1 ...7 8 9 11 12 13 ...49 Der eigentliche Fluss hatte in seinem komfortablen Bett im Grunde eine bescheidene Strombreite. Er schlängelte sich als ein anfänglich aus den Bergen der Derryveagh-Mountains im Glenveagh-Nationalpark kommender kleiner Rinnsal weiter durch Doochary, gleichsam einer riesengroßen Boa Constrictor, in endlosen Schleifen Richtung Meer, ihr Hals geschmückt mit einer überdimensionalen Perlenkette in Form der unzähligen filigranen Brückenbögen der unteren Gweebarra- Bridge, bis sich ihr Kopf mit der endlos aus dem Schlund herauslugenden, schmachtende Zunge kilometerweit in den unendlichen atlantischen Ozean hinaus streckte.
Nun gab es hier im Mündungsbereich des Gweebarra vom Atlantik bis einige Meilen stromaufwärts eine Besonderheit. Bei jeder Flut drückte der atlantische Ozean mit einer unglaublichen Macht und unfassbaren Geschwindigkeit seine Wassermassen in die Gweebarra-Bay, so dass das unspektakuläre Flussbett zu einem bis zu fünfhundert Meter breiten Fjord anwuchs. Majestätisch, wie ein großer Binnensee lag dann der Gweebarra da zwischen seinen beiden ihn umgebenden weitgestreckten Bergketten. Und so kam es, dass der Gweebarra auf seinen letzten Meilen, bis ihn die Ebbe mit ihrem unersättlich einnehmenden Wesen wieder in den Atlantik zurück beorderte, ein Gemisch aus Süßwasser, das der Fluss aus den Bergen und moorigen Heidelandschaften seiner ihn eingrenzenden Ufergebiete eingesammelt hatte, und salzigem Meerwasser mit sich führte. Diese Besonderheit wiederum trug zu einer einzigartigen Flora und Fauna bei.
Barbara kam es so vor, als wenn alle sechs Stunden der schier unendliche Atlantik seine nasse, nach Süßwasser lechzende Zunge mehrere Meilen in das Landesinnere ausstreckte und bei wieder einsetzender Ebbe mit seinem gierigen Schlund das süßliche, wohlschmeckende bräunlich gefärbte Torfwasser des Gweebarra-River in seinen nimmersatten Salzwasserwanst aufsaugte.
Von ihrer Terrasse konnte Barbara dann auch den schmalen Weg sehen, der sich auf der gegenüberliegenden Flussseite etwas oberhalb des Flussbettes quasi im Gleichlauf mit dem Gweebarra Richtung Meer schlängelte.
Auf den sieben Meilen dieses linken Uferweges verloren sich nicht mehr als 2 bis 3 alte Cottages. Einige seit Jahrzehnten zerfallene Häuser und Ställe verstärkten den Eindruck von Einsamkeit und Verlassenheit dieses Landstriches.
Neben den wenigen Humaneinwohnern Doochary´s gab es auch viele animalische Bewohner. Und zwar Milliarden von Einwohnern. Klein aber lästig, und bissig. Denn traurige Berühmtheit erreichte Doochary durch die sogenannten Midges .
Hierbei handelte es sich um eine kleine Mückenart, die vorwiegend in den feuchten Heide- und Sumpfgebieten Irlands, Schottlands und auch Skandinaviens vorkam. Sie waren keinesfalls zu vergleichen mit den kontinental-europäischen Mückenarten. Diese waren dagegen vollkommen harmlos. Diese Midges hackten sich in alles, was ihnen zwischen ihre Beißer kam. Vor allem bei feucht-warmem und windstillem Wetter waren sie in den Sommermonaten eine echte Plage. Dann schwirrten sie zu Millionen und Milliarden durch die Luft, immer auf der Suche nach Nahrung. Und ihre Nahrung war Blut, vorzugsweise Menschenblut. Aber auch dünn behaarte Tiere waren vor ihnen nicht sicher. Wenn für diese Mücken ideale Wetterbedingungen herrschten, war draußen für Menschen kein Leben möglich, schon gar nicht ungeschützt. Aber es gab nicht wirklich einen funktionierenden Schutz gegen diese Insekten. Keine Creme dieser Welt hielt sie von einem blutsaugerischen Biss ab, ganz gleich welcher Körperteil ihnen schutzlos ausgesetzt wurde. Lediglich eine kleinmaschige Gesichtsmaske bot einen gewissen partiellen Schutz.
Der Volksmund bezeichnete diese Plagegeister auch scherzhaft als Irish Airforce .
Doch Doochary hatte durchaus auch kulturell etwas zu bieten. Dieses spielte sich vorwiegend im einzigen Pub des Ortes Teach Gleann Ceo , was in der gälischen Sprache so viel wie House in the foggy Valley (Haus im nebligen Tal) bedeutet, ab.
Hier war der kommunikative Lebensmittelpunkt von Doochary. Vor allem sonntags abends war das Pub randvoll mit Gästen, die den Abschluss des Wochenendes mit Livemusik und einem guten Gespräch genossen. Einige verharrten schon seit dem Frühstück dort, wie man dann unschwer an ihrem Zustand ablesen konnte.
Barbara und Victor sah man hingegen niemals in diesem Pub. Barbara hasste es, wenn Männer ihre Contenance verloren, je mehr Guinness und Malt-Whiskey sie in sich hinein schütteten. Dann wurde bei vielen Zechern nicht nur die Zunge lockerer, sondern auch die allgemeine Zurückhaltung ad acta gelegt. Das ekelte Barbara an und brachte sie einfach nur in Rage.
Der absolute kulturelle Höhepunkt eines jeden Jahres war jedoch das Doochary-Festival , das jeden Sommer stattfand. Dieses Ereignis sorgte sogar dafür, dass der Ort in der regionalen Zeitung erwähnt wurde, was darüber hinaus nur äußerst selten der Fall war. Immer in der Festivalwoche erwachte Doochary aus seinem ein Jahr andauernden Dornröschenschlaf und erstrahlte in vollem Glanz. Eine Woche lang jagte ein Event das nächste: Traktorrennen, Autoshows, Kinder-Malwettbewerbe, Tanz-Wettbewerbe, Radrennen, Karaoke- und Musikveranstaltungen reihten sich wie eine Perlenkette aus Höhepunkten aneinander. Eine Verschwendung von Topereignissen, die ein ganzes Jahr auf ihre Erweckung gewartet hatten. Jung und Alt waren dann auf den Beinen. Keine Veranstaltung wurde ausgelassen. Jedem Event wurde ausgehungert entgegen geschmachtet. Das Geld, das ein Jahr keinen Verwendungszweck gefunden hatte, wurde in dieser Woche mit vollen Händen unter die Leute verteilt. Vor allem das Guinness floss in Strömen bei den abendlichen Musikaufführungen im Pub.
Der jährliche Höhepunkt des Festivals war die Wahl der Miss Doochary . Selbst junge Mädchen aus den Nachbarorten bewarben sich um diese Schönheitskrone.
Die Bewerberinnen holten dann die schönsten Kleider aus den verstaubten Schränken und stellten sich dem despotischen Urteil der Jury.
Die Gewinnerin war alsdann für ein Jahr die offizielle Vertreterin Doochary´s bei Veranstaltungen in der näheren Umgebung.
Das Festival hatte zwar nicht die Bedeutung wie das in ganz Irland bekannte Großereignis der Nachbargemeinde Mary from Dungloe . Doch die Schönheit ihrer Miss Doocharys stand denen der Marys from Dungloe in nichts nach.
Behütet in der Geborgenheit der Dorfgemeinschaft, die sich erfolgreich der Aufgabe zur Erhaltung der alten Traditionen verschrieben hatte und der landschaftlichen Idylle der Gweebarra- Bay fühlte sich die Familie Vaughan unter den gegeben Umständen vorderhand auch sehr wohl und bestens aufgehoben.
Doch manchmal konnte eine derartige Idylle auch trügerisch sein.
Kapitel II.3 Studium
Nun hieß es für Conor McGinley, die vertraute und Sicherheit gebende Welt der Familie und der Connemara zu verlassen und sich in das Abenteuer der Großstadt Dublin und in das Studium zu stürzen. Für den Anfang mietete er eine Wohnung im Trinity College selbst. Es war weniger eine Wohnung als mehr ein kleines möbliertes Zimmer mit einer bescheidenen Nasszelle. Die Möblierung bestand auch nur aus einem einfachen Tisch, den er gleichzeitig als Schreibtisch verwenden konnte, einem Stuhl, einem Klappbett, das er tagsüber als Sofa nutzte und einer spartanischen Kochgelegenheit.
In den Semesterferien mussten die meisten Studenten ihre Zimmer räumen. Damit die Räume nicht solange leer und einnahmelos dastanden, wurden sie in dieser Zeit häufig vermietet als B&B-Zimmer. Vor allem wenn in Dublin große Events stattfanden, fanden die Verwalter des Trinity College` reichlich Interessenten für die Zimmer. So spielte in einem Jahr beispielsweise die irische Superband U2 für drei Abende in Dublin. Damals hätte das College die zehnfache Anzahl an Zimmern vermieten können.
Читать дальше