Im September kommen wieder die Geburtstage, erst Carlos, dann Tessas erster Geburtstag, gefolgt vom 70. Geburtstag meiner Mutter, sie kommt am 6. September und bleibt bis zum Monatsende. Leider ist das Wetter im Jahr 1993 nicht gerade das beste, es regnet viel, im Garten bleibt dementsprechend allerhand liegen. Henny ist zu den Geburtstagen nicht da, sie ist mit ihrem Freund Matthias im Spanienurlaub. Schade, aber ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, dass sie in Richtung eigene Familie zusteuert. - Zu allen Geburtstagen habe ich selber gebacken und zum runden Ehrentag meiner Mama sind wir bei Vogenschmidts zum Mittagessen, am Abend haben wir beim Partyservice Platten bestellt. Udos Eltern sind da und ich ärgere mich über Udo, er reißt sich wie immer vor seinen Eltern zusammen und tut, als ob alles in bester Ordnung wäre. Es kostet mich Kraft und Mühe, mir nichts anmerken zu lassen um meiner Mutter nicht den Tag zu verderben. Alles in allem hege ich den Gedanken, Udos Eltern merken vielleicht, dass etwas nicht stimmt, es ist mir aber wurscht, im Gegenteil, es wäre bestimmt hilfreich, wenn sie wüssten was hier los ist.-
Anfang Oktober ist Henny mit ihrem Freund ein paar Tage bei uns, ich bekomme in dieser Zeit die Bestätigung meiner Anmeldung zum Führerschein machen. Schon bald soll es losgehen, zuerst mit dem theoretischen Unterricht. Es ist günstig, es steht dafür in Domstedt ein Raum zur Verfügung, so brauche ich nicht so weit aus dem Haus gehen. Der Fahrlehrer wohnt uns direkt gegenüber, Henny macht mir Mut, sie sagt: „Der Herr Fleischer ist ganz ruhig und in Ordnung, … das schaffst Du schon“, er war auch ihr Fahrlehrer.
Ich nutze jeden Tag im Oktober, an dem es nicht regnet, um den Garten wenigstens einigermaßen in Ordnung zu bringen und pflanze noch allerhand neue Stauden.
Im November rennt Tessa bereits wie ein Wiesel durch die Gegend und beginnt hin und wieder zu versuchen, ihren eigenen Kopf durchzusetzen und „dreht ihr kräftiges Organ manchmal ganz schön auf“ , wenn ihr etwas nicht passt. Wenn sie nicht schlafen will und man dabei die Tür nicht schließen soll, hüpft sie im Bett immer auf und nieder, macht ihrem Ärger ausdrucksvoll Luft, wird dabei puterrot im Gesicht. Carlo amüsiert sich über die Unbilden seiner kleinen Schwester, Miss. Elli fegt dann auch noch bellend durch die Wohnung. Manchmal könnte ich mir direkt Watte in die Ohren stopfen, damit ich mich auf meine Fahrschulbögen besser konzentrieren kann, ich habe nur den einen Gedanken: Du musst es schaffen, du musst!, du musst selber Auto fahren können. Ich bin glücklich, als ich Mitte November 1993 meine theoretische Prüfung mit null Fehlern bestehe.-
Ende November fahre ich allein übers Wochenende nach Seelstein, lasse die Kinder, wenn auch ungern bei Udos Eltern. Ich treffe mich mit Henny und meiner Mutter auf dem Friedhof zu Papas ersten Todestag, wir holen Erinnerungen hervor, vermissen ihn alle sehr. - Zu Mitte Dezember kommt meine Mutter wieder zu uns nach Domstedt und bleibt über den Jahreswechsel hier. Allerdings bringt es Udo wieder fertig, mit seiner Sauferei das Weihnachtsfest zu verderben. Ich habe das Gefühl, jetzt, wo mein Vater nicht mehr bei uns ist, reißt er sich auch vor meiner Mutter nicht mehr zusammen. Ich habe mir so viel Mühe gemacht, angefangen mit der Tischdeko bis zum Essen kochen und backen. Ich habe mich gefreut, denn auch Henny kommt einen Tag vor Heilig Abend und bleibt bis zum 2. Weihnachtsfeiertag, so sind wir übriggebliebenen wenigstens ein paar Stunden zusammen, schlimm genug, dass wir schon lange nicht mehr vollständig sind. Udo kann nicht anders, als sich derart ungehobelt zu benehmen, nicht nur, dass er wieder dem Alkohol kräftig zuspricht, so dass er im Zimmer einschläft, er ignoriert meine Mühe, die ich mir zum Fest mache, obwohl mir das sehr schwer gefallen ist, eben weil mir mein Papa so sehr fehlt und all` die anderen Gedanken von mir Besitz ergreifen, während ich mit meinen Vorbereitungen beschäftigt bin. Für Heilig Abend bastele ich eine Tischdeko in Form eines Spiegels, der eine Eisfläche darstellen soll. Ich lasse die Fläche zum Leben erwecken, indem ich Schneemänner, Schlittschuhläufer, Tiere, Häuser und Tannenbäume darauf platziere. Schneeberge aus Dekospray und eine Beleuchtung lassen es recht gelungen aussehen, ich wundere mich selber, dass ich es fertiggebracht habe. Meine Mama sagt zu Udo: „Sag` mal, siehst Du gar nicht, wie schön die Meggy das alles gemacht hat?, es hat viel Mühe, Liebe und Arbeit gekostet?“. Er aber antwortet bloß: „Na, ... warum macht sie das denn, es hat ihr doch keiner gesagt, dass sie es machen soll!“. Wir schauen uns alle an und können nur mit dem Kopf schütteln. „Jede Unterhaltung über so etwas, ... und überhaupt über alles mit Dir, ist sinnlos und verschwendete Zeit“, meint Henny und bekommt darauf wie üblich von ihm keine Antwort. -
Zwischen Weihnachten und Neujahr melden sich wieder einmal Richard und Nadja Bargeshagen, sie haben indessen geheiratet und laden uns ein, doch zu Silvester einmal bei ihnen vorbeizukommen. Große Lust habe ich nicht, Udo würde sowieso wieder aus der Rolle fallen, aber meine Mutter meint, ich solle mitgehen, wenn sie schon mal da ist, ich käme dann wenigstens einmal aus dem Trott heraus, sie bietet sich an, auf Carlo und Tessa aufzupassen. Udo gibt vor, am besagten Nachmittag irgendwelchen Kollegen einen Silvesterbesuch abstatten zu wollen. Ich trinke mit meiner Mutter und den Kindern Kaffee, mache mich dann ein wenig zurecht, ... und wer nicht kommt ist Udo. Gegen 22.00 Uhr ziehe ich mich wieder um, mache es mir mit meiner Mutter und Carlo gemütlich, gegen 23.00 Uhr kommt er zurück, polternd natürlich, ... aber eigentlich habe ich es auch nicht viel anders erwartet, er ist so voll, dass er nicht mehr gerade stehen kann. „Na, was is nu?, gehen wir?“, lallt er und taumelt in eine andere Ecke. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich so mit Dir weggehe, in so einem Zustand, in dem Du Dich befindest?“. Er murmelt etwas unverständliches, so etwas wie Spielverderber und wie blöd ich sei. Carlo ist indessen im Bett, ich habe versprochen ihn zu wecken, wenn die Raketen losgehen, das tue ich dann auch, er darf mit uns anstoßen, also mit Oma und mir, Udo schleppt sich mit Mühe ins Schlafzimmer, ... verschläft alles. Meine Mutter schläft bei Tessa, Carlo hat sein Zimmer und ich übernachte in der Stube. Im Schlafzimmer bleibe ich schon lange nicht mehr, wenn meine Mutter abgereist ist, schlafe ich wieder bei Tessa.
Endlich, ... mein Führerschein
Wie beim letzten Jahreswechsel ist es auch diesmal, das Jahr 1993 endet alles andere als gut, das neue Jahr
1994 fängt nicht viel besser an. Meine Mutter fährt am 6. Januar nach Seelstein zurück, Udo ist noch immer bei dieser fragwürdigen Maklerfirma, bringt mal etwas Geld mit nach Hause, mal nicht, … mal geht es ein paar Tage mit der Sauferei, dann geht es wieder überhaupt gar nicht, … ob viel oder wenig,- einen nüchternen Zustand gibt es jedenfalls schon lange nicht mehr nicht mehr. Vergessen zu erwähnen habe ich, dass wir seit ein paar Wochen endlich auch Telefon haben, ich brauche jetzt, wenn ich mit meiner Mutter oder Henny sprechen möchte, nicht mehr bis zur Telefonzelle laufen. - Ich denke nur dauernd daran, ich will unbedingt meinen Führerschein haben, um vor allen Dingen auch arbeitstechnisch mehr Möglichkeiten zu haben. Ich kann mich auf Udo nicht verlassen, ... und zum anderen natürlich deshalb, um vor allen Dingen mich mit den Kindern, der Gefahr, die von Udos Trinkerei ausgeht, nicht mehr aussetzen zu müssen. Ich will versuchen, wieder im Gesundheitswesen unterzukommen, so wie ich es mir schon lange wünsche. Um mich von diesen Grübeleien etwas abzulenken, nehme ich mir die Küche vor, renoviere sie noch einmal. Zwar hat sie Udos Vater gemalert bevor wir eingezogen sind, aber es löst sich die Tapete ab, ich bin der Meinung, es wurde mit dem Tapetenleim zu arg gespart, bei mir jedenfalls kam noch nie eine Tapete, auch nach noch so langer Zeit wieder entgegen. Bei der Gelegenheit ordne ich die Küchenschränke ein wenig anders an, ich platziere die Hängeschränke an einer anderen Stelle. Es ist für mich zu dieser Zeit noch kein Problem, die Schränke ab und umzuhängen, bzw. wieder einzuhängen. Heute kann ich zwar noch akkurat die Löcher bohren und mit Dübeln versehen, aber ich habe nicht mehr die Kraft, so einen Hängeschrank, auch wenn er leer ist, alleine abzunehmen, bzw. wieder aufzuhängen. Ich mache mich an die Arbeit als Udo aus dem Haus ist, er hätte mir sowieso nicht helfen können oder wollen, wie auch immer, sondern nur im Weg gestanden, sofern er überhaupt stehen noch kann, kurz gesagt, hätte es keinen Nutzen für mich gebracht. -
Читать дальше