Der Mensch in seine Grenzen verwiesen? Auch in den Köpfen von Naturwissenschaftlern scheint eine Restunsicherheit mitzuschwingen. Wenn sich eines Tages nach unendlichen Mühen herausstellen sollte, dass der materielle Ursprung des Bewusstseins letztlich doch nicht zu beweisen ist – können wir dann den Glauben an seinen göttlichen Ursprung noch von der Hand weisen?
Ich denke also bin ich? Was macht mich aus? Ja mein Gehirn und mein Körper, aber was bedeutet das im Kontext von Bewusstsein? Wenn es nur ein absolutes BEWUSSTSEIN gibt, dann wäre der Mensch einfach eine bestimmte Ausdrucksform davon. Der Mensch und sein Gehirn, eine begrenzte Lebensform im Spiel des Lebens, quasi eine Überlebens-Tier und Denk-Geschöpf. Wir konditionieren uns über unsere Erfahrungshorizont und Potenzial (z.B. Intelligenz) zu dem was wir sind. Das heißt, die gesamte Aufmerksamkeit ist in Gedanken, Emotionen und vor allem in psychologische Zeit verstrickt.
Man könnte besser sagen „Ich denke also bin ich nicht.“ Das Denken ist auf die Zukunft oder Vergangenheit gerichtet, dadurch dass du dir ständig Pläne oder Sorgen machst. Auf diese Weise wird der Verstand unbewusst mit so viel Aufmerksamkeit ausgestattet, dass er sich problemlos verselbstständigen und vorgeben kann, du zu sein. So entsteht das vergängliche Ego, welches das eine SELBST, das du bist, entzweit. Du identifizierst Dich dann dermaßen mit Deinem Denken und Handeln sowie mit der daraus resultierenden Lebenssituation, die über die Zeit hinweg zu deiner Lebensgeschichte wird und mit der Du dich selbstverständlich noch mehr identifizierst. Dein Gespür für dein zeitloses, wahres Wesen geht dadurch verloren. Du wirst dann immer mehr zu deiner persönlichen Lebensgeschichte, zu deiner eigenen Gedankenwelt, sprich Vergangenheit. Woher kommt also Bewusstsein, nur aus unserem Gehirn? Nein, zwar drückt sich Bewusstsein durch das physische Gehirn aus, beginnt aber nicht dort. Wie könntest du ansonsten Freude oder Schmerzen empfinden, wenn alles nur das Produkt eines materiellen Gehirns und Körpers wäre?
Ken Wilber: „Bewusstsein ist nicht im Gehirn lokalisiert, und auch nicht außerhalb davon, weil beides physikalische Grenzen mit einem einfachen Ort sind, und ein großer Teil von Bewusstsein existiert nicht nur im physikalischen Raum, sondern in emotionalen Räumen, mentalen Räumen und spirituellen Räumen, von denen keiner einen einfachen Ort hat, und die doch alle real sind (oder noch realer) als einfacher physikalischer Raum.“
Das zentrale Nervensystem und das Gehirn gehören zu den frühesten Stellen, die ein Embryo bei seiner Entwicklungin Angriff nimmt. Bereits nach drei Wochen bildet sich das sogenannte Neuralrohr, das später zum Rückenmark wird. Am oberen Ende entstehen in der vierten Woche drei Bläschen, die Grundbausteine des Gehirns. Eine halbe Million neuer Zellen entstehen pro Minute. Das sind 720 Millionen am Tag. Bereits in der Mitte des vierten Monats verfügt ein Fötus über hundert Milliarden Nervenzellen, dies entspricht schon der Anzahl für den Rest des Lebens. Damit sie tatsächlich Botschaften transportieren können, brauchen sie Verbindungsstellen, sogenannte Synapsen. Deren Produktion beginnt zwar auch schon in der fünften Woche, aber da allein in der nur zwei bis drei Millimeter dicken Großhirnrinde mehr als zehn Milliarden Nervenzellen verschaltet werden müssen, dauert dieser Prozess bis weit nach der Geburtan. Bis zum dritten Lebensjahr entstehen rund 200 Billionen Synapsen ca. doppelt so viele, wie einem Erwachsenen bleiben. Diese Überproduktion erlaubt es Kindern, in den ersten Jahren alles, was sie für das Überleben in ihrer Kultur benötigen, besonders schnell zu lernen. Der Rest der Entwicklung besteht darin, die überzähligen Synapsen wieder abzubauen und die Kommunikationsgeschwindigkeit der verwendeten Verbindungen zu optimieren Schon ein Fötus Gehirn lernt und kann z.B. den Geschmack „seiner“ Muttermilch erkennen. Sobald ein Baby auf der Welt ist, arbeitet sein Gehirn daran, die nötigen Kommunikationswege zu schaffen, damit es die unzähligen Sinneseindrücke verarbeiten kann. Da jede neue Erfahrung einen „Fingerabdruck“ im Gehirn hinterlässt, dauert es jedoch seine Zeit, bis alle Leitungen geknüpft sind und optimal funktionieren Babys können zwar ab dem ersten Tag Gefühle ausdrücken, aber sie nicht bewusst fühlen. Der Grund dafür ist, dass die äußeren Zeichen unserer Gefühle von den tieferen Strukturen des limbischen Systems im Großhirn gesteuert werden, die bei der Geburt zwar schon entwickelt sind, um diese Gefühle jedoch bewusst wahrzunehmen, müssen erst die nötigen Verbindungen zu den Stirnhirnregionen entstehen.
Wie arbeitet das Gehirn? Das sogenannte limbische System (verantwortlich für körperliche Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Sexualität, Sozialisation und Emotionen wie z.B. Angst, Freude) hat gegenüber dem rationalen, kortikalen System (Verstand) das erste und letzte Wort. Das erste beim Entstehen unserer Wünsche und Zielvorstellungen, das letzte bei der Entscheidung darüber, ob das was sich Vernunft und Verstand ausgedacht haben, tatsächlich getan werden soll. D.h. nicht unsere Ratio regiert, sondern unser ursprünglicher Evolutions- und Überlebensdenkapparat.
Daher bestimmen Emotionen oft zu einem großen Teil unser Verhalten, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Da der "Sitz" der Emotionen in den evolutionär alten Teilen unseres Gehirns angesiedelt ist, unterscheiden sie sich kaum von denen anderer Tiere. Im Gegensatz zu vielen Tieren haben wir Menschen lediglich gelernt, sie teilweise zu kontrollieren. Daraus aber zu schließen, wir hätten unsere Emotionen und Instinkte im Griff, ist sicherlich falsch.
Was spielt sich in unserem Gehirn ab, wenn wir Gefühle des Gottvertrauens erleben? Welche Hirnmechanismen kennzeichnen den Glauben an Gott und meditative Erfahrungen?
Patienten mit einer Schläfenlappen-Epilepsie zeigen gehäuft "spirituelle Visionen" während ihrer Anfälle. Diese Patienten tendieren auch in den langen Perioden zwischen den Anfällen zu tiefer Religiosität. Typisch für diese Form der Epilepsie ist das ungebremste Feuern spezieller Nervenzellen im Schläfenlappen, das mit Anmutungserlebnissen einhergeht. Oft treten dabei Déjà-vu-Erfahrungen auf, also der Eindruck, etwas schon einmal erlebt zu haben, obwohl das Ereignis erstmalig ist. Im Schläfenlappen liegt ein großer Teil des "limbischen Systems". Diese Hirnregion hat die Aufgabe, Sinneseindrücke nach ihrer Wertigkeit zu beurteilen. Zentrale Ereignisse, etwa Sex oder der "süße" Anblick eines Kindes, werden vom limbischen System mit Emotionen belegt - ein Stempel der Gefühle, der garantiert, dass Bedeutendes sich unvergesslich in unsere Hirnzellen eingraviert. Feststeht, dass unser Gehirn dazu geschaffen ist, religiöse Erfahrungen zu machen. Philosophisch könnte man hier argumentieren, dass solcher Erfahrung auch ein Abbild der "Wirklichkeit" entsprechen sollte. Dies gilt ja auch für den Gehörsinn, der ebenso ein Abbild der Wirklichkeit von Tönen und Geräuschen darstellt. In jüngster Zeit haben US-Forscher durch Magnetstimulation des Gehirns spirituelle Erfahrungen auslösen können. Sie erzeugten schwach magnetische Felder, die für 20 Minuten speziell die Schläfenlappenregion des Gehirns aktivierten. Und siehe da: Vier von fünf Probanden beschrieben die auf diese Weise ausgelösten Empfindungen als "übernatürlich". Eine Studie der Universität von Pennsylvania ergab, dass in den Momenten tiefster religiöser Meditation im Scheitellappen das so genannte "Orientierungs-Assoziations-Areal" (OAA) stillgelegt wird. Es hat die Aufgabe, dem Menschen jederzeit klar zu machen, wo sein Körper endet und die Außenwelt anfängt. Die Forscher hatten die Hirntätigkeit von betenden buddhistischen Mönchen und katholischen Nonnen radiologisch untersucht. Der linke Teil dieses Hirnareals vermittelt das Gefühl für die physischen Grenzen des Körpers. Der rechte Teil verarbeitet hingegen Informationen über Zeit und Raum. Auch dieser Bezug verschwand bei den Mönchen und Nonnen als Folge fehlender Anregung des OAA-Bereichs. Daraus resultiert ein Gefühl der Ewigkeit und Endlosigkeit, das von den Meditierenden als völlig real empfunden wird. Sie werden tatsächlich eins mit Gott.
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