Doris Schumacher
Mein Sohn Elisabeth
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Inhaltsverzeichnis
Titel Doris Schumacher Mein Sohn Elisabeth Dieses ebook wurde erstellt bei
Teil I – Das Präpartale Panoptikum Teil I – Das Präpartale Panoptikum Jetzt oder nie, so kam die Entscheidung zustande, der Menschheit eine Chance zu geben und im Glauben an das Gute ein Kind zu zeugen. Ja, manchmal sind die Entscheidungen so… manchmal auch anders. Und so ging es dann auch recht schnell. Nach nur zwei Wochen intensiven Bemühens begann es in meinem Bauch zu ziehen, und ich wusste: Es war da – und bald darauf als kleines weißes Pünktchen auch im Ultraschall zu sehen, kaum vorstellbar, was alles einmal daraus wachsen würde. Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei – so ein kleines Ding ist ja doch sehr sensibel. Ich jedoch hatte niemals Zweifel, dass es es schaffen würde. Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde. »Wenn man schwanger ist, beginnen die Sorgen«, so später ein gutmeinender Kollege und zweifacher Vater, »und sie hören nie mehr auf…« Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf… und ich wurde eines Besseren belehrt. Es ist – so kann man es nur nennen – überaus dramatisch. Wir – mein ungeborenes Kind und ich – traten ein in einen uns bislang völlig unbekannten Kosmos. Staunend wie junge Tiere, die zum ersten Mal nach dem Winter aus ihrer Höhle ins Freie geschubst werden, beobachteten wir die Welt um uns herum, erschraken angesichts ihrer Vielfalt, dort eine Schnecke, da ein Marienkäfer, und lernten nach und nach nicht nur die schönen, sondern auch die gefährlichen Seiten dessen kennen, was wir später, als wir alles heil und gesund überstanden hatten, augenzwinkernd das Präpartale Panoptikum nannten. Ein Kuriositätenkabinett mit neunmonatigem Besuchsrecht. Der Eintritt begann für uns an jenem Tag, als die Welt von der Existenz des neuen Lebewesens erfuhr. Da war es in meinem Bauch ungefähr drei Monate alt…
Mein Sohn Elisabeth
Interview mit meinem Bauch
Es ist nicht leicht, perfekt zu sein
Kopfgeburt
Voodoo
Beckenbodenblues
Kleine Bibelkunde für Schwangere
Fortbildungsgymnastik
Geburtsgeheimnis
Der Werdende-Eltern-Test
Zukunftsmusik
Erziehung mit Stil
Zeit für Angst
Das Märchen vom Mutterinstinkt I (Für alle, die an Märchen glauben)
Das Märchen vom Mutterinstinkt II (Für alle, die nicht an Märchen glauben)
Gebärtraining, bitte!
Die Gen(esis)-Falle
Aber natürlich
Wie der Schnitt zum Kaiser kam (Eine medizinhistorische Horrorstory)
Ohne Titel (Eine traurige Familiengeschichte)
Vierzig Wochen sind genug
Exit
Teil II – Mama lernt laufen
Trial and Error
Nuckeln für den Weltfrieden
Das glückliche Baby – ein Kochrezept
Nachtleben
Zeit
Schneller leben
Entwicklungshilfe
Genau betrachtet I – Schlechte Mütter
Genau betrachtet II – Genderbabys
Genau betrachtet III – Neue Väter
Die Verwandlung
Früher war alles gut
Eins. Zwei. Brei.
Superhelden
Mut zum Chaos
Das erste Jahr
Literatur:
Impressum neobooks
Teil I – Das Präpartale Panoptikum
Jetzt oder nie, so kam die Entscheidung zustande, der Menschheit eine Chance zu geben und im Glauben an das Gute ein Kind zu zeugen. Ja, manchmal sind die Entscheidungen so… manchmal auch anders. Und so ging es dann auch recht schnell. Nach nur zwei Wochen intensiven Bemühens begann es in meinem Bauch zu ziehen, und ich wusste: Es war da – und bald darauf als kleines weißes Pünktchen auch im Ultraschall zu sehen, kaum vorstellbar, was alles einmal daraus wachsen würde.
Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei – so ein kleines Ding ist ja doch sehr sensibel. Ich jedoch hatte niemals Zweifel, dass es es schaffen würde. Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde. »Wenn man schwanger ist, beginnen die Sorgen«, so später ein gutmeinender Kollege und zweifacher Vater, »und sie hören nie mehr auf…« Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf… und ich wurde eines Besseren belehrt. Es ist – so kann man es nur nennen – überaus dramatisch. Wir – mein ungeborenes Kind und ich – traten ein in einen uns bislang völlig unbekannten Kosmos. Staunend wie junge Tiere, die zum ersten Mal nach dem Winter aus ihrer Höhle ins Freie geschubst werden, beobachteten wir die Welt um uns herum, erschraken angesichts ihrer Vielfalt, dort eine Schnecke, da ein Marienkäfer, und lernten nach und nach nicht nur die schönen, sondern auch die gefährlichen Seiten dessen kennen, was wir später, als wir alles heil und gesund überstanden hatten, augenzwinkernd das Präpartale Panoptikum nannten. Ein Kuriositätenkabinett mit neunmonatigem Besuchsrecht. Der Eintritt begann für uns an jenem Tag, als die Welt von der Existenz des neuen Lebewesens erfuhr. Da war es in meinem Bauch ungefähr drei Monate alt…
Es ist nicht so, dass ich mir ein bestimmtes Geschlecht gewünscht hätte. Von Anfang an war mir klar: mein Kind ist mein Kind, und was und wer auch immer es werden würde, ich würde es lieben und ehren und beschützen vor den kleinen und großen Monstern und Bösewichten und all den Ungerechtigkeiten des Lebens, so lange wie möglich, das heißt mindestens bis zur Krabbelgruppe und in ausgewählten Situationen auch noch darüber hinaus. Es dämmerte mir schön langsam, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte, als es bei den Ultraschalluntersuchungen eine derartige Widerspenstigkeit entwickelte und sich in so absurde Positionen begab, aus denen es sich trotz Schüttelns und Rüttelns an meinem Unterleib keinen Zentimeter herausbewegen wollte, dass es zu einem Ding der Unmöglichkeit wurde, sein Geschlecht festzustellen. Sein Geschlecht? Das Geschlecht des Kindes. Neutrum. Und auch mein Gefühl ließ mich völlig im Stich. Was für ein Gefühl? Na, das »Mädchen-oder-Junge-Gefühl«. Das Gefühl, das werdende Mütter angeblich haben, wie meine nette Bekannte mir beim Sonntagsspaziergang genüsslich und mit leicht triumphierendem Unterton erzählte: »Ich habe mir ein Mädchen gewünscht, und ein Mädchen ist es geworden.« Aha, dachte ich ehrfurchtsvoll, so funktioniert das also…
Selbst meine Ärztin ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass das »Gefühl« ja meistens stimme… Aber so sehr ich auch in mein tiefstes Innerstes lauschte, ein wirklich überzeugendes »Gefühl«, aufgrund dessen ich irgendeine Aussage hätte wagen wollen, konnte ich beim besten Willen nicht zutage befördern.
Nun, als mein Kind in meinem Bauch noch keine drei Monate alt war, bekam es von einer der wenigen Wissenden seine ersten Söckchen geschenkt, in unverdächtigem Weiß-Braun gehalten, sehr klug, sehr süß, weiter so. Und da war sie wieder – vierzehnte Woche –, die verhängnisvolle Frage, einmal gestellt für immer im Raum schwebend, gleich einer Schmeißfliege, die plötzlich auch noch Nachwuchs kriegt: »Was wird es denn?« Schulterzucken. Noch zu früh. Kann man nicht sagen. Sofort die Relativierung: Es sei doch aber auch ganz egal, Hauptsache gesund. Wirklich, es sei völlig irrelevant. Aber dann musste ich versprechen, sofort Meldung zu erstatten, sobald das Geschlecht identifiziert sei. Ja, versprochen. Ich sah bereits Berge an Stramplern und Deckchen in hellblau oder aber auch rosarot vor mir auftauchen. Als nicht vorbelastete Erstgebärende dachte ich: Wird schon nicht so schlimm werden, es gibt ja auch noch andere Farben.
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