Alicia Witowski
Die andere Freundin
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Inhaltsverzeichnis
Titel Alicia Witowski Die andere Freundin Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Impressum neobooks
Wir haben es geschafft! April, Carmen, Jessica und ich haben unser Studium beendet und wollen jetzt in unserer neuen Heimat Seattle engagiert und motiviert unseren Berufen nachgehen. April möchte als Polizistin durchstarten - was ich ihr echt nicht zugetraut hätte; aber man entdeckt ja immer wieder neue Seiten an Freundinnen. Jessica hat sich im Kindergarten beworben, was mich dagegen überhaupt nicht gewundert hat. Sie ist wie geschaffen für den Beruf; wenn sie mit Kindern zusammen ist, funkeln ihre Augen selbst wie die von glücklichen Kindern und ihr Lächeln und die offene Art ziehen nicht nur Kinder magisch an.
Carmen und ich haben beide Medizin studiert und wollen jetzt die besten Chirurgen der Welt werden (das sagen wir uns zumindest immer gegenseitig). An der Uni habe ich schon immer blöde Sprüche gehört, wie: „ Mensch, Sophie, dir traut man gar nicht zu Ärztin zu werden! Du siehst gar nicht so aus!“
Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was sie mir damit genau sagen wollten, aber das war mir schon immer egal. Mein Lieblingsfach war, seit ich auf das Gymnasium gewechselt habe, Biologie. Ich liebe es, etwas über den Menschen zu erfahren, Augen zu sezieren (ich weiß, hört sich voll abartig an!) und freue mich schon darauf, irgendwann einmal Leben zu retten. Medizin fasziniert mich und das ist der Grund, wieso ich mich dazu entschieden habe, sie zu studieren und letztendlich mein altes Leben um die 960 Meilen hinter mir zu lassen. Dieser Schritt ist mir alles andere als leicht gefallen, denn mein schlechtes Gewissen nagt noch immer an mir, dass ich meine Mutter so allein in L.A. zurückgelassen habe. Natürlich hat sie mir millionenfach versichert, dass sie sich für mich freut und ich mir keine Gedanken um sie machen soll. Und doch habe ich diesen traurigen Schleier in ihren Augen gesehen, als wir uns verabschiedeten. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, drückte sie mir einen Kuss auf die Stirn, wandte dann jedoch ihren Blick ab.
Ich seufze und zwinge mich, mich wieder der Realität zuzuwenden: Heute ist Mittwoch; Samstag werden wir eine coole Einweihungsparty schmeißen, damit wir (erstens) feiern können, dass wir in das Haus von Aprils verstorbenen Eltern eingezogen sind und (zweitens) so schnell wie möglich neue Bekanntschaften schließen können.
Ich würde nicht behaupten, dass ich Angst vor Neuem habe, doch trotzdem kann ich nicht leugnen, dass ich ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch hatte – und immer noch habe -, als wir vier zusammen auf dem Weg nach Seattle waren. Klar, ich habe meine drei besten Freundinnen an meiner Seite, doch man fühlt sich etwas wie ein Außenseiter, wenn man so gar keinen kennt. O Gott, mein Herz schlägt ungefähr zehn Mal so schnell, wenn ich zu sehr ins Nachdenken komme. Ich. Allein. In einer neuen Stadt. Alles ist neu. Neues Haus. Neue Umgebung. Neuer Job. Okay, tief durchatmen, Sophie, alles ist gut! Sieh dich doch nur um, dieses Haus ist der Hammer! Mega groß, dein Zimmer ist super (wenn es denn irgendwann mal fertig eingerichtet und dekoriert sein sollte) und du bist nicht allein.
Na super, jetzt fange ich auch schon an, Selbstgespräche zu führen.
Also, die Vorbereitungen laufen hier auf Hochtouren, jeder von uns läuft geschäftig von A nach B und meine besten Freundinnen haben mir natürlich das Putzen überlassen, wobei ich in diesem riesigen Haus gar nicht weiß, wo ich anfangen soll!
Tja, was macht man nicht alles für die besten Freundinnen?
Als ich vom Einkaufen mit vier großen schweren Tüten zurückkomme – und eine kurz davor ist, mir zu entgleiten - trifft mich mal wieder der Schlag: Wir sind zwar eingezogen, doch wohnen kann man diesen Zustand hier nicht nennen. Da gibt es einen gewaltigen Unterschied, wie ich jetzt herausgefunden habe: Entweder stehen noch Kartons kreuz und quer im Raum verteilt oder die Möbel stehen im Weg, sodass man fast darüber stolpert. Ich meine, es ist doch klar, dass wir die alten Möbel von Aprils Eltern nicht behalten wollten oder? Also mussten wir alle unsere eigenen Möbel mitschleppen lassen, doch diese wurde einfach irgendwo abgestellt. An jenem Abend, an dem wir hier eingezogen sind, haben wir nur darüber gelacht, weil wir zu erschöpft waren um uns noch großartig aufzuregen, aber nach und nach wird uns bewusst, dass das alles gar nicht so lustig ist, sondern ganz schön nervig. Ich meine, man muss sich mal vorstellen, wenn man ins Wohnzimmer geht und jedes Mal gegen die Couch rennt! Ich habe schon zig blaue Flecken!
Als ich dann einen Weg zur Küche gefunden habe und die vielen Tüten ächzend abstelle, blicke ich dem puren Chaos entgegen: April backt.
Anscheinend starre ich sie mir offenem Mund an, denn als sie aufschaut und mich sieht, sagt sie: „ Guck nicht so! Ich backe nur ein bisschen was für die Nachbarn. So zur Begrüßung …“
„ Als ob die dich nicht schon kennen“, entgegne ich trocken und denke mir lieber meinen Teil. Manchmal verstehe ich April wirklich nicht. Was denkt sie sich denn? Sieht sie denn nicht, wie viel Chaos hier herrscht? Wenn wir das beseitigt haben, kann sie meinetwegen so viel backen, wie sie möchte. Am Rande bemerke ich die vielen Schüsseln, Tarte- und Muffinformen und frage mich, wo sie die wohl alle her hat, während ich den Kühlschrank einräume.
Meine beste Freundin schaut mich anklagend an und schimpft: „ Mensch, Sophie! Klar, die Nachbarn kennen mich, aber euch doch nicht.“ In einem etwas versöhnlicherem Ton fügt sie hinzu: „ Nachher gehen wir alle zusammen zu den Nachbarn, geben ihnen den Kuchen und die Muffins und ihr stellt euch vor. Mit den anderen habe ich das schon abgemacht.“ Sie seufzt theatralisch und wischt sich über die Stirn, wobei sie sich selbst und ihre rötlich-braunen Haare völlig mit Teig vollschmiert. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fügt sie mit einen Blick auf die vielen Formen und Bleche hinzu: „ Schon erstaunlich, was man so alles von seinen Eltern findet, nicht wahr?“ Sie nimmt eine ziemlich alte und ulkig aussehende Schüssel in die Hand und strahlt. „ Ist die nicht toll? Wusste gar nicht, dass meine Eltern so etwas besitzt haben.“
Ich halte kurz inne, betrachte die Schüssel mit einem – wie ich hoffe – neutralem Gesichtsausdruck, doch als ich in Aprils Gesicht blicke, muss ich so sehr anfangen zu lachen, dass mir die Tränen kommen. Da stimmt sie mit ein, doch nachdem ich fast keine Luft mehr bekomme und mein Bauch so sehr weh tut wie schon lange nicht mehr, schnappe ich nach Luft und versuche mich zu beruhigen. „ April, vielleicht sollten wir lieber aufräumen“, japse ich und wische mir dabei eine Träne aus dem Augenwinkel.
Daraufhin rollt April nur mit den Augen, doch sie fängt tatsächlich an, aufzuräumen. Aber das macht sie bestimmt nicht wegen mir, wahrscheinlich war sie eh schon fertig. April ist sehr entschlossen und selbstständig, wenn es darum geht, was sie sich vorgenommen hat. Sie setzt das durch, was sie für richtig hält und achtet auf keinen anderen. Andererseits sehe ich in ihr trotzdem manchmal die schüchterne und ängstliche April. Deswegen war ich ja auch so erstaunt, als sie verkündet hat, dass sie als Polizistin arbeiten will.
In dem Moment kommen Carmen und Jessica herein. Sie kichern und stupsen sich gegenseitig an, wobei Jessica jedoch fast an die Wand knallt. Ich muss schmunzeln. Verschiedener können sie nicht sein: Carmen ist sehr selbstbewusst, lässt sich von niemandem etwas sagen und will uns alle beschützen, weil sie etwas kräftiger gebaut ist als wir anderen. Sie hat sogar einmal gesagt: „ Ich würde, egal wen, auch zusammenschlagen, wenn er euch belästigen würde!“ Und ein Typ von der Uni hat mal gesagt, sie würde glatt als Türsteherin durchgehen und nicht als angehende Ärztin. Um es nett zu sagen: Carmen wurde sehr aufbrausend und ich konnte gerade so verhindern, dass sie auf den Typen losgeht, wobei ich denke, ein blaues Auge wäre für ihn noch harmlos gewesen.
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