Und jetzt: Ein gebrauchter Kinderwagen steht zum Verkauf, er sei… ob man denn schon wisse, was es werde? – nein, noch zu früh… – dunkelblau mit weißen Applikationen. Gut! Dunkelblau ist doch wunderbar. Doch dann schleicht sich der leise Zweifel ein: Was, wenn die Leute automatisch davon ausgehen, dass er von einem Jungen bewohnt wird, obwohl da drin etwas ganz anderes liegt? Kann ich das verantworten? Ein Mädchen in einem dunkelblauen Kinderwagen? Aber wie denn, ist jetzt dunkelblau auch schon eine Jungsfarbe? Ich meine, wenn schon hellblau von den Buben besetzt ist, kann doch nicht dunkelblau auch noch denen gehören! …
Aus Spaß fange ich an, mir vorzustellen, dass ich mein Kind je nach Tageslaune rosa oder blau anziehen könnte. Und je nachdem würde ich behaupten, mein Kind sei ein Mädchen oder ein Junge, natürlich immer entgegengesetzt zur Farbe der Kleidung. Darf ich vorstellen: Mein Sohn Elisabeth.
Denn wir wissen ja, was das alles für Konsequenzen hat! Noch nicht gleich am Anfang, da erwartet man von Buben und Mädchen gleichermaßen, dass sie süß und vergnügt sind, zumindest wenn die Verwandten da sind, man will ja niemanden enttäuschen. Doch später! Schmerzhaft erinnere ich mich an meine eigene Jugend... Bei meinem ersten Ferienjob durfte ich für etwa achttausend Schilling einen ganzen Monat lang Getränke in die endlosen Regale eines Supermarktes schlichten. Ich war sechzehn, und lediglich der Gedanke ans Geld und die Tatsache, dass ich eine Ausrede gefunden hatte, um nicht mit meinen Eltern auf Urlaub fahren zu müssen, hielten mich einigermaßen bei Laune. Aber bitte, ist es wichtig, welche Laune man beim Getränkeschlichten hat? Ernsthaft? Den Colaflaschen wird es wohl egal sein… doch dem Filialleiter nicht, der sich in Chefmanier der vor dem Regal hockenden Ferialpraktikantin, in dem Moment intensiv und hochkonzentriert mit unzähligen Packungen Tomatensaft beschäftigt, nähert und mit jovialem Grinsen ein: »Lächeln Sie doch mal bei der Arbeit, das macht Sie gleich viel hübscher!« von sich gibt. Widerstand ist zwecklos, dachte ich damals und lächelte höflich. Und ich sage: Rosarot ist schuld daran. Und hellblau. Das sind die unheilvollen Zwillinge, zweieiig, aber doch unzertrennlich, die uns unser Leben lang verfolgen. Alle wissen es. Das eine ohne das andere gibt es nicht. Wo rosarot ist, ist auch hellblau nicht weit. Prinzessinnen und Prinzen, Wölkchen und Zuckerwatte. Und irgendwie schafft es die Fraktion »Hellblau«, von Ausnahmen abgesehen, irgendwann ernst genommen zu werden, aber die Fraktion »Rosarot« hat es damit deutlich schwerer. Auch das wissen alle. Wenn nicht aus eigener Erfahrung, dann vom Hörensagen.
Ich habe die stille Hoffnung, dass Elisabeth es schafft, immerhin bis zu seiner Geburt sein Geschlecht vor uns zu verheimlichen, sodass alle willigen Spender- und SchenkerInnen im Laufe der Schwangerschaft irgendwann kapitulieren und gezwungenermaßen zu neutralen Farben greifen. Es gibt wunderbare Farben. Eine Vielfalt. Man muss sich nur ein bisschen anstrengen.
Bei der Geburt werden sich dann auch alle einhellig freuen, der Vater, die Mutter, die Ärztin, die Hebamme, wenig später auch die Großeltern und noch etwas später alle anderen. Ein hübsches Kind. Aber was ist es denn nun? Ein Sohn. Name? Elisabeth. Empörung am Wochenbett. Wie kann das sein? Das ist doch verboten. Man kann doch einen Jungen nicht Elisabeth nennen. Hat hier irgendjemand Junge gesagt?
Wenn nun Elisabeth lieber eine Tochter sein möchte als ein Sohn, oder wenn er eben lieber Elisabeth heißt als Thorsten, oder wenn sie abwechselnd ein Mädchen oder ein Junge sein will und eben genauso wenig Autos über Tische flitzen lassen, wie Puppen frisieren, sondern lieber Bücher anschauen oder Topfdeckelschlagzeug spielen möchte, wer bin ich dann als Elternteil, ihm Grenzen zu setzen?
Hauptsache, das Kind ist gesund. Das Kind. Neutrum.
Interview mit meinem Bauch
Da über meinen Bauch derzeit ziemlich viel geredet wird, habe ich beschlossen, ihn zum Gespräch zu bitten und selbst einmal zu Wort kommen zu lassen. Hier lesen Sie das vollständige, wahrheitsgemäß und ungeschönt wiedergegebene Interview.
Ich: Ich nenne dich einfach Bauch, ist das in Ordnung? Oder hast du einen anderen Namen?
Bauch: Bauch ist okay. Du kannst aber auch Abdomen oder Chiquita oder Rollmops zu mir sagen.
Ich: Hm. Nein. Dann also Bauch. Du bist in letzter Zeit sehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, wie geht es dir damit?
Bauch: Ja, es geht so. Da ich im Privatbereich bereits eine sehr wichtige Position innehabe und mehrmals täglich begutachtet werde, insbesondere dann, wenn ich zuweilen etwas mehr Platz als üblich beanspruche, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Öffentlichkeit für mich interessieren würde. Dass das Echo allerdings so enorm sein würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Vor allem, seitdem ich zu einem richtigen Babybauch geworden bin.
Ich: Schmeichelt dir das?
Bauch: In gewisser Weise schon. Andererseits frage ich mich, ob das Blitzlichtgewitter nur von vorübergehender Dauer ist. Mir fällt auch auf, dass überwiegend meine Größe Anlass zu Diskussionen gibt und dazu extrem unterschiedliche Meinungen und Positionen vertreten werden. Die einen meinen, ich sei eher klein, die anderen behaupten, ich sei schon ziemlich beachtlich, mindestens aber unübersehbar, und die Dritten meinen, ich solle nicht zu früh allzu sehr auseinander gehen, wegen später. Das verwirrt mich ein bisschen.
Ich: Mhm. Das ist in der Tat sehr beunruhigend.
Bauch: Aber es tut gut, darüber zu reden.
Ich: Es ist doch keine Art, so über dich zu sprechen und dich im Unklaren zu lassen, wie nun deine Außenwirkung tatsächlich ist.
Bauch: Ja. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich eine Identitätskrise über kurz oder lang nicht ausschließen kann. Manchmal fühle ich so eine innere Leere…
Ich: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich hoffe aber, dir mit diesem Gespräch ein Forum zu bieten, damit du selbst zu den widersprüchlichen Aussagen Stellung beziehen kannst.
Bauch: Danke. Das weiß ich sehr zu schätzen. Ich möchte dazu sagen, dass meine Größe nur bedingt Auskunft über meinen wahren Zustand gibt. Ich bin eben nicht jeden Tag gleich, wer ist das schon. Auch gibt es in meinem Wachstum keine Linearität, es ist also nicht immer kontrollierbar. Ich selbst kann nicht immer vorhersehen, wie sich mein Innenleben verhält, und ich muss in aller Deutlichkeit hier zur Kenntnis geben, dass es sich bei meinem Innenleben durchaus um ein hochkomplexes handelt. Man darf sich das Zusammenspiel der Organe nicht als etwas Statisches vorstellen. Sie sind zuweilen sehr zickig und durchaus nicht leicht zu kontrollieren, wenn ich überhaupt so etwas wie Kontrolle über sie habe.
Ich: Du bist ja mehr so ein Gefäß, oder?
Bauch: Gefäß? Durchaus nicht! Also das ist doch eine unverschämte Aussage. Ich bin ein lebendiges Wesen und nicht irgendein Ding.
Ich: Verzeihung, ich hatte das eher bildlich gemeint.
Bauch: Das ist genau die Ursache für die ganze Polemik! Dass geglaubt wird, ich sei so ein Ding, das man herumschubsen und formen kann, wie es einem so passt. Ich verwehre mich ganz entschieden so einer Bezeichnung!
Ich: Ja. Ich bitte um Entschuldigung. Kommen wir auf deinen derzeitigen Zustand zu sprechen.
Bauch: Ich bekomme ein Kind.
Ich: Ja. Diese Sichtweise ist zwar ein bisschen abdomozentrisch, schließlich ist die Gebärmutter ja die Hauptverantwortliche, aber ich will deine Bedeutung gar nicht in Frage stellen.
Bauch: Naja, es ist doch so: Ich trage so ein wachsendes Ding in mir. Aber glaube nicht, ich bin nur eine Hülle. Ich als Abteilungsleiter sozusagen bin verantwortlich für alle mir unterstellten inneren Organe und somit auch für die Gebärmutter.
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