„Wieso denn das?“, will ich wissen.
„Man munkelt, du hast Beliar abgeschossen. Er hätte dir sogar einen Heiratsantrag gemacht, den du abgelehnt hast“, informiert mich Artis. Woher wissen sie das?
„Ich habe niemandem davon erzählt, wie kann es da schon Gerüchte geben?“, will ich halbherzig wissen.
„Also ist es wahr“, stößt Artis aufgebracht aus. „Du hast tatsächlich den Antrag des mächtigsten, weißen Hexers abgelehnt.“ Auf den Schreck hin muss er sich erstmal setzen.
Ich kuschle mich fest an ihn, weil ich ihn so vermisst habe. Dabei entblöße ich wohl mehr, als sich ziemt, denn Artis rückt räuspernd das Jackett zurecht. Ich kichere sogar, weil das so amüsant ist, wie er auf mein Outfit reagiert. Scheiße, hab ich echt gerade gekichert?
„Das waren sicher diese verdammten Whisperer “, mutmaßt Junus haareraufend.
„Was soll das sein?“, frage ich grinsend, während ich mit Artis‘ Haaren spiele.
„Die sind wie Paparazzi, nur eben magisch“, klärt mich Junus auf.
„Du willst mich verarschen“, pruste ich ungehalten.
„Keineswegs“, verlautbart Junus.
Artis ist immer noch vollkommen fertig. „Wieso hast du überhaupt ‚Nein‘ gesagt? Ich dachte, du liebst Beliar.“ Mann , hak es ab. „Hast du dir das nicht die ganze Zeit über gewünscht?“, fragt er etwas versöhnlicher, während er mir über die Wange streicht.
Junus stößt einen belustigten Laut aus und verkündet: „Ich habe ihm geraten, Raven seine Liebe zu gestehen, nicht, dass er ihr gleich einen Antrag macht. Sie ist sechzehn. Man heiratet hier nicht so früh. Wahrscheinlich hat er sich auch angestellt wie ein Tölpel. Immerhin hat er Raven damit sicher vollkommen überrumpelt. Da hätte ich auch ‚Nein‘ gesagt.“
Artis‘ Zornesfalte tritt hervor. „Die Whisperer sind Beliar wahrscheinlich gefolgt, als er hier aufgetaucht ist oder sie beschatten Raven bereits seit geraumer Zeit. Bald weiß es jeder. So etwas ist mehr als ein Schlag ins Gesicht für einen Mann, der im Mittelalter lebt. Er wird zum absoluten Gespött in seinem Zirkel werden“, wirft ihm Artis vor.
„Auf welcher Seite stehst du eigentlich? Immerhin geht’s hier um unsere Schwester. Sie hatte sicher ihre Gründe. Noch dazu hat er sie sitzengelassen, als sie aus dem Koma erwacht ist“, kontert Junus. Naja, daran war ich nicht ganz unschuldig, immerhin war ich es, die ihn fortgeschickt hat.
„Er hat die Herrschaft über den Zirkel für sie aufgegeben. Wenn das kein Liebesbeweis ist, weiß ich auch nicht mehr“, funkelt Artis zornig. Ich seh nur von einem zum anderen Bruder, fasziniert davon, wie lange sie noch so tun wollen, als wär ich nicht anwesend.
„Was weißt du schon von Liebesbeweisen“, erklärt Junus hochnäsig.
Artis zieht krampfhaft die Luft ein und sieht total verletzt aus. Junus realisiert gerade, was er im Streit gesagt hat.
Wieso hab ich eigentlich immer das Gefühl, alle auseinanderzubringen? Dabei tu ich doch gar nichts.
Das zieht mich gerade dermaßen runter – dieses Unruhegefühl baut sich erneut in mir auf. Die Wirkung der Substanz scheint auch schon wieder nachzulassen, aber ich schaffe es noch, das warme Gefühl in mir zu konzentrieren, schnappe Junus‘ Hand und ziehe ihn neben mir auf die Couch. Nun nehme ich meine Brüder in den Schwitzkasten und presse sie fest an mich.
„Was soll das werden?“, protestiert Junus.
„Gruppenkuscheln. Ihr sollt euch liebhaben, nicht streiten“, soll sie in die richtige Stimmung bringen.
„Du solltest dir lieber etwas anziehen“, tadelt mich Artis, der erneut versucht, mit Stoff gegen meine nackte Haut anzukämpfen und zu retten, was noch zu retten ist.
Plötzlich hämmert jemand wild an meine Wohnungstür und brüllt: „Mach die Tür auf Miststück oder ich trete sie ein.“ Ups. Das ist Henry.
„Wer ist das?“, will Junus aufgebracht wissen.
„Ähm, der Typ, der zu dem Jackett gehört?“, gestehe ich grinsend.
Plötzlich schwingt die Tür mit einem Knall auf. Hey, ich dachte, meine Schutzkräuter würden die Harmonie drinnen und Hexer draußen halten – stand zumindest auf der Packung.
Ein fuchsteufelswilder Henry stapft zur Tür rein, die er hinter sich zuwirft. Erst jetzt scheint er meine ebenso wütenden Brüder zu bemerken, die alarmiert aufgesprungen sind und schaltet einen Gang runter.
Artis knurrt verächtlich. „Hast du gerade meine Schwester ein Miststück genannt und ihre Tür eingetreten?“ Seine Stimme ist ruhig – schlechtes Zeichen.
Henry schluckt laut, hebt die Arme beschwichtigend in die Höhe und erklärt: „Hey, Mann. Die hats faustdick hinter den Ohren. Außerdem hat sie mein Auto geklaut.“ Beide meiner Brüder blicken gleichzeitig auf mich und fordern mimisch eine Erklärung von mir.
„Die Schlüssel sind im Briefkasten deines Großvaters“, informiere ich ihn.
„Hast du meine Schwester angefasst?“, schaltet sich Junus ein, dem gleich Dampf aus den Ohren schießt, so rot ist sein Schädel.
„Nein, Mann. Ich schwörs. Zuerst hat sie mich aufgegeilt und dann herumgezickt, als ich sie flachlegen wollte“, beschwichtigt Henry.
„Falsche Antwort, Arschloch “, raunt Junus und will auf Henry losgehen, der einen Feuerball in seiner Hand erzeugt. Ich stelle mich zwischen sie und verlange: „Hört auf. Ich kann selbst auf mich aufpassen.“ Ich spüre förmlich die Aggressionen, die von Junus ausgehen. Sie prickeln über meine Haut wie elektrische Schläge.
„Du hast zwei Sekunden, um zu verschwinden, bevor ich dich windelweich prügle. Und wenn du meiner Schwester nochmal zu nahe kommst, lernst du mich kennen“, droht ihm Artis.
„Sie hat noch etwas, das mir gehört“, verlangt Henry mit ausgestreckter Hand. Es geht ihm nicht um seine Jacke, er will seine Drogen zurück. Tja, da wird er sein blaues Wunder erleben.
Ich lächle, knöpfe das Teil auf und lasse es mir über die Schultern rutschen. Henry hat gerade Stielaugen bekommen und den Kiefer runtergeklappt.
Und nicht nur ihm ergeht es so. Meine Brüder haben denselben Gesichtsausdruck drauf. Wie gebannt starren sie auf meine nackte Haut – besser gesagt meine Tattoos. Tja, ich hatte in den letzten vier Monaten eine leichte Identitätskrise, muss ich an dieser Stelle zugeben. Da sind noch ein paar Symbole dazugekommen. Dunkle Symbole, wohlgemerkt – passend zu meiner Stimmung – also bevor ich pure Sonne in Form der Götterspeise getankt habe.
Als ich Henry sein Jackett zuwerfe, blinzelt er zum ersten Mal wieder, doch da hab ich mich schon wieder umgedreht und mache mich daran, Kaffee aufzusetzen. Ich kann nur noch hören, wie die Tür ins Schloss fällt und meine Brüder krampfhaft Luft ausstoßen.
„Raven, du machst mir Angst“, gibt Junus zu.
„Du hast mich doch schon so oft nackt gesehen. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir monatelang ein Bett geteilt – ebenfalls nackt“, werfe ich ein.
„Wer hat dir das tätowiert?“, will er wissen.
„Galahad“, stoße ich selbstverständlich aus. Ich habe ihn ein paar Mal hier in Chicago getroffen.
„Ich bring ihn um“, raunt Junus ärgerlich. Ich drehe mich lächelnd um und summe vor mich hin, während ich den Tisch für ein Frühstück decke.
Artis krächzt alarmiert. „Wo sind deine Haare?“ Sag bloß, ihm ist mein Kurzhaarschnitt erst jetzt aufgefallen. Sein geschockter Blick auf meine privateste Stelle erklärt dann, welche Haare er meint.
„Einem Brazilian Waxing zum Opfer gefallen“, antworte ich.
„Du bist sechzehn“, tadelt mich Junus.
„Wusste nicht, dass man dafür einundzwanzig sein muss. Das hat mir Bob vom Schönheitssalon um die Ecke wohl verschwiegen“, verarsche ich sie. Junus hab ich gleich so weit, dass er an die Decke geht, bei Artis dauerts noch ein bisschen.
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