Doch sobald das Neonlicht aufgeflackert war und sich stabilisiert hatte, mussten sie feststellen, dass auch hier keine Computer untergebracht waren. Dieser erste Raum, vielleicht 100 Quadratmeter groß, enthielt nur Stromkabel, Generatoren und mehrere Schaltpulte. Die beiden Freunde sahen sich ratlos an.
Im anschließenden Saal wurde dieser Anblick dann noch getoppt. Dort stand etwas sehr Seltsames: Ein riesiges, rundes metallenes Gerät, das von überall her von dicken Stromkabeln gespeist wurde. Hier war die Luft dicht und warm. Die beiden Freunde sahen sich noch ratloser an.
„Ich kann nicht glauben, dass wir das hier gerade machen“, meinte Benjamin.
„Wir haben schon lange nichts Geiles mehr zusammen gemacht“, bemerkte Martin aufgeregt.
„Ja“, sagte Benjamin wie verzaubert. „Dachte schon, wir bringen’s nicht mehr.“
„Wir sind noch voll im Saft!“, verkündete Martin voller Euphorie.
In der Tat waren die Zeiten, in denen in ihrem Leben etwas passiert war, schon lange vergangen. Der neuen Arbeitslosenpolitik verdankten sie, dass wieder etwas Schwung in ihren angerosteten Alltag kam. Gleichzeitig war ihnen dabei etwas mulmig zumute, denn obwohl keiner von ihnen es wahrnahm, zitterten sie trotz der Wärme. Der Nervenkitzel hatte jetzt erst so richtig begonnen.
„Das ist also der Zentralrechner“, stellte Benjamin etwas skeptisch fest.
„Das ist er“, sagte Martin und machte ein paar Schritte auf das Gerät zu. Er streckte die Hand nach hinten. „Gib mal den Werkzeugkasten her.“
Benjamin, der das kompakte Plastikköfferchen seit ihrem Einstieg getragen hatte, stellte sich neben seinen Freund und schlug es auf.
Martin beachtete es nicht. Noch immer betrachtete fasziniert er das Monstrum von Rechner. „Das ist sie also. Die Akasha-Chronik.“
Der Große sah ihn fragend von der Seite an. „Die was?“
„The All-Seeing-Eye. Die Ideenwelt.“
„Ach!“ Benjamin machte eine wegwerfende Handbewegung. „Philosophen-Geschwätz! Sag, Matti. Was machen wir jetzt?“
„Die Elektronik muss drinnen sein“, beachtete ihn Martin immer noch nicht.
„Matti!“
„Wie?“ Martin drehte sich herum. „Ach so, ja. Wir müssen die erste Schraube finden.“
„Dann los“, drängte Benjamin.
„Nur wie?“
„Warum?“
„Siehst du eine? Ich seh nur Nieten, Schweißnähte.“
Benjamin trat noch näher an die Gerätschaft heran, wagte aber nicht, die matt glänzende Hülle anzufassen. „Du hast Recht.“
Beide gingen sie um das Gehäuse herum. Es hatte einen Umfang von sicher zehn bis fünfzehn Metern, war über zwei Meter hoch. Gerade so passte es in den Kellerraum. Es war aus silbernem Blech gefertigt, hatte ein abgeflachtes Dach und die fast unsichtbaren Nieten verliehen ihm von weitem den Anschein, als wäre es aus einem Guss gefertigt. Es saß unmittelbar auf dem Kellerboden auf. Auch die Stromkabel gingen an den Schnittstellen ansatzlos in das Metall über.
Nachdem ihre Augen das Computergehäuse nach einer Schraube abgesucht hatten, gingen die beiden Freunde daran, es mit Hämmern abzutasten.
Sie waren schon etwa zehn Minuten am Werk, da meinte Martin, eine Veränderung des Geräusches wahrgenommen zu haben. Er demonstrierte es Benjamin, der angestrengt lauschte. „Ja, klar“, stieß dieser aus und deutete auf eine unvernietete Fuge, die rechteckiges Muster darstellte. „Das ist eine Tür.“
„Mensch, Benni“, sagte Martin fasziniert. „Du hast Recht!“ Er klopte nun stärker gegen das Blech.
„Ein Computer mit Eingang“, raunte Benjamin.
Bald schlugen sie wie wild auf die Stelle, die sie als Tür identifiziert hatten. Doch es passierte nichts. Erschöpft und außer Atem, gaben sie schließlich auf.
Sie setzten sich auf den warmen Steinboden und lehten sich an die Kellerwand. Jeder grübelte darüber nach, wie sie die verdammte Tür aufbringen könnten.
„Wie viel Uhr ist es eigentlich?“, fragte sich Benjamin, nur um sich darauf sofort selbst eine Antwort zu geben: Er nahm sein Handy heraus, das er schon zuhause ausgeschaltet hatte. Er gab den PIN ein und sah auf die Uhr. Es war schon nach eins.
„Dann haben wir ja noch ein paar Stunden“, sagte Martin sarkastisch.
„Hej, Matti“, bemerkte Benjamin überrascht. „Ich hab hier unten Empfang!“
In dem Moment hörte man das Geräusch. Er empfing eine SMS.
„Wer ist es?“, wollte Martin wissen und beugte sich über das Display.
Benjamin drückte auf öffnen .
Beide hörten sie ein lautes Klappgeräusch.
Sie hoben die Augen. Die Tür des Mega-Servers war aufgesprungen.
„Das glaub ich jetzt nicht!“, stieß Benjamin aus.
„Was hast du gemacht?“ Martin war wie versteinert.
Benjamin sah verdutzt auf das Display. Dann wieder zur Metalltür des Riesenrechners.
Martin sprang auf und ging direkt auf die Öffnung zu. Gebannt schaute er hinein.
Benjamin konnte den Blick nicht vom Display lösen. „Ich hab… Ich hab die SMS geöffnet.“
„Mit deinem Uralt-Handy?“
„Ja.“
„Was hast du für ein OS drauf?“
„Keine Ahnung. Nick hat mir letztes Jahr mal eins draufgespielt. Damit ich die neuesten Apps verwenden kann.“
„Eine Raubkopie?“
„Vermutlich.“ Benjamin zuckte mit den Achseln. „Ja.“
Eilig stieg Martin ein. Von innen sah der Computer aus wie die Kapsel eines Raumschiffes. Durch einen kleinen Gang konnte man ins Innere gelangen. Im Kern gab es einen winzigen Raum, der Rest war wohl Elektronik. Hier fanden höchstens vier Leute Platz. Gerade genug, um Wartungsarbeiten durchzuführen.
Nach einigem Zögern folge ihm Benjamin. „Und? Kommen wir an die Elektronik ran?“, fragte er.
Martin sah sich um. „Sieht nicht so aus.“
„Hej, hier kann man sich ja hinsetzen“, stellte Benjamin fest. An der Wand gab es eine schmale Bank.
„Sieht aus wie eine Raumkapsel“, sagte Martin unschlüssig.
„Eine sehr unbequeme“, ergänzte Benjamin und ließ sich nieder.
„Oder eine Zeitmaschine“, witzelte sein Freund. „Als Historiker weißt du das doch sicher: Wann wurde die Zeitmaschine erfunden?“
Benjamin sah ihn unberührt an. „Sehr witzig.“
Jetzt saßen sie genauso tatenlos herum wie zuvor. Das einzige, was sie entdeckten, war eine Display-Leiste auf der gegenüberliegenden Seite, ungefähr auf Kopfhöhe. Sie war aus.
Die Metallbank schnitt in ihre Hintern.
Benjamin seufzte. „Wie gerne würde ich jetzt eine rauchen.“
„Oh, ja“, pflichtete ihm Martin bei.
„Wir hätten was mitnehmen sollen.“
„Wer hat eigentlich geschrieben?“, kam Martin auf die SMS zurück.
Benjamin sah nach. Es war eine Werbemail. Als er die SMS löschte, bemerkten beide ein Blinken in ihren Augenwinkeln.
Das schmale Display war angegangen. Es war eine Ziffernleiste. Grün leuchtete eine Acht neben der anderen. Etwa zwanzig Ziffern.
„Mach das nochmal!“, rief Martin fassungslos.
Benjamin tippte auf dem Display herum, aber nichts geschah. Auch als er das Handy ausschaltete, ging die Ziffernleiste nicht mehr aus.
„Probier weiter“, drängte Martin. Dummerweise hatte er sein Smartphone zuhause gelassen.
Benjamin schaltete das Ding wieder an, ging sämtliche Apps durch, löschte SMS, spielte herum. Nichts passierte.
Dann kam er auf die Idee, Nick anzurufen und ihn zu fragen, was für ein OS dieser ihm aufgespielt hatte. Die Nummer hatte er zwar nicht gespeichert, sie dafür aber im Kopf. Er tippte los.
Martin, der die Augen nicht von den Ziffern gelassen hatte, rüttelte plötzlich seinen Freund am Arm. „Jetzt, Benni! Es passiert was!“
Benjamin hob den Blick, ohne das Eintippen der Zahlen zu unterbrechen. Er war jetzt wie in Trance. Gleich würde die letzte Acht ihre Form gewechselt haben. Es erschienen exakt die Zahlen, die er in sein Handy eingegeben hatte.
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