.. zu verurteilen sind natürlich die Vorkommnisse an der Grenze, ... keine Frage, ... hätte man uns doch reisen lassen, wo man gern hin gewollt hätte, ... und wenn ich nur an das Gesundheitswesen denke, ... wenn so mancher gemerkt hätte, in der DDR ist genanntes, wie so manch `andere Dinge auch nicht schlecht, ... sie wären wieder zurückgekommen, ... die meisten von ihnen jedenfalls. Ich glaube, dass sich, wenn man uns nicht eingesperrt hätte, ... wenn ich den Ausdruck wieder anwenden darf, ... dann hätte sich sicher nach einem vorausgegangenen Durcheinander im gemeinsamen Deutschland vieles von selber gelöst. Zumindest hätte man nicht übereilt alles, was es bei uns gab, abschaffen sollen , sondern aus jedem Teil Deutschlands das beste herauspicken sollen, um etwas Gemeinsames daraus zu machen, ... eben Einigkeit im vereinten Deutschland, ... aber noch heute, bald zwanzig Jahre später gibt es noch immer ungleiche Löhne und Renten, mit welchem Recht verdient man im „Westen“ mit gleicher Ausbildung im gleichen Beruf mehr als im „Osten“?, ... warum bekommen westdeutsche Frauen mehr Rente als Ostdeutsche?, obwohl wir Frauen in der DDR, außer unseren kleinen Babypausen immer in Vollzeit gearbeitet haben und auch zumeist mehr Kinder geboren haben als die westdeutschen Frauen, die ja auf Grund ihrer Mutterschaft nur stundenweise arbeiten „konnten“, weil sie sonst alles andere im Haushalt nicht schaffen oder geschafft haben?. Warum verdienen Frauen, die im Beruf die gleiche Voraussetzung erfüllen wie ihre männlichen Kollegen weniger als diese?, ... mit welchem Recht bitte?. Bald schon kristallisiert sich diese „Schere“ heraus, das heißt, es gibt schon fast keinen Mittelstand mehr. Es gibt keine breite Masse mehr, so wie es in der DDR war, in dem Sinne, dass in Etwa alle, bis auf Ausnahmen, die sich aber relativ gering halten; und bis auf die Obrigkeit natürlich, das gleiche Einkommensniveau hatten. Besser Verdienende wird es immer geben, das ist eine unabänderliche Tatsache in jeder Gesellschaftsordnung. Aber jetzt ist es so, dass es Leute gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrem vielen Geld, während andere nichts zu essen haben und ihr Quartier im Freien aufschlagen müssen. Solange keine Gleichberechtigung geschaffen wird, was vor allem Löhne und Renten betrifft, so lange wird es immer „Ossi“ und „Wessi“ bleiben. Wie steht es um unser Gesundheits - und Sozialsystem in der gegenwärtigen Zeit? .Na, ja, ich möchte aus und mit meinem Buch keine politische Abhandlung produzieren. Es würde Seiten füllen, und wenn die Aufzeichnung meines Lebens dann ein Schulaufsatz wäre, würde der Lehrer darunter schreiben: Thema verfehlt!. Aber weil die Politik ja auch irgendwie immer den einzelnen Menschen beeinflusst, so auch mich, möchte ich es halt nicht ganz und gar „außen vor“ gelassen haben und werde sicher im Laufe meiner Niederschrift, dazu die eine oder andere Andeutung machen und meinen Kommentar abgeben.
Jedenfalls spricht es sich in unserem Sanatorium ganz schnell herum, dass ich noch vor Weihnachten gehen würde, am schlimmsten war es, mit meinen Eltern darüber zu sprechen, meine Mutter schreit mich an vor Entsetzen, mein Papa sinkt in sich zusammen und sagt nichts. Ich gebe mir heute noch die Schuld daran, weil es fort an mit seiner Gesundheit abwärts ging. Heute weiß ich, es ist manchmal ein blöder Satz, wenn man sagt: Ich bin doch nicht aus der Welt. Ich spreche an diesem Tag kaum noch ein Wort mit meinen Eltern, bzw. sie nicht mit mir, ... ich gehe einfach. Am gleichen Abend bin ich noch bei Jasmin, sie sagt nur: „Du spinnst doch!, ... weißt Du das?“. Am vorletzten Arbeitstag treffe ich Willi im Flur: „Ich habe gehört, Du gehst fort?, ... sag` bitte, dass das nicht stimmt“. Er zieht mich an sich und flüstert: „Du, ... ich brauche Dich doch, ... Du kannst doch nicht so einfach gehen, ...das geht nicht“. Ich beginne zu stottern. „ ... Willi, … ich, ... Du, ...“. „Ich hab` es Dir nie gesagt oder spüren lassen, dass Du nicht nur eine Affäre für mich bist, ... bitte überlege es Dir,... bleib` doch hier, ... bitte!“. Ich bin verwirrt und auch berührt von dem was er sagt, aber antworte nur: „Tut mir leid, Willi, ... aber alles ist zu spät, ... ich muss gehen, ... aber vergessen werde ich Dich sicher nicht, ... glaube es mir“. Es kommen Patienten in Richtung Labor, aber er küsst mich trotzdem auf den Mund. Ich befreie mich aus seinen Armen und drehe mich um. „Adieu Willi, ... mach` s gut, ... vielleicht sehen wir uns ja mal wieder!“. „Ja, ... denn, ... man kann nie wissen“, er seufzt kurz und geht ohne sich noch einmal umzudrehen seiner Wege, er lässt ein sonderbares Gefühl zurück. Am nächsten und letzten Tag feiern wir noch ein wenig in der Kantine meinen Ausstand und trinken Wein. Wir sind recht viele, natürlich sämtliche Laborkollegen, der Oberarzt Dr. Abschied, die Kurierfahrer und Angestellte aus der Küche, natürlich auch die Katarina, die am Schluss als ich gehe mit Sibylle um die Wette heult. Die nächsten paar Tage habe ich noch frei, ich packe die Reste in, bzw. aus meiner Wohnung zusammen. Ich fahre nochmal mit dem Bus nach Seelstein und gehe zur Sonnenburg, anschließend zu meiner Freundin Hanni um auch ihr tschüss zu sagen. „Ach, meine gute Meggy, ... die älteste und die jüngste“, meint sie. „Ich hoffe nur für Dich, dass Du es richtig machst, aber ich werde Dich vermissen, Du wirst mir doch hoffentlich schreiben, ... und sag` auch, wenn es Dir schlecht geht“, spricht sie, als ich bereits wieder in der Tür stehe. „Ja, ... meine Hanni, ... das mache ich ganz sicher, ... versprochen“, ich drücke sie noch einmal und fühle mich gar nicht gut. Zurück zum Bahnhof fahre ich ein letztes Mal mit dem Barkas nach Lohra mit. Es ist so als würde ich durch dichten Nebel fahren, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich bitte den Kurierfahrer, mich an der Querstraße zu St. Josef abzusetzen, ich will mich noch von Familie Peters verabschieden. Ich steige also aus und gehe den kleinen befestigten Feldweg nach St. Josef zu Fuß. Noch heute habe ich, wenn ich darüber schreibe ein Gefühl, als wäre mein Herz ein Klumpen, der schwer in meiner Brust liegt und noch genauso schmerzt wie damals, nur dass ich heute wie gesagt keine Antwort darauf finde, warum ich mir diese Schmerzen angetan habe. Als ich ankomme ist es dunkel, auch im Stall brennt kein Licht mehr. Auf mein Rufen im Hausflur dringt wie immer Charlottes liebe Stimme an mein Ohr: „Komm` rein Meggy“. In der Küche ist es schön warm, ein Adventsgesteck steht auf dem Tisch. Martin ist nicht da, Kuno sitzt am Tisch und liest Zeitung, Simon nestelt an einem Taschenkalender herum und legt ihn beiseite als ich eintrete: „ Na, mein Herzblatt, ... was gibt es denn ? ", will er wissen von mir. Ich lasse mich wie ein nasser Sack auf einen Stuhl fallen. „Jaaaa, ... ich, ... ich, ... ich wollte Euch tschüss sagen,... ich ziehe noch vor Weihnachten zu meinem Freund Udo an die Ostsee“. „Also stimmt es doch, ... ich habe es schon gehört, ... aber ich wollte es nicht glauben, ... Mädchen, was ist denn das für eine Idee?“, meint Kuno, er wackelt mit dem Kopf, aber im Gegensatz zu sonst finde ich es nicht mehr lustig. „Du willst fort?, ... nee, ... das glaube ich nicht, ... Du findest es gut, an die Ostsee zu ziehen?“, sagt Simon ehrlich verblüfft, er steht auf und holt aus dem Küchenschrank ein paar Gläser und gießt jedem einen Korn ein. „Jetzt will ich es nochmal aus Deinem Munde hören, dass Du gern von uns allen hier weg willst!“. Er trinkt das Glas in einem Zuge aus während Kunos Hand derart zittert, dass er die Hälfte dabei vergießt und den verbliebenen Rest umständlich austrinkt. Ich kann irgendwie nichts mehr sagen. „Du willst doch überhaupt nicht von hier fort“, spricht Simon weiter, er packt mich an den Schultern und schaut mich an. Ich weiß, er hat recht und spätestens jetzt hätte ich mein Vorhaben rückgängig machen müssen, ... jetzt, nachdem Simon versucht hat mir diese Brücke zu bauen. Eine letzte Gelegenheit die ich nicht wahrgenommen habe, aus meiner Situation wieder herauszufinden und meine falsche Entscheidung in eine Richtige umzuwandeln, ... der Mut dazu war nicht da.-
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