1 ...8 9 10 12 13 14 ...49 Doch das störte Conor nicht im Geringsten. Bei ihm überwog die euphorische Aufbruchstimmung in ein neues Lebenskapitel. Da machten ihm die Einschnitte in die bisher gewohnte Lebensqualität überhaupt nichts aus. Ganz im Gegenteil, er genoss die Tage und vor allem Nächte seiner erstmals gefühlten Freiheit in vollen Zügen. Schließlich hatte die Connemara einem jungen Mann und seinen Bedürfnissen nicht viel zu bieten gehabt. Und hier in Dublin pulsierte das Leben in einem Überschwang, wie Conor es sich nicht in den kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Doch er war bodenständig genug erzogen worden, nicht den Gefahren der plötzlich gewonnen Freiheit zu erliegen. Bei allem was er tat, stand doch stets das Wichtigste im Vordergrund, das Studium. Und darauf verwendete er seine ganze Kraft. Er behielt immer im Hinterkopf, wie groß die Entbehrungen seiner Familie waren, ihm diesen Schritt erlaubt zu haben. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte er mit dieser Möglichkeit gerechnet. Und eines hatte er sich geschworen: Er würde seine Familie nicht enttäuschen.
Während seines Studiums musizierte Conor mit zwei oder drei Studienkollegen in den unterschiedlichsten Pubs von Dublin. Dabei kristallisierten sich drei bis vier Pubs heraus, in denen sie regelmäßig auftreten konnten. Meistens waren sie in einem etwas größeren Pub namens Rosie òGrady . Hier war täglich reger Publikumsverkehr, der bereits nach Dienstschluss der meisten Behörden und Banken einsetzte und bis in den späten Abendstunden auch kaum nachließ. Auf diese Weise konnte Conor einen planbaren Nebenverdienst erwirtschaften, der nicht unwesentlich zur Finanzierung seines Studiums beitrug. Natürlich konnte er nicht vollends auf die Unterstützung durch seine Familie verzichten. Ein Großteil der Ersparnisse seines Vaters musste geopfert werden, damit sein Studium finanziert werden konnte. Aber durch seine Nebenjobs hielt sich Angus` Anteil noch in erträglichen Grenzen. Auch hatte Conor sich fest vorgenommen, seiner Familie irgendwann ihre gesamten Aufwendungen zurück zu zahlen.
Vor allem die horrenden Mietkosten trugen dazu bei, dass Conor jeden Cent dreimal umdrehen musste. Das lehrte ihn früh, mit dem zur Verfügung stehenden Budget vorsichtig und vor allem vorausschauend hauszuhalten. Diese Erfahrungen prägten ihn für den Rest seines Lebens.
Das Studium selbst fiel ihm leicht, da es genau sein Interessengebiet traf. Er genoss jeden Tag im Hörsaal und sog die Vorträge seiner Professoren geradezu in sich hinein wie ein Junky seine Joints. Das tagsüber gelernte Wissen vervollständigte er noch durch ein Selbststudium in der universitätseigenen Bibliothek, die einen weit über Irland hinausgehenden guten Ruf für ihre Vielfalt und Qualität hatte. Star der Bibliothek war sicherlich das Book Of Kells , das Buch der Bücher in Irland, von Mönchen vor Jahrhunderten handgeschrieben und mit reichen Verzierungen versehen. Dieses Buch wurde gehütet wie ein Augapfel und unter einer Glasglocke vor Berührungen durch Besucher geschützt. Jeden Tag wurde eine Seite des Buches umgeschlagen und so nach und nach den Betrachtern die ganze Schönheit des Buches und handwerkliche Kunst der frühen Mönche demonstriert.
Als Conor wieder einmal an einem Abend im Pub musizierte, sprach ihn ein Gast an:
„Hallo, wollte dir nur sagen, dass du toll spielst. Ich bin zwar nur ein Farmer aus Rush, einige Meilen nördlich von Dublin und hatte heute hier zu tun. Zufällig kam ich dann in diesen Pub und nun genieße ich deine herrliche Musik.“
„Schön, dass sie dir gefällt“, erwiderte Conor. „Wir finanzieren damit teilweise unser Studium.“
„Darf ich fragen, was du studierst?“
„Biologie und Zoologie. Farmer bist du, sagtest du gerade? Mein Vater ist ebenfalls Farmer in der Connemara. Er betreibt eine Schafzucht dort. Ich vermisse das alles. Die Einsamkeit, die Arbeit mit den Tieren, besonders mit den Hunden.“
„Ich habe eine kleine Hundezucht. Aber nur so nebenbei. Ich züchte Hütehunde und verkaufe sie nach der Ausbildung. Deshalb bin ich auch gerade in Dublin unterwegs.“
„Das glaube ich jetzt nicht. Soviel Zufall gibt es doch gar nicht. Ich habe auch Hütehunde ausgebildet, Bordercollies. Mein Vater hatte vor Jahren einen Rüden und zwei Weibchen in Schottland gekauft. Unsere Tiere sind in der ganzen Connemara bekannt und gesuchte Arbeitstiere. Ich habe mit den Collies schon mehrere Preise bei Wettkämpfen gewonnen. Die Arbeit mit den Hunden hat mir immer am meisten Spaß gemacht auf der Farm.“
„Dann besuch` mich doch mal auf meiner Farm. Wenn du Lust hast, kannst du auch gern mithelfen bei der Ausbildung der Hunde. Ich könnte im Moment gute Hilfe gebrauchen, vor allem qualifizierte. Und wenn du wirklich so gut bist, wie du behauptest, fällt bestimmt noch etwas ab zur Mitfinanzierung des Studiums. Was hältst du von einer Zusammenarbeit auf der Basis einer Gewinnbeteiligung?“
„Das hört sich fair an, damit könnte ich mich anfreunden. Die Musik in den Pubs beginnt eh erst gegen zehn Uhr abends. Da hätte ich durchaus an einigen Nachmittagen noch freie Zeit. Und die Arbeit mit den Hunden vermisse ich schon sehr. Und du wohnst in Rush, sagtest du?“
„Genauer gesagt an der Küstenstraße zwischen Rush und Skerries. Auf halbem Weg biegt dort von der R128 nach links eine Hofeinfahrt ab, auf der zwei Steinhunde auf den Einfahrtssäulen stehen. Übrigens ich heiße Alan òReilly.“
„Angenehm, Alan, mein Name ist Conor, Conor McGinley aus Roundstone in der Connemara.“
„Wie wär` s mit einem Guinness, Conor?“
„Gern, ich habe sowieso gerade eine Pause.“
Alan bestellte zwei Pint of Guinness und zwei Gläser Malt -Whiskey mit Wasser an der Bar.
Während sie auf die Getränke warteten, sagte Conor:
„Übrigens, Alan, wusstest du, dass es eine kanadische Musikband gibt mit dem Namen Rush ?“
„Nein, nie gehört. Was spielen die denn so?“
„Das ist eine Rockband, nur drei Leute, aber absolut genial. Die gibt es schon seit den 70-ger Jahren, glaube ich. Wenn ich abends in den Pubs musiziere, spiele ich natürlich traditionelle irische Musik. Damit kommt auch am meisten Stimmung beim Publikum auf. Wenn ich aber nach den Vorlesungen im College zu Hause zunächst abschalten will, leg` ich gern auch mal etwas Härteres auf. Und Rush ist dann immer eine gute Wahl, denn das ist eine meiner absoluten Lieblingsbands. Wie drei Leute so einen Sound kreieren können, ist mir rätselhaft. Es gibt eine Live-CD mit dem Titel: Show Of Hands . Und da ist der Name Programm. Neil Peart ist einer der genialsten Schlagzeuger der Szene, Geddy Lee wird von seinen Bassgitarristen-Kollegen regelmäßig zum Bassisten des Jahres gewählt und Alex Lifeson ist der kongeniale Gitarrist dazu. Man müsste den Dreien mal stecken, dass es einen irischen Ort Namens Rush gibt. Vielleicht kommen die ja mal nach Irland und geben ein Konzert wegen der Namensgleichheit. Übrigens, wenn du dir die mal anhören willst, meine Lieblings-CD ist Hold Your Fire , die könnte ich dir ja mal ausleihen. Da sind nur gute Songs drauf, aber besonders gut gefallen mir Open Secrets und Mission . Sorry, ich glaub` ich langweile dich jetzt. Aber wenn ich über Musik rede, dann gibt es kein Halten mehr.“
„Ne, ne das ist schon OK. Ich liebe ebenfalls Musik, wie wohl jeder Ire. Nur habe ich im Moment wenig Zeit dazu. Das Angebot, mir die CD mal auszuleihen, nehme ich gern an. Wer weiß, vielleicht erwischt mich ja auch noch der Rush -Bazillus.“
Inzwischen hatten sie die Whiskeys ausgetrunken. Der Barkeeper stellte ihnen die frisch gezapften Pints Guinness auf den Tresen.
„Übrigens Conor, wusstest du, dass man früher ein Guinness, bei dem eine englische Pence-Münze nicht auf dem Schaum liegenblieb und unterging, nicht bezahlen musste? Das bedeutete nämlich, dass das Bier nicht in Ruhe gezapft war und die nötige Reife besaß. Für mich gibt es nichts Besseres gegen den Durst als ein Pint Guinness.“
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