Sabrina Schmid
Das Kreuz im Apfel
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sabrina Schmid Das Kreuz im Apfel Dieses ebook wurde erstellt bei
PROLOG PROLOG 17. April 1849 Gegrüßet seist du, Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir, Sie verschloss dem quäkenden Säugling den Mund, ohne ihn anzusehen. Es ist besser nichts zu spüren, hatte ihr die Mutter kurz vor ihrem Tod zugeflüstert und mit einer schwachen Handbewegung auf Katharinas Herz gezeigt. Katharina war fünf und wusste, dass der Teufel keine Hörner hatte, wie ihn der Dorfpfarrer in seinen Predigten am Sonntag beschrieb. Ob der Pfarrer wusste, dass der Teufel bei ihr zu Hause wohnte? In manchen Nächten hatte ihre Mutter es nicht geschafft, ihn abzuwehren. Ihr Flehen wurde von den Pranken um ihren Hals erstickt. Katharinas Herz hämmerte in diesen Momenten gegen ihre magere Kinderbrust. Sie wagte kaum zu atmen, konnte den Anblick nicht ertragen und sich dennoch nie abwenden. Meist konzentrierte sie sich auf die dunklen Wogen, die wie ausgegossenes Schmutzwasser über das Gesicht der Mutter schwappten. Der Teufel hörte irgendwann auf, die Mutter zu malträtieren und erhob sich nach einem Grunzen. Die Erinnerungen an die Mutter waren nach all den Jahren verblasst. Die flüchtige Vorstellung von Liebe war geblieben. du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
1 1 Juli 1833, Ottakring »Eichen, Buchen, Tannen und du musst fangen. Eichen, Tannen, Buchen und du musst suchen«, kichernd liefen Barbara und Elisabeth davon. Josef war sehr lustig anzusehen, wenn ihn die beiden älteren Mädchen abschüttelten und er sich darüber ärgerte. Katharina lehnte sich an den Baumstamm, barg ihr Gesicht in den Händen und drückte die Augen fest zu, um nicht des Schummelns bezichtigt zu werden. »Ich komme!«, rief sie und machte sich auf die Suche. Katharina war fünf und somit gleich alt wie Josef, der ebenso wie Elisabeth und Barbara aus Wien kam. Sie hingegen war aus dem Bauch der Mutter gekommen. Manchmal wünschte sie, sie käme ebenso aus Wien. Die Mutter lag seit dem Mittagessen mit Bauchschmerzen im Bett. Sie hatte sie unter angestrengtem Keuchen nach draußen geschickt. Katharina liebte es, mit Barbara und Elisabeth und Josef im Gemüsegarten zu knien, während die Mutter ihnen Geschichten über die verärgerte Karotte erzählte. Katharina musste jedes Mal losprusten, wenn die Karotte orange vor Ärger den Erdapfel als dicke Knolle beschimpfte. Allein mit der Mutter fühlten sich die Kinder glücklich. Weniger gern mochte Katharina die Großmutter und den Großvater. Wenn der Pfarrer in der Sonntagspredigt darauf hinwies, seinen Nächsten zu lieben, berief sie sich darauf, dass der Teufel nicht zu diesen Nächsten zählen konnte. Immerhin hatte sie die Mutter und die Geschwister aus Wien lieb. Das musste genügen. Die Mutter schrie sich in dieser Nacht die Seele aus dem Leib. Die Kinder saßen zusammengekauert in einer Ecke und weinten still. Im Morgengrauen gebar sie zwei Mädchen, die so winzig waren, dass Katharina es kaum glauben konnte. Wenige Stunden danach schloss ihre Mutter die Augen und öffnete sie trotz inständigen Flehens nicht mehr. Die Großmutter saß ausnahmsweise nicht keifend am Küchentisch und starrte die beiden Säuglinge an. Am darauffolgenden Tag packte sie eines der Neugeborenen und fuhr mit dem Wagen davon. Katharina, Josef und die beiden älteren Mädchen blieben mit dem Zwillingsmädchen zurück. Bald entdeckten die Kinder, dass es sich am besten beruhigen ließ, wenn man ihm den kleinen Finger in den Mund steckte. So wechselten sie sich den ganzen Tag darin ab und ließen es mal am eigenen, mal am Finger des anderen saugen, bis die Großmutter am Abend heimkehrte und wortlos das Geschwisterchen und einen weiteren Säugling mitbrachte.
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Epilog
Literatur
Glossar
Impressum neobooks
17. April 1849
Gegrüßet seist du, Maria
voll der Gnade,
der Herr ist mit dir,
Sie verschloss dem quäkenden Säugling den Mund, ohne ihn anzusehen. Es ist besser nichts zu spüren, hatte ihr die Mutter kurz vor ihrem Tod zugeflüstert und mit einer schwachen Handbewegung auf Katharinas Herz gezeigt. Katharina war fünf und wusste, dass der Teufel keine Hörner hatte, wie ihn der Dorfpfarrer in seinen Predigten am Sonntag beschrieb. Ob der Pfarrer wusste, dass der Teufel bei ihr zu Hause wohnte? In manchen Nächten hatte ihre Mutter es nicht geschafft, ihn abzuwehren. Ihr Flehen wurde von den Pranken um ihren Hals erstickt. Katharinas Herz hämmerte in diesen Momenten gegen ihre magere Kinderbrust. Sie wagte kaum zu atmen, konnte den Anblick nicht ertragen und sich dennoch nie abwenden. Meist konzentrierte sie sich auf die dunklen Wogen, die wie ausgegossenes Schmutzwasser über das Gesicht der Mutter schwappten. Der Teufel hörte irgendwann auf, die Mutter zu malträtieren und erhob sich nach einem Grunzen.
Die Erinnerungen an die Mutter waren nach all den Jahren verblasst. Die flüchtige Vorstellung von Liebe war geblieben.
du bist gebenedeit
unter den Frauen,
und gebenedeit ist
die Frucht deines Leibes, Jesus.
Juli 1833, Ottakring
»Eichen, Buchen, Tannen und du musst fangen. Eichen, Tannen, Buchen und du musst suchen«, kichernd liefen Barbara und Elisabeth davon. Josef war sehr lustig anzusehen, wenn ihn die beiden älteren Mädchen abschüttelten und er sich darüber ärgerte. Katharina lehnte sich an den Baumstamm, barg ihr Gesicht in den Händen und drückte die Augen fest zu, um nicht des Schummelns bezichtigt zu werden.
»Ich komme!«, rief sie und machte sich auf die Suche. Katharina war fünf und somit gleich alt wie Josef, der ebenso wie Elisabeth und Barbara aus Wien kam. Sie hingegen war aus dem Bauch der Mutter gekommen. Manchmal wünschte sie, sie käme ebenso aus Wien. Die Mutter lag seit dem Mittagessen mit Bauchschmerzen im Bett. Sie hatte sie unter angestrengtem Keuchen nach draußen geschickt. Katharina liebte es, mit Barbara und Elisabeth und Josef im Gemüsegarten zu knien, während die Mutter ihnen Geschichten über die verärgerte Karotte erzählte. Katharina musste jedes Mal losprusten, wenn die Karotte orange vor Ärger den Erdapfel als dicke Knolle beschimpfte. Allein mit der Mutter fühlten sich die Kinder glücklich.
Weniger gern mochte Katharina die Großmutter und den Großvater. Wenn der Pfarrer in der Sonntagspredigt darauf hinwies, seinen Nächsten zu lieben, berief sie sich darauf, dass der Teufel nicht zu diesen Nächsten zählen konnte. Immerhin hatte sie die Mutter und die Geschwister aus Wien lieb. Das musste genügen.
Die Mutter schrie sich in dieser Nacht die Seele aus dem Leib. Die Kinder saßen zusammengekauert in einer Ecke und weinten still. Im Morgengrauen gebar sie zwei Mädchen, die so winzig waren, dass Katharina es kaum glauben konnte. Wenige Stunden danach schloss ihre Mutter die Augen und öffnete sie trotz inständigen Flehens nicht mehr. Die Großmutter saß ausnahmsweise nicht keifend am Küchentisch und starrte die beiden Säuglinge an.
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