird seitdem bei den Elben als Held verehrt. Deshalb ist dieser Familienzweig des Königshauses schon seit geraumer Zeit der Meinung, dass die Krone durchaus auch ihnen gebühre. Es gab in der Vergangenheit sogar einige unschöne Auseinandersetzungen deswegen. Yolanders Auftauchen ließ die ganze Sache auf jeden Fall noch einmal in einem anderen Licht erscheinen, denn wo er mit seinen Anhängern auftauchte war der Ärger nicht weit entfernt.
Aber außer dem einen Sichtkontakt konnte man ihn oder seine Leute nicht mehr ausmachen. Es blieb ruhig und als weiter nichts geschah, waren wir nicht mehr sicher ob wir einem Irrtum erlegen waren. Die Wochen zogen sich so dahin und wir ließen uns von einer gewissen Monotonie einlullen.
Und tatsächlich ahnten wir nichts Schlimmes, als wir uns kurz vor Weihnachten auf den Weg nach Canterbury machten.
Renate wollte ihre hochschwangere Tante besuchen und wir anderen hatten uns bei Briha und Mercan verabredet um die Feierlichkeiten zum Julfest zu besprechen. Zwar konnten wir dieses Jahr nicht so ausschweifend feiern wie es sich gehörte, weil wir ja wachsam sein mussten, aber so ganz ohne irgendwas wollten wir das Julfest nicht vorüberziehen lassen. Nur, eben nicht zwölf Nächte lang durchzechen, wie sonst üblich.
In Canterbury kam es dann zu einer Auseinandersetzung, die wir uns so nie ausgemalt hätten.
Wir liefen in eine Falle.
Vor dem Haus der Familie Bennet verabschiedete ich mich von Renate mit einem Kuss, was für ein gewisses Gejohle bei meinen Freunden sorgte. Und wenn ich geahnt hätte, dass das unser letzter Kuss war, wäre er auch deutlich länger ausgefallen. Aber in dem Moment war es Renate eher peinlich im Mittelpunkt der Sticheleien zu stehen und sie beeilte sich deshalb schnell ins Haus zu kommen.
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