Der Kriminalhauptkommissar fährt fort: „Ich frage mich: Wie kam der Täter ins Haus? Schließlich ist es um die Mittagszeit passiert. Da bricht man nicht so einfach ein. Gerade hier. Wo man eng beieinander wohnt und es außerdem jede Menge neugieriger Augen gibt.“
Ich lächele verhalten. „Herr Kriminalhauptkommissar, für mich gibt es nur eine Erklärung: Brandt hat seinen Mörder selbst hereingelassen. Weil er ihn kannte und natürlich sah er in ihm niemand, der vorhatte, ihn umzubringen.“
„Sondern?“
“Zum Beispiel einen Informanten. Jeder investigative Journalist – und Herr Brandt gehörte zu den besten - lebt vorwiegend von seinen Informanten. Doch der Haken an der Sache ist, das sind oft ziemlich windige Burschen. Kriminell, obendrein rauschgiftsüchtig und schon alleine deshalb finanziell notorisch klamm. Für ein paar Euro, machen die eine Menge.“
Der Kriminalhauptkommissar nickt und macht sich Notizen. „Nun, bald liegen uns die ersten Ergebnisse der Spurensicherung vor, auch werden wir noch heute mit der Witwe reden, Nachbarn befragen! Ansonsten, Herr Marowski, Sie können gehen. Doch Morgen sind Sie um Punkt zehn Uhr bei uns im Präsidium, um weitere Fragen zu beantworten und das Protokoll zu unterschreiben!“
Erleichtert erhebe ich mich. „Bis Morgen!“, ich nicke Kriminalhauptkommissar Hauswald freundlich zu und verlasse rasch die Küche. Im Korridor höre ich die Stimme des einfachen Kommissars, sie kommt aus dem Arbeitszimmer. Aufgebracht schreit er ins Telefon: „Verdammt, kommen sie endlich! Ohne Spurensicherung geht es nicht!“ Ich halte bereits die Klinke der Wohnungstür in der Hand, als ich urplötzlich einen Stich spüre, der mir wie ein scharfes Messer durch den Körper fährt. Verdammt, mein Geldkoffer! Ich habe ihn bei all dem Trubel völlig vergessen. Hastig eile ich ins Arbeitszimmer, wo es mir gerade so gelingt einen Zusammenstoß mit Bachmann zu vermeiden. Ich kann mich erinnern, ich stellte meinen Koffer neben dem Sessel ab, der mehr Tageslicht als sein Kollege abbekommt. Doch dort steht er nicht mehr. Auch nicht neben dem zweiten Sessel oder sonst wo. Der Koffer mit den zwei Millionen ist verschwunden! Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, es bleibt dabei: Der Koffer bleibt verschwunden. In meiner Speiseröhre sammelt sich eine gallenbittere Flüssigkeit, die unerbittlich hochsteigt. Nur mühsam bekomme ich sie in Richtung Magen zurückdrängt. „Wo ist mein Aktenkoffer?“, brülle ich urplötzlich wie ein verwundetes Tier.
Bachmann beendet abrupt sein Telefongespräch, während sein Chef ins Arbeitszimmer gestürzt kommt. Beide schauen mich irritiert an.
„Mein Aktenkoffer mit dem..... ist weg.“ Es gelingt mir gerade noch das Wort Geld zu vermeiden.
Die Kriminalisten zucken mit den Schultern.
„Was enthält Ihr Koffer denn so Wichtiges?“, will Hauswald wissen.
„Unterlagen! Ich brauche sie dringend für einen Mandanten!“ Ich schaue auf die Uhr. „In einer guten Stunde muss ich bei ihm sein! Es geht um viel. Sehr viel sogar!“
Die Kriminalisten zucken erneut mit den Schultern.
Und plötzlich sehe ich rot. Die gestohlenen zwei Millionen weg, das Manuskript ebenfalls und, der Vertrag nicht unterschrieben und das allerschlimmste, was mache ich, wenn Kutusow die zwei Millionen zurückhaben will. Die Zwanzigtausend kann ich auch vergessen. Alles geht schief! Außerdem habe ich das Gefühl, hinter meinem Rücken grinsen die beiden über mich. Das alles ist für mein angespanntes Nervenkostüm entschieden zu viel. Ich trete nahe an die beiden heran. „Wer von Ihnen hat meinen Koffer geklaut?“ Ich ernte lediglich ein eisiges Schweigen, was mich nur noch wütender werden lässt. „Verdammt, geben Sie es zu! Oder soll ich Sie vor ein Gericht zerren!“
„Bevor die Spurensicherung nicht da war, fassen wir grundsätzlich nichts an! Und die Kollegen sind erst im Anmarsch!“, weist Kommissar Bachmann mich erstaunlich sachlich zurecht.
Doch ich habe längst den Punkt erreicht, an dem ich meinen Kopf abschalte, er kommt mir nur noch überflüssig vor. Ich schnappe mir Bachmanns Hemdkragen, schüttele an ihm herum und schreie ihm ins Gesicht: „Raus mit der Sprache! Wo ist mein Koffer?“
Der einfache Kommissar versucht sich zu befreien. Doch der schmächtige Bursche hat keine Chance gegen mich.
„Sie, Sie ...... sind verrückt!“, keucht er nach Luft ringend. Plötzlich spüre ich den Lauf einer Waffe in meinem Rücken. „Hände auf den Rücken! Ich kann Ihnen nur empfehlen, es zu tun!“, zischt mir der Kriminalhauptkommissar ins Ohr.
Einem Instinkt folgend, gehorche ich augenblicklich. Sekunden später schließen sich die Handschellen um meine Handgelenke.
„Kollege Bachmann, bringen Sie diesen durchgeknallten Schnüffler umgehend aufs Präsidium, dort werden wir ihn im Laufe des Nachmittags verhören. Es wäre in seinem Interesse, wenn er sich bis dahin beruhigt hätte. Ich komme hier alleine klar!“ An mich gewandt fährt er mit kühler Stimme fort: „Rechnen Sie mit einer Anzeige! Und schauen Sie sich schon mal nach einem neuen Beruf um. In der Altenpflege soll es jede Menge freier Stellen geben.“ Ein hinterhältiges Grinsen legt sich um seinen Mund. „Wie es in der Branche mit der Bezahlung aussieht, kann ich Ihnen allerdings nicht sagen.“
Ich zerre an den Handschellen, während ich aufgebracht schreie: „Das dürfen Sie nicht! Ich werde Sie verklagen! Mein Anwalt wird Sie zerfetzen!“
Über die Gesichter der beiden Kriminalisten legt sich ein hämisches Grinsen. Bachmann befindet: „Sie ein Anwalt! Lächerlich! Da reicht’s doch gerade mal zu einer Flasche Bier!“
„Herr Marowski, natürlich ist es Ihr gutes Recht sich einen Anwalt kommen zu lassen! Dennoch gibt es eine vierundzwanzig Stunden Regelung. Die hebelt kein noch so guter Anwalt aus.“
Kommissar Bachmann schnappt sich meinen linken Oberarm. „Kommen Sie!“
„Sie haben kein Recht dazu! Diktatur! Bullenstaat!“, schreie ich die beiden in meiner Verzweiflung an. Am liebsten hätte ich sie noch angespuckt, doch mein Mund war zu trocken dazu.
Kriminalhauptkommissar Hauswald winkt amüsiert ab, während sein Kollege lakonisch befindet: „Anstatt hier wie ein Idiot herumzuschreien, ziehen Sie lieber die Möglichkeit in Betracht, dass Brandts Mörder Ihren Koffer wie auch Ihren Laptop und womöglich noch andere Dinge hat mitgehen lassen. Liegt doch auf der Hand, Sie Superdetektiv! Oder wie sehen Sie das?“
Am liebsten hätte ich mir erneut paar runtergehauen. Natürlich hat mit hoher Wahrscheinlichkeit der Mörder die zwei Millionen mitgehen lassen! Ich Trottel habe mich wieder einmal in meine idiotischen Hirngespinste verrannt. Mit dieser Erkenntnis im Nacken bricht meine Widerstandskraft wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Zu allem Unglück meldet sich auch noch meine innere Stimme, indem sie sarkastisch spottet: „Marowski, erst denken, dann schießen!“ Ich verzichte auf eine Antwort und lasse mich einfach nur noch abführen.
Auch wenn die Arrestzelle nur als Vorstufe für eine richtige, echte Gefängniszelle angesehen wird – gewissermaßen als ihr kleiner Bruder - und man in der Regel in ihr nur kurz verweilt, so wirkt sie auf die meisten Insassen trotzdem ausgesprochen deprimierend. Eine Stunde Auftenhalt reichen vollkommen aus und man weiß, warum so viele Menschen ausgerechnet in Gefängniszellen Selbstmord begehen. Zum einen sind sie dazu verdammt, die Freiheit durch ein vergittertes Fenster zu betrachten und zum anderen müssen sie Wände anstarren, die mit derben Sprüchen wie: „Fick dich, du Schlampe“ oder „Geiler Schwanz, ich lutsch dich!“ vollgepinselt sind. Aber was weitaus schlimmer ist: Als Insasse so einer Zelle weiß man nie, wie es mit einem wirklich weitergeht. Kommt man frei oder landet man in einer richtigen Zelle.
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