den Lauf der Planeten und des Mondes kannte; er sah
die Wunder des Himmels und glaubte an die Offenbarungen
des bösen Feindes. Dieser Kaiser, welcher
Moslin hieß, ging eines Nachts bei hellem Mondlicht
unerkannt mit einem Ritter durch die Straßen der
Stadt. Da hörte er, wie in einem Hause, an dem sie
vorbeigingen, ein Christenweib in Kindsnöten lag.
Der Mann dieses Weibes aber betete zu Gott; bald
betete er, daß sie entbinden möge und bald wieder,
daß sie nicht entbinden möge. Da verwunderte sich
der Kaiser und sprach zu dem Manne: »Sage mir, du
Schurke, warum bittest du das eine Mal deinen Gott,
daß er deine Frau entbinden lasse und das andere Mal
wieder, daß er sie nicht entbinden lasse?« »Herr,«
entgegnete der Mann, »ich verstehe viel von jener
Wissenschaft, die man Astrologie nennt, ich kenne
den Lauf der Fixsterne und Planeten und weiß wohl,
daß das Kind, wenn es zu unrechter Stunde geboren
wird, ein grausamer Tod erwartet.« »Sage mir,«
sprach der Kaiser, »was dir die Sterne künden!« »So
wisset, Herr, daß dieser neugeborene Knabe dereinst
die Kaiserstochter, welche vor acht Tagen das Licht
erblickte, heiraten wird, und er wird Kaiser und Herr
dieser Stadt und der ganzen Welt werden.« Darauf
ging der Kaiser mit dem Ritter weiter, und er befahl
seinem Begleiter, das Kind heimlich wegzunehmen,
so daß es niemand bemerke. Der Ritter ging in das
Haus, wo gerade zwei Frauen mit der Wartung der
Wöchnerin beschäftigt waren, während das Kind in
Tüchlein gewickelt auf einem Sessel lag. Der Ritter
ergriff das Kind, legte es auf eine Schüssel und brachte
es dem Kaiser, ohne daß man es merkte. Da ließ
der Kaiser mit einem Messer den Leib des Knäbleins
vom Magen bis zum Nabel aufschneiden, und er sagte
zu seinem Begleiter, nun würde dieser Hundesohn
seine Tochter nicht mehr heiraten und nicht mehr Kaiser
werden. Darauf wollte der Kaiser dem Kinde das
Herz aus dem Leibe reißen, aber der Ritter wehrte es
ihm und sprach: »Herr, um Gottes willen, was wollt
Ihr tun? Das schickt sich nicht für Euch, und wenn
man es erführe, würde man Euch tadeln. Laßt ihn nur,
er ist mehr als tot. Wenn Ihr aber wollt, daß noch ein
übriges geschehe, so will ich ihn ins Meer werfen und
ertränken.« »Ja,« sprach der Kaiser, »werft ihn hinein,
denn ich hasse ihn über die Maßen.« Der Ritter wikkelte
das Kind in eine seidene Decke und trug es zum
Meere. Als er aber am Ufer stand, fühlte er Mitleid
mit dem Kinde und sagte, es solle nicht ertränkt werden;
er ließ es also in seiner Hülle auf einem Misthau-
fen vor dem Tore eines Mönchsklosters liegen, in
welchem die Mönche gerade ihre Morgenmesse sangen.
Als die Mönche ihren Gottesdienst beendet hatten,
fanden sie das schreiende Kind und trugen es zu
ihrem Abt. Dieser sah, daß es ein schöner Knabe war
und beschloß, es aufzuziehen. Er ließ es auskleiden
und gewahrte, daß sein Leib vom Magen bis zum
Nabel gespalten war. Daher ließ er, als es Tag geworden
war, die Ärzte rufen und fragte sie, um wieviel
Gold sie das Kind heilen wollten. Sie forderten hundert
Byzantinermünzen. Darauf ließ der Abt das Kind
taufen und nannte es Constans, weil es soviel gekostet
hatte. Die Ärzte aber bemühten sich so lange um das
Kind, bis es geheilt war, denn sein zartes Fleisch
wuchs bald wieder zusammen, wenn auch die Narbe
blieb. Der Abt ließ den Knaben von einer Amme ernähren
und dieser wuchs heran und gelangte zu großer
Schönheit. Mit sieben Jahren schickte ihn der Abt in
die Schule und bald übertraf er seine Gefährten an
Fleiß und Wissen. Da der Abt bemerkte, wie stattlich
der Knabe heranreifte, ließ er ihn auf allen seinen Reisen
mit sich reiten. Einst geschah es, daß der Abt von
Amts wegen eine Unterredung mit dem Kaiser hatte,
welcher gerade auf einem Schlosse außerhalb der
Stadt verweilte. Der Abt begab sich mit seinen Kaplänen,
seinen Schildknappen und seinem Gefolge dort-
hin, und auch Constans befand sich darunter. Während
der Abt mit dem Kaiser redete, mußte ihm der
Jüngling seinen Filzhut halten. Der Kaiser betrachtete
den Knaben und bemerkte, daß er so schön war, wie
er nie zuvor einen gesehen hatte. Er fragte den Abt
nach der Herkunft des Kindes, und dieser erzählte,
wie es die Mönche vor fünfzehn Jahren mit zerschnittenem
Leib auf dem Miste liegend gefunden hätten.
Als der Kaiser dieses hörte, da wußte er, daß er der
Knabe sei, dem er einst den Bauch gespalten hatte,
um sein Herz herauszureißen, und er bat den Abt, er
möge ihm den Burschen überlassen. Der Abt antwortete,
er müsse zuerst den Konvent befragen, dann
solle er ihn gern haben. Die Mönche rieten, man
möge den Knaben nur schnell dem Kaiser schicken,
damit er sich nicht erzürne. Nach kurzer Zeit wurde
der Jüngling also dem Kaiser überliefert und dieser
empfing ihn voll Zorn, daß solch ein hergelaufener
Landstreicher seine Tochter heiraten solle; er überlegte
aber in seinem Herzen, wie er ihn mit List aus der
Welt schaffen könne, ohne daß es ruchbar würde.
Der Kaiser hatte um diese Zeit an den Grenzen seines
Landes zu tun, er nahm Constans mit sich, und
als sie am Ziele waren, schrieb er folgenden Brief an
den Burggrafen von Byzanz: »Ich, der Kaiser von Byzanz
und Herr von Griechenland, tue zu wissen, daß
der, welcher an meiner Statt das Reich beschützt, so-
bald er diesen Brief zu Gesicht bekommt, den Überbringer
desselben auf der Stelle tötet oder töten läßt,
so ihm sein Leben lieb ist.« Solches stand in dem
Briefe zu lesen, den Constans nach Byzanz tragen
mußte, doch dieser wußte nicht, daß er seinen Tod
trug. Der Jüngling nahm also den verschlossenen
Brief, machte sich auf den Weg und gelangte nach
vierzehn Tagen in die Hauptstadt. Als er durch das
Tor ritt, war es gerade Mittagszeit, und er dachte bei
sich, er wolle mit dem Überbringen des Briefes warten,
bis der Burggraf gespeist hätte. Und da es gerade
um St. Johannis und sehr heiß war, so trat er in einen
Garten, ließ sein Roß weiden und legte sich in den
Schatten eines Baumes, wo er alsbald einschlummerte.
Es geschah aber, daß die schöne Kaiserstochter, als
sie vom Mahle aufgestanden war, selbviert mit ihren
Gefährtinnen in den Garten ging, und sie begannen
einander zu haschen, so wie die Mägdlein es bisweilen
der Kurzweil halber zu tun pflegen. Dabei gelangte
sie zu dem Baume, unter welchem Constans schlief,
und seine Wangen leuchteten purpurn wie Rosen. Als
die Jungfrau ihn erblickte, betrachtete sie ihn mit
Wohlgefallen und glaubte, daß sie nie in ihrem Leben
ein so schönes Menschenbild gesehen habe. Dann rief
sie ihre Vertraute und hieß die anderen den Garten
verlassen. Die schöne Kaiserstochter nahm ihre Ge-
spielin bei der Hand und führte sie dahin, wo der
Schläfer lag. »Siehe,« sprach sie, »das ist der schönste
Jüngling, den ich jemals sah, und er trägt einen
Brief. Ich wüßte gar zu gern, was darin geschrieben
steht.« Die beiden Mägdlein näherten sich dem Burschen
und nahmen ihm seinen Brief fort, den die Kaiserstochter
sofort aufbrach. Als sie ihn aber gelesen
hatte, begann sie zu weinen und sagte: »Das sind
traurige Sachen! Aber wenn ich wüßte, daß du
schweigen kannst, so würde ich diese traurige Nachricht
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