Natürlich weiß ich, wer die Zwillingsseelen sind und wo sie leben. Der törichte Ashmun hat mir ihre Namen und Aufenthaltsorte genannt. Sie wurden analog zu den Kriegsherren in Ethar jeweils im Norden, Süden, Westen und Osten eurer fünf Kontinente geboren und leben dort immer noch. Wir werden sie an einem sicheren Ort zusammenbringen und ihnen dort die Lage erklären und sie von unseren Plänen überzeugen.“
James intellektuelles Fassungsvermögen war an seine Grenzen geraten und sein Verstand raste. Wenn Cupido tatsächlich keine Ausgeburt seiner Phantasie war und die Wahrheit sagte …
Das Radio schaltete sich ein. „... hat ein neues Patent angemeldet. Es scheint gelungen zu sein, das Geruchs- und Geschmackskino zu entwickeln“, ertönte die sonore Stimme eines Nachrichtensprechers aus dem Gerät. „Mit bestimmten Wellenfrequenzen können die für die Geruchs- und Geschmacksnerven zuständigen Teile des Gehirns aktiviert werden, so dass passend zum Bild jeder Zuschauer riechen und schmecken kann, was die Protagonisten des Filmes gerade riechen oder schmecken. Diese revolutionäre Erfindung soll erstmals bei den Dreharbeiten zu einem Remake von ‚Der Kampf der Titanen’, die in einem Monat beginnen, eingesetzt werden.“
James war fassungslos. Cupido hatte ihm bezüglich der neuen Technologie die Wahrheit gesagt. Er fühlte dessen Zufriedenheit körperlich und James beschloss, ihm zu glauben. Zielstrebig fuhr er zu Harrods. Er parkte den Jaguar vor dem „Basil Street Hotel“ in der Basil Street und eilte in das riesige viktorianische Gebäude des Kaufhauses.
Tatsächlich bekam er dort alle Utensilien, die Cupido ihm genannt hatte. Zurück im Jaguar ließ Cupido ihn den pulverisierten Bernstein in das Kupferrohr füllen und es mit einem Wachstropfen von der Kerze verschließen. Dann musste er den pulverisierten Bergkristall in das Stahlrohr füllen und es ebenfalls mit Wachs versiegeln. Er verband die beiden Rohre mit einem dünnen Kupferdraht und lötete sie zusammen.
Als er damit fertig war und den zusammengelöteten Stab in der Hand hielt, fühlte er, wie Cupido sich geistig in den Stab versetzte und zum Stab wurde. Er konzentrierte seinen Willen in den Stab hinein und James sah fasziniert, wie sich ein weißer Energiestrahl von seiner Stirn zu dem Stab in seiner Hand bildete, mit dem Cupido dem Stab seine ganze Macht und Willenskraft übermittelte. James hörte, wie Cupido dem Stab immer wieder befahl, sich seinen Willenskräften zu unterwerfen.
„Sobald ich dich in die Hand nehme, geschieht alles, was ich denke!“
Dieser Vorgang höchster Konzentration, die James sehr erschöpfte, dauerte fast 20 Minuten. Plötzlich ließ James den Stab mit einem Aufschrei fallen.
„Mein Gott, ist der heiß geworden. Meine Hand ist komplett verbrannt.“
„Oh, verzeih mir. Der Teleporter ist nicht heiß geworden, sondern ich habe ihn geistig imprägniert und versiegelt. Nur ich kann ihn jetzt beherrschen und berühren. Allerdings vergaß ich kurz, dass ich ja deine Hand brauche, um ihn zu halten.“
James vernahm einige undeutlich gemurmelte Worte in seinem Kopf.
„So, jetzt heb ihn auf. Es ist alles in Ordnung.“
Tatsächlich konnte James den jetzt wieder angenehm kühlen Stab problemlos vom Teppichboden des Jaguars aufheben und in seiner Hand halten. Erfreulicherweise heilten bei der ersten Berührung mit dem Stab sogar seine Brandverletzungen ab.
„Und jetzt, mein Freund, machen wir eine kleine Weltreise und holen meine ersten Gäste ab. Heute ist ein Tag, an dem wir nach Asien reisen werden“, unterbrach Cupidos heisere Stimme seine Gedanken. „Fangen wir dort im Westen an.
„Nach welchen Kriterien legst du eigentlich die Reihenfolge deiner so genannten Gäste fest und wohin willst du sie bringen? Etwa hierher in den Jaguar in der belebten Straße?“
„Natürlich hole ich mir zuerst die Zwillingsseelen der Kriegsherren, die ich gerne auf meiner Seite haben will und deren Fähigkeiten ich besonders schätze. Jeder Kriegsherr hat ganz bestimmte Charaktereigenschaften, die auch die hier lebenden Zwillingsseelen besitzen. Und wohin wir sie bringen werden wird sich während unserer Reise ergeben, denn der Weg ist das Ziel.“
James schaute ihn verblüfft an.
„Bist Du etwa ein Buddhist mit römischen Wurzeln?“
„Das werde ich dir nicht verraten. Nur so viel: Ich bin ein Problemlöser. So, als Erstes holen wir uns eine Person, die zur leidenschaftlichen Liebe, aber auch zur engen Freundschaft, Vertrauen, Ehre und Treue fähig ist, was sie für mich zu einer leicht zu gewinnenden Verbündeten macht. Schließe die Augen.“
James fühlte ein leichtes Vibrieren, das in seinem Solarplexus begann und sich strahlenartig in seinem Körper ausbreitete. Sein Körper wurde leichter und leichter. Die Konturen der Welt um ihn herum lösten sich auf und wurden zu einem immer schneller kreiselnden Farbenmeer. Langsam verstummten die Geräusche der City und eine wohltuende Stille breitete sich in ihm aus. Ein ungeheurer Energieschub raste durch seinen Körper. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte ihn. Er fühlte sich frei, leicht und unbeschwert und sein Körper explodierte in einem Feuerwerk aus leuchtenden Farben.
27.12., 18.30 Uhr GMT, Abadan, Iran
Sharifa saß zusammengekauert in ihrer dunklen Zelle und wiegte ihren Oberkörper im Rhythmus einer Melodie, die ihrem Innersten entstieg und die nur sie hören konnte.
Das Johlen der Zuschauer, die sich langsam in dem angrenzenden Stadion von Abadan einfanden, um ihre bevorstehende Hinrichtung zu begaffen, erreichte sie nicht mehr.
Ihr Verstand hatte sich milde verabschiedet, als sie in der vergangenen Nacht auch der letzte ihrer zwölf Gefängniswärter unter dem Gejohle seiner Kollegen vergewaltigt hatte. Seit ihrer Verurteilung zum Tod durch Steinigung war sie nichts als ein lebendes Stück Fleisch, hatte jedes Recht verloren. Jeder Muslim konnte mit ihr machen, was er wollte. Sie konnte froh sein, dass nicht auch noch ihre Familie mit verurteilt worden war, weil sie Flugblätter gegen das Regime der iranischen Mullahs und für mehr Rechte der Frauen verteilt hatte. Aber Sharifa war jenseits ihrer Gefühle und Gedanken.
Zwei in Jeans und schmutzige T-Shirts gekleideten Schergen schlossen ihre Zellentür auf. Sie packten sie grob an den Handgelenken und führten sie in das vollbesetzte Fußballstadion. Als der Mob auf den Rängen bei ihrem Anblick auf johlte wie beim Einmarsch der lokalen Fußballmannschaft, erschien ein glückliches Lächeln auf ihrem verklärten 17-jährigen Gesicht.
Die Schergen führten sie zu einem Loch, das sie an der Stelle des einen Fußballtores gegraben hatten, und stellten sie hinein. Dann schaufelten sie das Loch bis zur Brusthöhe Sharifas wieder zu, so dass nur noch ihr Oberkörper und ihr Kopf zu sehen waren, und entfernten sich rasch von ihr.
Die ersten Steine flogen durch die Luft und fielen gezielt neben Sharifa auf den Boden. Jedes Mal, wenn ihr Oberkörper intuitiv zuckte, um einem Stein auszuweichen, steigerte sich das Gegröle der blutrünstigen Masse.
Plötzlich verstummte der Pöbel. Atemlose Stille breitete sich aus und Sharifa sah verwundert und verständnislos in die tiefblauen Augen eines schlanken blonden Mannes, der vor ihr stand und einen kupferfarbenen Stab auf sie richtete. Dann sah sie gar nichts mehr ...
Cupido lachte.
„Das war Rettung in letzter Sekunde. Der blutrünstige Pöbel wird sehr enttäuscht sein.
James´ Hand richtete den Stab auf seinen Magen und wieder fühlte James das Vibrieren in seinem Solarplexus, genoss das ihn durchströmende Glücksgefühl und erneut löste sich sein Körper in einer Farbenexplosion auf.
27.12., 19.45 Uhr, Mingary Castle, Schottland
Als sein Bewusstsein zurück kehrte, stand James auf dem Plateau eines mit hohem Gras bewachsenen Felsens, der den Wellen eines vom Wind gepeitschten Meeres trotzte. Er erblickte eine Burgruine, von der nur noch die steinernen, hellgrau schimmernden Außenmauern standen. Die schwere Brandung klatschte ununterbrochen gegen die schroff abfallende Felswand unterhalb der Burg. Die Gischt schäumte hoch über den Felsenkamm und Tropfen des salzigen Meerwassers benetzten sein Gesicht. Als James sich umdrehte, sah er einen kaum noch erkennbaren, weil fast vollständig mit dichtem Gebüsch überwucherten Pfad, der über einen schmalen Grat führte und den Felsen mit der zerklüfteten Küste des Festlandes verband. Intuitiv wusste er, dass er sich irgendwo in Schottland befand. Seine Hand streichelte den Schaft des Stabes und ein mächtiger Blitz fuhr in die Ruine.
Читать дальше