Was ist noch alles im Sommer 1990?, ich führe zur Zeit wiedermal sehr wenig Tagebuch, aber mit den aufgeschriebenen Stichpunkten kann ich durchaus etwas anfangen. Wie angedeutet heirate ich wahnwitziger Weise ein drittes Mal, über dessen Unverständlichkeit ich mich bereits ausführlich ausgelassen habe.-
Udo borgt sich Geld von seinen Eltern, er kauft das Auto von meinem Chef, Herrn Vogenschmidt, ... einen alten Opel. Zuerst finde ich das nicht gut, aber dann doch nicht so verkehrt, ich hoffe, Udo würde sich mit seiner Trinkerei zusammenreißen, weil er das Auto fahren muss. Udo meint eines Tages: „Es gibt jetzt so viel Kreditangebote in der Zeitung, da können wir doch auch einen aufnehmen und das Geld schneller zurückzahlen, was meine Eltern gegeben haben“. Ich gebe zu, die Idee nicht schlecht zu finden und willige ein. „Ich beantrage etwas mehr, ... dann können wir etwas nehmen davon, wenn wir eine neue Wohnung bekommen und vielleicht einmal irgendwohin in den Urlaub fahren möchten“. Es sind einmal gute Worte, ich habe die Hoffnung, es normalisiert sich vielleicht doch noch alles und die Saufeskapaden unterbleiben, damit ein einigermaßen normales Leben geführt werden kann, wenn es auch nicht auf diese Art herbeigesehnt wurde. Ich für meinen Teil werde mich bemühen, um dazu beizutragen, es bleibt mir ohnehin nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden und zu arrangieren, an mir soll es nicht liegen, Frank durfte oder konnte es nicht sein, ... leider, ehrliche Hände habe ich nicht annehmen wollen, ... also bitte, ... etc. pp. .- Der Kredit wird beantragt, es kommt schnell eine Antwort darauf, er sei genehmigt, erfordere aber eine Bearbeitungsgebühr von 400, - DM. Durch die Arbeit bei Vogenschmidts habe ich ganz mühselig angefangen, wieder alles auf die Reihe zu bekommen. Es reicht gerade aus, um diese Summe auf den Tisch legen zu können. Die Bearbeitungszeit soll etwa drei Wochen dauern, dann würden wir das Geld haben. Es vergeht Woche um Woche, Monat um Monat, … aber es kommt kein Geld, ... ich glaube nicht mehr daran, aber Udo meint, wir werden es schon noch kriegen. - Natürlich kam es nicht, ... bis zum heutigen Tage nicht, wir waren auf einen Betrüger hereingefallen, die äußerst mühsam zusammengekratzten 400, - DM waren weg auf nimmer Wiedersehen. Dafür kann ich Udo natürlich nicht die Schuld zuweisen, ich hätte damals ja auch nicht gedacht, dass es so einen Schwindel geben könnte, so etwas kannten wir ja nun in der DDR gleich gar nicht. Später fiel ich noch einmal auf einen Betrug herein, es kam Post, mit der Werbung war sie dabei. Es war ein silbernes Kettchen abgebildet, es hieß, wenn man 10, - DM bezahlt, also überweist, dann bekäme man dieses Schmuckstück in Gold. Ich habe überwiesen, aber niemals das versprochene Goldkettchen bekommen, ... nur die 10 - DM waren weg. Wir DDR - Bürger wurden wie schon erwähnt ganz schön über` s Ohr gehauen, so mancher Spitzbube hat sich seine Wasserhähne damit vergolden lassen, wie man sagt. Ich bin nie wieder auf so etwas hereingefallen, ... bis zum heutigen Tage nicht. Ich sage besonders meiner Mutter und den Kindern immer wieder: Hände weg davon, überhaupt wenn es heißt, dass im Voraus etwas bezahlt werden soll. Selbst jetzt noch, so viele Jahre nach der Wende fallen noch etliche, besonders ältere Menschen auf solche Gauner herein. Die Betrugsgeschäfte haben Hochkonjunktur, noch immer, alles mögliche wird sich ausgedacht, von unlauteren Gewinnspielen bis zu Telefonaten bei denen man abgezockt wird. Je länger man sich am Telefon hinhalten lässt, umso mehr wird man anschließend zur Kasse per Telefonrechnung gebeten. Preise und Gewinne werden angepriesen, ... man braucht nur etwas bestellen, ... und schon hat man gewonnen! . Betrüger kommen bis an die Wohnungstür, als Überprüfer oder Monteur der Gas oder Stromleitung, ... oder was auch immer. Besonders alte Menschen werden regelrecht genötigt etwas zu unterschreiben, ... schon bekommt man irgendwelche Geräte oder Zeitschriften nicht mehr los. Man weiß nicht mehr, wem man noch Vertrauen schenken kann und wem besser nicht. Es leiden diejenigen darunter, die auf ehrliche Art und Weise ihr Geld verdienen möchten, bzw. müssen. Na ja, das nur so kurz nebenbei, obwohl es keineswegs Nebensache ist, wir alle mussten oder müssen noch heute lernen damit umzugehen. Wer ehrlich ist, der gibt zu, dass wir gelernten DDR - Bürger, wie wir genannt werden, oder uns auch selber bezeichnen, den sogenannten, viel angepriesenen „goldenen Westen“ etwas anders vorgestellt haben. Wir lebten auf alle Fälle ein sichereres und ruhigeres Leben. Jetzt überall hin fahren zu dürfen und in den Supermärkten alles kaufen zu können, vorausgesetzt man kann es sich leisten, ... ich weiß nicht, ob alles damit aufgewogen wird?, ... ich für meinen Teil möchte es in Frage stellen. Mit unseren Kindern geht es doch weiter, ... wo ist die Möglichkeit geblieben, ein garantiert sicheres Leben führen zu können?, bei „uns“ gab es nicht einen einzigen Schulabgänger, der keine Lehrstelle bekommen, und damit keinen Beruf erlernen konnte. Auch wenn es manchmal nicht den Vorstellungen des Schulabgängers entsprach, aber der Begriff „Ungelernt“, das war für uns ein Fremdwort. Von der unterschiedlichen Bezahlung sprach ich bereits und sicher gab es in der DDR einzelne Berufsgruppen, die ein wenig mehr in der Tasche hatten, ... das gab es, … das gibt es, und das wird es immer geben, ... aber die breite Masse hatte in etwa das Gleiche, ... so große Unterschiede wie sie es jetzt sind, ... . Wir entwickeln uns dahingehend, nur noch arme oder reiche Leute zu haben, ... die Mittelschicht wird es bald nicht mehr geben. Es kann doch nicht sein, dass es Leute gibt, die vor lauter Dummheit nicht mehr wissen, was sie alles mit ihrem Geld anstellen sollen, leben in Saus und Braus, verbringen ihr Leben in teuren Luxushotels, lassen eine nicht ganz penible Tischdecke oder eine Fliege an der Wand zu einer Katastrophe werden, während andere Menschen kein Dach mehr über dem Kopf haben. Es gibt wieder Hunger in Deutschland und Menschen, die wie Tiere aus Müllkübeln etwas Essbares heraussuchen und noch dafür betraft werden, weil ihnen diese Abfalltonne nicht gehört, … nicht alle Menschen, die das betrifft sind auch automatisch selber schuld daran, ... von unseren Straßenkindern ganz zu schweigen. Das ist nicht nur für uns Mütter, die einigermaßen normal im Kopf sind eine schauerliche Vorstellung, ... oder nicht?, … unser marodes Gesundheitswesen, wo man oft sagen muss: weil du arm bist, musst du früher sterben, ... und, ... und, ... und, ... haben wir, ... hast Du das alles wirklich so gewollt?, ist das nicht etwas, worüber man dringend nachdenken sollte?, ... es wird noch nicht die Spitze des Eisberges sein, wir sollten aufpassen, dass es niemals so eine Spitze gibt, man muss dringend etwas tun, damit sie rechtzeitig abbricht.-
... Also kaufen wir das Auto von Familie Vogenschmidt, ich hoffe auf einen Zusammenriss von Udos Seite aus betreffs des Alkoholkonsums. Weil ich von der Stadtverwaltung in Domstedt noch nichts gehört habe, was den Wohnungsantrag betrifft, gehe ich selbst noch einmal hin um vorzusprechen. Ich falle aus allen Wolken als man mir sagt, der Herr Wolmirstedt hätte überhaupt keinen Antrag abgegeben. Als ich ihn daraufhin zur Rede stelle, zuckt er nur mit den Achseln und sagt dazu bloß: „Mmmm, ... hab` ich wohl vergessen“. „Na, wie kann man denn das vergessen?, ... Du hast doch direkt gesagt als wir bei meinen Eltern waren, Du warst dort, ... also musst Du doch ganz bewusst gelogen haben!“, stelle ich ärgerlich fest und finde nicht die rechten Worte. „Ich war jedenfalls heute auf dem Amt und habe es nachgeholt, ... wenn ich nicht dort gewesen wäre, dann hätten wir ewig warten können bis sich etwas tut“. Ich bekomme wie so oft keine Antwort, von irgendwoher kenne ich das bereits, er geht stattdessen aus dem Zimmer und holt sich gleich nochmal mehrere Büchsen Bier, um sich hoffentlich nicht so oft erheben zu müssen. Ich sage dann noch, dass es mir bei Vogenschmidts recht gut gefalle und ich ja nun schon eine ganze Weile dort wäre. „Na, ist doch schön“, quält er sich heraus. Ich gehe in den Garten hinterm Haus, wo Carlo bereits mit Raffael und ein paar anderen Kindern spielt. „Hallo, … Mutti“, ruft er als er mich sieht. „Na, was macht Ihr den schönes mein Junge?“, wollte ich wissen. „Wir haben uns eine Höhle gebaut!“, freut er sich. „Oh, das habt Ihr aber schön gemacht, ... das sieht gut aus!“, staune ich. Die Kinder haben vom Nachbarzaun her eine Decke gespannt, und diese über einen Zweig vom Apfelbaum gehängt. Es ähnelt den „Behausungen“, die wir schon als Kinder immer am Steiger gebaut haben. Es ist ein sehr warmer Tag und sehr trocken im Garten, das Unkraut geht sehr schlecht heraus. Irgendwie habe ich keine Lust mehr dazu, es ist mein freier Tag heute, den ich einmal in der Woche habe, weil ich ja, wie es im Gaststättengewerbe üblich ist, fast jedes Wochenende arbeiten muss, ... wenn auch nicht in Vollzeit. Carlo kann wenn er Ferien hat, oder eben an diesen Wochenenden, wenn ich arbeiten muss, für ein geringes Entgeld zur Gaststätte kommen um zu essen und ich bin zufrieden, weil Carlo sein regelmäßiges Essen bekommt. „Carlo, ... wollen wir nicht zum Baden gehen?, es ist so schönes Wetter, ich habe gar keine richtige Lust mehr auf Gartenarbeit heute“, schlage ich vor. „Ja, ... aber kann der Raffael auch mitkommen?“, fragt er. „Ja, natürlich kann er auch mitkommen, aber er muss erst seine Mutti fragen, damit sie ihn nicht sucht“. Beide Kinder rennen ins Haus, um mit der freudigen Botschaft, Carlos Freund dürfe mitgehen zurückzukommen. Ich packe ein paar Sachen ein, wir machen uns auf den Weg zum Strand. Es ist ein schöner Nachmittag, während die Jungs herumtoben und sich mit Quallen bewerfen, sehe ich ihnen zu und kann mich ein wenig entspannen. Sehr weit ins Wasser geht Carlo nicht, meist nur bis zur Hüfte, er beschäftigt sich lieber mit dem Bauen von Wassergräben oder Burgen, das eigentliche baden ist für ihn zweitrangig. Bis heute bleibt Carlo nicht gerade das, was man eine Wasserratte nennt. Natürlich gibt es auch noch Eis für die beiden, ich gebe zu, ich wünsche mir, Udo würde bereits zur Arbeit unterwegs sein wenn wir kommen. Es wird Gott sei Dank immer sehr spät wenn er nach Hause kommt, schließlich haben wir Hauptsaison. Er fährt zur Zeit mit dem Opel auf Arbeit, so scheint sich meine Hoffnung in Bezug auf die Trinkerei, die sich eben gerade jetzt in Grenzen zu halten scheint, in eine positive Richtung zu entwickeln, obwohl er trotz allem nie ohne Fahne nach Arbeitsschluss zu Hause eintrifft. Ich wundere mich nur immer, dass er noch nicht in eine Polizeikontrolle geraten ist. Wenn ich meine Befürchtungen dazu preisgebe meint er nur: „Ich weiß nicht was Du hast?, ... ich trinke doch nicht“. Es sind Worte, die ich vor geraumer Zeit in meinem Leben schon öfter gehört habe.-
Читать дальше