Ursula Neeb
Ein britischer Krimi
aus den 20er Jahren
Für Markus und Twiggy,
meine Liebsten
» Panischer Schrecken (Panik), aus dem Altertum überkommener Ausdruck, womit man jeden heftigen Schrecken bezeichnet, der unerwartet, schnell und oft ohne sichtbare Veranlassung die Gemüter der Menschen ergreift .« (Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15, Leipzig 1908, S. 361)
» Erstaunlich, dass der Mensch nur hinter seiner Maske ganz er selbst ist .« (Edgar Allan Poe, 1809–1849)
Prolog
I. TEIL: BRUDER PAN
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
II. TEIL: Die Seele des Mörders
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
EPILOG
Nachwort
Er hatte sie zur Feier des Tages zum Fünf-Uhr-Tee in den Wintergarten des noblen Seehotels eingeladen und sie schwebte regelrecht im siebten Himmel, als ihnen der livrierte Kellner die Prinzessinnentorte servierte, deren Anblick ein Traum war.
»Der aus Stockholm stammende Konditormeister liefert diese Tortenspezialität sogar in den Buckingham-Palast«, erläuterte er mit verliebtem Blick und küsste sie zärtlich auf die Nasenspitze. »Ich dachte mir, diese ausgesuchte Köstlichkeit ist für meine Prinzessin genau das Richtige.«
Sie hatte bereits von der mit hellgrünem Pistazienmarzipan überzogenen Schichttorte gekostet und verdrehte schwärmerisch die Augen. »Zu behaupten, jemals etwas Himmlischeres gegessen zu haben, wäre die reinste Lüge«, seufzte sie wohlig und genoss es grenzenlos, mit ihm an diesem wundervollen Ort zu sein.
Das üppige Palmengrün, die Orchideen in ihrer mannigfaltigen Farbenpracht und die anderen exotischen Pflanzen in der lichtdurchfluteten Glasveranda, deren Mobiliar und Accessoires ganz im Jugendstil gehalten waren, trugen dazu bei, dass sich die Gäste wie in einem Garten Eden wähnten. Eine kunstvolle Voliere mit zierlichen zitronengelben Kanarienvögeln, die anmutig trällerten und zirpten, und ein Springbrunnen mit rosafarbenen Seerosen rundeten die malerische Umgebung noch ab, die durchsetzt war von Klavierklängen, welche aus dem Nachbarraum herüberdrangen.
Sie wiegte sich im Takt. »Ein Walzer«, sagte sie mit übermütigem Lächeln, »wie schön! Ich krieg richtig Lust zu tanzen.«
»Das können wir gerne gleich machen, wenn wir unsere Torte verspeist haben, denn davon lass ich nicht den kleinsten Krümel auf dem Teller.«
Als sie aufgegessen hatten, stand er von seinem Stuhl auf, forderte sie mit höflicher Verbeugung zum Tanz auf und führte sie in den Innenraum des zum Luxushotel gehörenden Cafés, wo täglich um 17 Uhr ein Tanztee stattfand. Seitlich der kleinen Tanzfläche befand sich ein Flügel, auf dem ein Klavierspieler gängige Tanzmelodien spielte. Als der Pianist den Walzer »An der schönen blauen Donau« von Johann Strauss anstimmte, mischten sie sich begeistert unter die tanzenden Paare.
»Ich habe noch nie einen Walzer getanzt«, gestand sie leicht verlegen.
»Das ist doch kein Problem«, entgegnete er. »Vertrau dich einfach meiner Führung an!«
Schon nach den ersten Schritten war es ihr, als habe sie nie etwas anderes getan, und sie wirbelten schwungvoll über die Tanzfläche. Da wurde es ihr von den ständigen Umdrehungen ganz schwindelig, und sie bat ihn, nicht ganz so ausgelassen zu tanzen.
Er lächelte verschmitzt. »Schau auf mein Revers, das hilft gegen den Schwindel!«
Sie beherzigte seinen Ratschlag und richtete ihren Blick auf das Revers seines Jacketts. Sie mochte ihren Augen nicht trauen, als sie im Knopfloch seiner Jacke eine apricotfarbene Rosenblüte gewahrte. Der Duft, der ihr in die Nase stieg, war so schwer und süß, dass sie mit einem Mal ganz benebelt war.
Bathsheba, hallte es ihr durch die Sinne und sie fragte sich verwundert, woher er plötzlich diese Rose hatte. Die hat er doch vorher nicht getragen, das wäre mir aufgefallen …
Mit einem Anflug von Bangigkeit streifte ihr Blick über sein Gesicht – und ihr stockte der Atem, als sie erkannte, dass der Mann, mit dem sie in immer schnelleren Umdrehungen den Tanzboden umrundete, sich verändert hatte. Der Tänzer, der sie um gut eine Haupteslänge überragte, trug eine dunkle Sonnenbrille und grinste hämisch auf sie herab. Wie gebannt starrte sie ihn an und gewahrte zu ihrem grenzenlosen Entsetzen, dass sie in die schwarzen Augenhöhlen eines Totenschädels blickte.
Der Totenkopf neigte sich zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich werde dich vernichten!«
Die schäumende Gischt der aufgewühlten See stob in die Gesichter der beiden Reisenden, die am Abend des 26. November 1922 mit dem letzten Passagierdampfer am Hafen von Cefalù in Sizilien anlangten. Bis auf eine Gruppe Fischer, die sich auf der Rückseite eines umgedrehten Bootes niedergelassen hatten und über einem Feuer Sardinen rösteten, war der Kai wie ausgestorben. Die Frau im knöchellangen Tigerfellmantel mit der modischen Bubikopf-Frisur, die in Begleitung eines hageren jungen Mannes die Mole überquerte, zog sogleich alle Blicke auf sich. Mit ihrem mokkabraunen Haar, dem dunklen Teint und den schwarzen Kohleaugen hätte man sie für eine Sizilianerin halten können, doch ihre Extravaganz und die dominante Art, mit ihrem jungenhaften Begleiter im Schlepptau voranzustolzieren, straften diesen Eindruck Lügen.
Zielstrebig stakste die Frau mit den geschwärzten Augenlidern und den kirschrot geschminkten Lippen auf die Gruppe zu und richtete in gebrochenem Italienisch das Wort an sie: »Scusa, palare inglese?«
Ihre tiefe rauchige Stimme, die animalischen Gesichtszüge und die Verruchtheit, die von ihr ausging, weckten bei den Sizilianern Begehrlichkeit. Die Männer verneinten ihre Frage mit breitem Grinsen, woraufhin sich die Frau nach einer billigen Unterkunft erkundigte.
»Non caro?«, fügte sie hinzu.
»Non caro«, wiederholte einer der Fischer mit anzüglichem Blick auf die Fremde.
Dann trat ihr Begleiter, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, an die Fischer heran. Im Vergleich zu der Frau, der man ansah, dass sie gelebt hatte, wirkte der schlaksige Mann mit dem Jungengesicht wie ein Oberschüler. Der Altersunterschied der beiden war so offensichtlich, dass die Sizilianer sie für Mutter und Sohn hielten. Nach einem kurzen Wortwechsel mit den Einheimischen, bei dem sich das Missverständnis dahingehend aufklärte, dass es sich bei dem vermeintlichen »figlio« tatsächlich um den »marito« von »la tigre« handelte, fragte der junge Mann die Fischer nach dem Haus eines gewissen Signore Crowley. Bei der Erwähnung des Namens prusteten die Männer los und schienen sich über gar nichts mehr zu wundern.
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