„Ich sagte ja, es besteht überhaupt keine Gefahr. Das Gelände wird sicher gegenüber den Nachbarn eingefriedet. Außerdem bin ich immer vor Ort und achte darauf, dass nichts Unbeabsichtigtes passiert. Darüber hinaus werde ich vielleicht sogar ein guter Kunde der Schäfer. Schließlich brauchen die Wölfe ihr Fressen und das werde ich bei den Schäfern direkt oder auf den Schafsmärkten der Gegend einzukaufen versuchen. Also hoffe ich doch, dass sie sich nicht allzu abweisend verhalten.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, blieb der Wirt eher skeptisch.
„Aber dann ist doch mal endlich was los im Dorf“, witzelte Jim Gallagher, um der Diskussion die Skepsis zu nehmen und das Misstrauen zu beseitigen. „Und in der Presse wird sicherlich häufiger von dem Wolfsprojekt berichtet werden. Eine positive und interessante Presse kann dem Ort und dem hiesigen Gewerbe, einschließlich ihrer Gaststätte, doch nur gut tun.“
„Oh sagen Sie nicht, dass hier nie etwas los ist. Vor einigen Jahren beispielsweise ging eine grausige Geschichte durch die Medien, die sich hier zugetragen hat. Kennen Sie die schmale Nebenstrecke nach Glenties? Das ist der kleine Wirtschaftsweg hinter der Brücke, der sich am Gweebarra-River entlang durch die Berge und einsamen Moorgebiete zieht. Jeder hier kennt den schmalen Pfad als The Lane . An diesem Weg stehen nur wenige Häuser, auf den zehn Meilen vielleicht zwei oder drei. Eines der Cottages liegt rechterhand in einer kleinen Senke nahe dem Weg etwa sechs oder sieben Meilen von hier entfernt in einer scharfen Rechtskurve. Es gibt nur zwei Häuser, die an der rechten Wegseite liegen, ist also gar nicht zu verfehlen. In diesem Cottage wohnte bis vor einigen Jahren ein gewisser Mr. Robinson. Der verhielt sich nach Meinung aller Einwohner hier in Doochary immer schon etwas seltsam. Meistens machte das Cottage einen einsamen und verlassenen Eindruck. Aber ab und an bekam der ein oder andere von uns diesen Mr. Robinson doch zu Gesicht. Gegrüßt hat er dann immer recht freundlich, verhielt sich allerdings immer ein wenig reserviert gegenüber den Vorbeifahrenden. Und das hatte, wie sich wenig später herausstellte, auch seine Gründe. Er wurde nämlich eines Tages erschossen, mitten in seinem Cottage aufgefunden. Dieser Mord ist nie richtig aufgeklärt worden. Gerüchten zufolge soll Mr. Robinson sein Leben lang für die IRA, die Irisch-Republikanische-Armee, gearbeitet haben. Die Grenze zu Nordirland ist ja von hier nicht weit. Und dann soll er eines Tages aus Geldnot auch für die englische Gegenseite angeworben worden war. Danach wurde unser Mr. Robinson natürlich von den Häschern der IRA, also seinen alten Kameraden und Mitkämpfern für die Freiheit und Wiedervereinigung Irlands, überall gesucht. Zeitungsberichten zufolge waren diese Späher als Jogger getarnt wochen- und monatelang unterwegs gewesen auf der Suche nach dem Verräter. Bis die IRA-Guys ihn dann hier in den Highlands von Donegal aufgespürt haben.“
„Und dieser Mr. Robinson ist erschossen worden, nachdem die alten Kameraden ihn gefunden hatten?“, wollte Conor gespannt wissen.
„Ja, dem Gerede nach schossen ihm seine Kampfgefährten zunächst die rechte Hand ab, mit der er den Verräter-Kontrakt mit den verhassten Engländern unterschrieben hatte. Danach schossen sie ihm in den Kopf, right between the eyes sozusagen, so dass sich die Überreste seines Gehirns und Teile seines Gesichtes im gesamten Cottage verteilten. Das Cottage ist daraufhin von der Police-Garda versiegelt und alle Fenster verriegelt worden. Bis heute steht es leer und unbewohnt da, gewissermaßen als steinernes Zeugnis für die Konsequenzen aus Falschspiel und Verrat. Andere sagen, das Opfer habe nur im Reflex die Hand schützend vor sein Gesicht gehalten, als seine Killer ihn in den Kopf schossen. Wie dem auch sei, die Geschichte zeigt mir auf jeden Fall, für zwei Seiten zu arbeiten kann gefährlich sein, in manchen Jobs sogar lebensgefährlich. Bei der IRA gibt es sehr schnell eine Kugel für einen Judaskuss. Also sagen Sie nicht, hier passiert nichts“, plauderte der Wirt und versuchte alle Spannung und Leidenschaft in seine Erzählung zu legen.
„Das hört sich ja an wie ein kriminalistischer Bestseller. Und die Täter wurden nie gefasst?“
„Nein, bis heute nicht. Und wissen Sie was, manche behaupten, man wolle sie auch gar nicht fassen. Und nun kommen Sie noch mit Ihren Wölfen.“
„Solche Schlagzeilen werden wir hoffentlich nie schreiben, aber dessen bin ich mir absolut sicher“, erwiderte Conor.
Inzwischen lauschten die anderen Gäste, bis auf unseren angetrunkenen Freund, der seine eigenen Wortbeiträge immer noch am wichtigsten fand, interessiert dem Gespräch des Wirtes mit den beiden Fremden. Conor und Jim waren sich einig, dass ihr Wolfsprojekt spätestens am Abend in Doochary in aller Munde sein würde.
„Hoffentlich behalten Sie recht mit Ihrer Prognose. Ansonsten werden die Schafzüchter wünschen, dass Sie von den Midges aufgefressen werden, die Ihnen da oben zu Hauff das Leben schwer machen werden. Und keiner würde Ihnen eine Träne nachweinen“, meinte einer der Gäste.
„Von den Midges habe ich schon mal gehört. Sind die wirklich so schlimm wie man erzählt?“, wollte Conor wissen.
„Die sind noch schlimmer. Warten Sie mal den Sommer ab. Je nach Wetterlage schwirren hier Milliarden von den Viechern herum. Und machen kann man nichts dagegen. Viele haben schon alle möglichen Cremes und Lotions in allen Geruchsvarianten probiert. Die helfen aber genauso wenig wie Duftsprays. Das Einzige was die Quälgeister fernhält ist der Wind. Bei ausreichendem Wind bleiben sie am Boden und verkriechen sich in den lockeren Torfböden. Aber sobald der Wind nachlässt, ist sie wieder da, die Irish Airforce “, lachte ein weiterer Gast.
„Fragen Sie doch mal die Ranger im Park. Die habe ich schon häufiger mit Masken aus leichtem Gitterstoff gesehen, die die Stechmücken zumindest aus dem Gesicht fernhalten sollen. Ansonsten könnten die Ranger und Gärtner im Sommer überhaupt nicht im Park arbeiten. Im Winter verkriechen sich die Plagegeister dann wieder in der Erde und rüsten sich da für das nächste Jahr. Ich glaube, wir brauchen mal einen typisch russischen Winter mit Temperaturen bis dreißig Grad minus, das würden die Quälgeister bestimmt nicht überleben und wir wären sie ein für allemal los“, wusste ein weiterer Gast hinzuzufügen.
Und sein Nachbar ergänzte:
„Oben in der Nähe von Portnoo und Narin betreibt ein Mann einen Pitch `n Putt . Der hat auf seinem Golfplatz in Abständen von jeweils circa fünfhundert Metern Midges -Maschinen aufgestellt. Das sind Gasflaschen mit aufgesetzten Fangnetzen, aus denen permanent ein Gas ausströmt, das dem menschlichen Atem gleicht. Darauf stehen die Stechviecher und werden so zu Millionen in den Netzen gefangen. Aber wahrscheinlich werden in der gleichen Zeit doppelt so viele geboren. Nur vom Prinzip her funktioniert die Methode.“
„Dann brauchen wir doch nur ganz Irland mit diesen Midges -Maschinen auszustatten, und das Problem wäre erledigt“, glaubte nun auch der dritte Gast etwas zu dem Thema beitragen zu müssen.
„Was aber die Ansiedlung der Wölfe angeht, das war ja vorhin nicht zu überhören, wenn ich die Verantwortung tragen müsste, da wäre ich meines Lebens nicht mehr sicher. Die Farmer machen schon Ärger genug wegen der Adler im Park. Diese Greifvögel haben auch schon ein paar Schafe gerissen, zumindest behaupten die Farmer das. Wenn jetzt noch Wölfe dazu kommen sollen, dann gute Nacht. Da werden die Schäfer eher zu wilden Tieren als die jungen Wölfe.“
„Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Sicherheit steht bei uns an oberster Stelle, das könnt ihr uns glauben. Wir wollen ein friedliches Nebeneinander mit den Nachbarn erreichen und keine Konfrontation“, versuchte Conor nochmals zu beruhigen.
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