Denn schließlich, so wird uns WWM suggeriert, sind wir allein (abgesehen von unseren GynäkologInnen, die uns im IF nur einmal im Monat zu Gesicht bekommen) für das Wohl unseres SVUNEN zuständig. Verantwortlich. Allein. Nur. Wir.
Und wenn wir es vermasseln, dann gnade uns unser Schuldgefühl. Denn wir können nicht behaupten, man hätte uns nicht gewarnt.
Wir sind über alle Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt worden, vor allem über jene, die einige Vorsorgeuntersuchungen selbst mit sich bringen. Wir sind informiert über Umwelteinflüsse, Handystrahlungen, Infektionskrankheiten, Frühgeburten, Fehlgeburten, Fehlbildungen, Chromosomenstörungen, Karies und Zahnfleischprobleme, Mineralstoffmangel, Unterversorgung, körperliche und psychische Überlastung, Herzfehler, offene Rücken, Blutungsrisiken, Allergien, Cervixinsuffizienz, Gaumenspalten, abgelaufene Lebensmittel, Toxoplasmose, Röteln, Masern, Mumps, et cetera et cetera. Betrachtet man die Fülle an möglichen Komplikationen, kann man es nur als Wunder ansehen, dass man nicht irgendetwas davon abbekommen hat, und sei es nur eine klitzekleine Infektion. Da nützt, rein psychologisch, auch das Wissen wenig, dass fünfundneunzig Prozent der Kinder völlig gesund zur Welt kommen.
Wir lassen die Wahrscheinlichkeit für gewisse Störungen berechnen und zerbrechen uns Tage vorher den Kopf, was wir im Falle eines negativen Ergebnisses tun würden, denn dies wird uns geraten, und als gewissenhafte WWM setzen wir uns brav damit auseinander. Wir nehmen die hormonellen Veränderungen in unserem Körper gelassen hin und tun nichts, um uns oder unseren Angehörigen die Laune zu verderben. Schließlich überträgt sich das ja alles auf das Baby und die beste WWM ist eine entspannte WWM. Wir wissen beim Einkaufen für den SVUNEN Bescheid über ideale Transportmöglichkeiten, Vor- und Nachteile von Latexsaugern, Stillen oder Flaschennahrung, Badewannenaufsätze und Wickelkommoden, Windelsysteme und Milchpumpen, Stillkissen und Tragetücher, sowie über anscheinend omnipräsente Schadstoffe und Risiken, die mit Made-in-Sonstnochwo verbunden sind, und entscheiden uns im IF für Biobaumwolle und Naturholzprodukte, nicht ohne nachzulesen, dass auch Naturholzprodukte, die nicht in Europa produziert werden, sehr wohl chemisch behandelt worden sein können . Bezüglich der Biobaumwolle bin ich bis dato noch auf keine widersprüchlichen Aussagen gestoßen, was nicht ist, kann noch werden, das hier ist nicht das Ende vom Lied.
Und da wir das alles und noch vieles mehr wissen oder vielmehr ahnen, denn die Devise in der Schwangerschaft heißt immer noch: Nichts Genaues weiß man nicht (wobei sich nach und nach bei mir das Gefühl verstärkt, dass dieses »Nichtgenauwissen« zwar Babybuchautoren, Ärzten und Pharmaherstellern zusteht, nicht aber uns WWM), ahnen oder vielmehr wissen wir nur das Eine mit absoluter Sicherheit: Es ist nicht leicht, perfekt zu sein.
Ganz ehrlich.
Und daher habe ich nur eine Bitte: Macht uns nicht irre. Denn eine irre werdende WWM ist ganz sicher nicht gut fürs Baby. Und auch nicht für ihre Umwelt. Und schon gar nicht für sich selbst. Denn schließlich gibt es uns auch noch. Wir sind noch da! Und manchmal tun wir Dinge, obwohl wir wissen, dass wir sie nicht tun sollten. Aber uns lediglich als Trägerinnen der Gebärmutter, in der sich unser SVUNEN befindet, zu behandeln, deren einziger Wunsch und Wille es ist, eben jenen auf bestmöglichem Wege durch Schwangerschaft und Geburt zu bringen, und ich wette, für beinahe alle von uns ist es (fast) der einzige Wunsch und Wille, ist einfach nicht fair. Wir danken für die Informationen. Wir tun, was wir können. Aber bitte, macht uns nicht irre. Das übernehmen wir im Zweifelsfall schon selbst.
Am Fensterbrett meines Küchenfensters steht ein Keramikengel, obwohl Weihnachten längst vorbei ist. Er ist etwa zehn Zentimeter hoch, hat weiße Flügel, einen weißen, gesichtslosen Kopf und einen rotbemalten Körper. Wenn ich ihn ansehe und über meine momentane Situation nachdenke, fällt mir die Verkündigungsszene ein. Der Engel kommt zu Maria und verkündet ihr, dass sie ein Kind gebären wird – und zwar nicht irgendeines, sondern den Sohn Gottes. Ja. Da bedarf es schon einer richtigen Ankündigung, sonst könnte sie ja wer weiß was glauben, aber so ist von vornherein klar: Maria ist die Mutter und Gott ist der Vater. Und es wird ein Junge. Das wusste man in damaligen Zeiten ganz ohne Ultraschall und Bluttest…
Bereits sechs Monate vorher hatte der Erzengel Gabriel dem Zacharias verkündet, dass dessen Frau Elisabeth einen Sohn gebären werde, den sie Johannes nennen sollten. Denn mit der Geburt eines Sohnes beglückt Gott seine treuesten Schäfchen und zuweilen die, die schon über neunzig sind (die Risikowerte für Chromosomenstörungen in diesen Fällen würde ich gerne ausrechnen lassen) und zuweilen auch die, die noch nie… naja, von einem Mann erkannt worden waren.
Und nun kommt der Engel zu Maria… aber lassen wir doch das Lukasevangelium erzählen, da steht eigentlich alles ganz genau.
Und im sechsten Monat [nach der Verkündigung von Elisabeths Schwangerschaft, Anm.] wurde der Engel Gabriel gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau [jungen Frau, Anm.], die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David [nein, nicht so vertraut, sie war verheiratet mit ihm, aber er hatte einen Schwur leisten müssen, sie nicht anzurühren, an den er sich natürlich gehalten hat, Anm.]; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede [wer würde das nicht?, Anm.] und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
Also ganz ehrlich, ohne ehrgeizig zu sein, ich würde ja nicht darauf bestehen, dass mir außer dem Namen auch noch die ganze Erfolgsgeschichte meines ungeborenen Kindes schon in der frühen Schwangerschaft oder gar vor der Zeugung (durch wen auch immer) geweissagt wird, aber einfach zu wissen, dass alles gut gehen wird und ich keine Komplikationen zu befürchten habe, das wäre tatsächlich schon etwas, wofür ich dankbar wäre und die eine oder andere zusätzliche Vorsorgeuntersuchung guten Gewissens sausen lassen würde. Aber Maria war wohl angesichts dieser Prophezeiung etwas skeptisch, kein Wunder, es gab ja überhaupt keine Beweise… zumal die Frage, wer der Vater sein sollte, nicht einmal sie beantworten konnte (zumindest behauptete sie das ihr Leben lang).
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen [Aha!, Anm.] , und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich [mein absoluter Lieblingssatz, Anm.]. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
Ja. Was sollte sie auch sonst sagen.
Josef war zu dem Zeitpunkt nicht zuhause, und da machte sich Maria flugs auf den Weg zu Elisabeth, aber das weitere Geschehen ist ja allseits bekannt. Normalerweise werden Söhne nach den Vätern benannt, darum sind alle einigermaßen irritiert, dass Elisabeths Sohn Johannes und nicht Zacharias heißen soll, aber wir wollen deshalb keine Schlussfolgerungen über Elisabeths Moral und Anstand ziehen… Bei Gott ist eben kein Ding unmöglich.
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