„Ich merke, auch Sie sind ganz begeistert von der Bahn“, sagte Conor zu ihm.
„Kein Wunder, ich gehöre zu den Männern, die sie restauriert haben. Jede freie Minute haben wir geopfert, wobei geopfert das falsche Wort ist, investiert ist passender ausgedrückt. Viele Freunde haben ihr Herzblut an dieser Lok verloren und es macht immer wieder Spaß zu sehen, wie sie sich mit den begeisterten Besuchern in Bewegung setzt.“
Conor und Jim beobachteten das Treiben rund um die Lok und wie einer nach dem anderen Gast einstieg.
Direkt hinter dem See erhob sich die schroffe Gebirgskette mit den hoch aufragenden Bergen Scraigs, Min und Aghia, die sich im kristallklaren Wasser widerspiegelten, womit sich die imposante Bergwelt für den Betrachter duplizierte, so wie es bei einem Foto das Positiv und das Negativ gibt, hingegen hier in tausend leuchtenden Grün- und Brauntönen, deren Intensität nicht mehr zu übertreffen war.
Zurück im Pub überraschte Jim Gallagher Conor mit einer unerwarteten Feststellung:
„Übrigens, da haben dir deine Eltern mit Conor ja genau den passenden Namen gegeben. Oder war das alles schon bei der Geburt so geplant?“
„Wie meinst du das mit dem passenden Namen, Jim?“
„Für mich gilt immer noch das alte Sprichwort: Nomen est Omen. Und deshalb recherchiere ich im Vorfeld einer ersten Begegnung mit einem neuen Geschäftspartner über dessen Namen, wobei sich die Recherche in der Regel auf den Vornamen beschränkt. Na ja, und über den Namen Conor habe ich erfahren, dass er aus dem Altirischen stammt. Im keltischen Sprachschatz hieß Conor Conchobhar . Dabei steht das Con für Wolf oder Wolfshund und chobhar für Hilfe. Also würde ich die Bedeutung von Conor aus dem keltischen Ursprung als Helfender Wolf auslegen. Ich habe aber auch noch eine weitere Interpretation gefunden: Der Wolf mit dem starken Willen. Wie dem auch sei, die Verbindung mit Wölfen scheint dir mit deiner Namensgebung ja doch schon bei der Geburt vorausbestimmt gewesen zu sein. Ich sag` s ja: Nomen est Omen.“
„Das ist ja äußerst interessant und war mir vollkommen unbekannt. Ich gebe zu, ich habe mir bisher auch keinerlei Gedanken über die Bedeutung meines Vornamens gemacht. Aber ab jetzt werde ich es nicht mehr vergessen.“
„Schreibst du deinen Vornamen Conor eigentlich mit einem oder zwei `n`?“
„Mit einem `n`, also Conor.“
„ Ich frage nur deshalb, die Engländer schreiben den Namen mit Doppel-N, also Connor. Aber die Engländer waren ja schon immer großzügiger mit allem, was kein Geld kostet. Oder soll man gar verschwenderischer als ihre Nachbarn sagen, selbst wenn es nur um so banale Dinge wie die Verwendung von Buchstaben geht. Dass der Big Ben in London zur Mittagszeit zwölf Mal läutet, ist ja wohl klar. Aber wusstest Du, dass die Schotten auf Edinburgh Castle zur gleichen Zeit nur einen Schuss aus ihrer alten Kanone abfeuern? Sie behaupten, das sei vollkommen ausreichend. Jeder in der Stadt wisse doch dann, dass es Mittagszeit sei. Demnach wäre jeder weitere Schuss nach ihrer Auffassung reine Verschwendung von Zeit- und Pulverressourcen. Oder kommt da doch der berüchtigte Geiz der Schotten durch? Schottland beschränkt sich in seinem Wappen ja auch auf nur einen Löwen, bei den Engländern, wen wundert` s, müssen es wiederum deren drei sein. Da steckt doch System dahinter, oder was meinst Du?“
„Ich weiß nicht, da habe ich mir absolut noch keine Gedanken zu gemacht.“
„Sorry, Conor, ich war einfach nur etwas von unserem Thema abgedriftet. Aber die Namensdeutung ist mein kleines Steckenpferd und dann geht es schon mal mit mir durch“, entschuldigte sich Jim.
„Nein, nein, das geht mir genauso, wenn man auf Musik zu sprechen kommt, dann bin ich nicht mehr zu bremsen. Das mit der Bedeutung meines Namens fand ich äußerst interessant. Damit habe ich mich bisher nie beschäftigt, obwohl man seit vielen Jahren von allen Menschen so gerufen wird. Ist schon merkwürdig, dass man seinen Namen so als gegeben hinnimmt und sich wenig oder keine Gedanken über seine Herkunft und seine Bedeutung macht. Aber ich werde in Zukunft mehr als bisher darauf achten, ob die Namen der Menschen auch Zeichen sind.“
Nach zwei Pints Guinness verließen sie das Pub und fuhren den direkten Weg nach Glenties. Die Heritage-Lok ratterte immer noch lautstark über ihre alten Schienen am Lough Finn entlang, während der See ihr weiterhin den eitlen Spiegel vorhielt. Sie blies ihren Dunst, der nun wie Rauchzeichen am Himmel aussah, weit sichtbar in die langsam dämmernde Abendluft von Fintown. Bald würde sich der Dampf mit den tief hängenden Wolken vereinigen und zu einer weiß-grauen Masse verschmelzen.
Da es schon spät geworden war, aßen die beiden Männer in Glenties auf die Schnelle jeweils eine Portion Fish and Chips in Jim`s Restaurant , einem Fastfood Laden an der Main Street.
Im Rosewood-B&B angekommen, wurden sie bereits von Jane mit einer Tasse frisch aufgebrühten Tee empfangen, den sich die beiden gemeinsam mit der Hausbesitzerin genüsslich gönnten. Erst als sie jetzt nach und nach zur Ruhe kamen, merkten sie, wie erschöpft sie doch waren. Gleichzeitig überkam sie aber auch ein seltsames Glücksgefühl ob der Ergebnisse und Erfolge dieses langen Tages.
„Ich denke, dass wir unsere Todo-Liste nicht mehr heute Abend, sondern morgen nach dem Frühstück zusammen stellen“, schlug Jim Gallagher vor. „Heute würden wir nur noch unzureichend die kommenden Aufgaben und Kontaktadressen erstellen können. Zumindest gilt das für mich.“
„Einverstanden, der Tag hat doch ganz schön geschlaucht. Konzentrieren mag ich mich auch nicht mehr.“
Und so verplauderten sie den Abend mit belanglosen Dingen und gingen früh ins Bett.
Nach dem opulenten Frühstück am nächsten Morgen waren sie wieder voller Tatendrang und erstellten eine Liste von Aufgaben, die nun zu erledigen waren. Jane Finnegan gab ihren Input in Form von Handwerkeradressen.
Zunächst wollten sie für Conor einen passenden Wagen anschaffen. Es sollte schon ein vierradgetriebener Geländewagen sein, am besten ein Landrover Defender, den hielten sie nach den Eindrücken des vorangegangenen Tages für am besten geeignet.
Also besorgten sie sich im Kiosk neben Moods-Cafe zunächst zwei Zeitschriften, einmal die neueste Ausgabe The Dealer , einer Zeitschrift in der Anbieter aus der Region kostenlos ihre Angebote inserieren konnten und den Auto Trader , eine spezielle Zeitschrift für Autoangebote in der Republik Irland und Nordirland.
Leider gab es in Glenties kein Internet Cafe um dort nach einem Defender recherchieren zu können. Aber die Kiosk-Verkäuferin erzählte ihnen, dass es in Dungloe in der alten Kirche ein Internet-Cafe gäbe.
Sie setzten sich mit den Zeitschriften an einen Tisch in Moods-Cafe , bestellten sich je einen Capuccino und blätterten gezielt in der Rubrik Four Wheel Drive . Um das Budget nicht überzustrapazieren, hatte Jim zehntausend Euro als Obergrenze vorgegeben, mehr sollte und durfte der Geländewagen keinesfalls kosten. Aber nach kurzem Studium der Angebote war ihnen klar, dass sie dafür in jedem Fall einen passenden Wagen jüngeren Baujahrs, in einem guten Zustand und mit NCT, also mit gültigem TÜV finden würden. Beide markierten die infrage kommenden Angebote mit einem Stift und tauschten danach zur Gegenprobe die Zeitschriften gegeneinander aus.
„Ist dir aufgefallen, Conor, dass die kommerziellen Fahrzeuge in Nordirland durchweg günstiger zu haben sind als hier bei uns?“, stellte Jím fest.
„Das ist mir auch aufgefallen. Aber weißt Du, was da an Steuern auf uns zukäme und wie das mit dem TÜV ist?“
„Nein, wir werden auch hier einen Defender finden. Mir war das nur aufgefallen. Ich habe zwei interessante Angebote gekennzeichnet. Um sicher zu gehen, sollten wir aber dennoch im Internet nachsehen, wie die Defender im Allgemeinen gehandelt werden“, schlug Jim vor.
Читать дальше