Natürlich gehe ich auch gleich bei Vogenschmidts vorbei, ich muss ihnen sagen, dass ich noch nicht bei ihnen anfangen kann, eben weil ich auf Grund des Eingriffes in der Klinik noch krank geschrieben bin. Ich weiß nicht, ob es mir recht ist oder ob ich enttäuscht bin, als Frau Vogenschmidt meint es wäre besser, wenn ich nun vorerst arbeitslos bliebe und sie versuchen würde, jemanden anderes einzustellen.
Ende Mai ergeht der Bescheid, dass wir eine größere Wohnung bekommen, hier in Domstedt, ... am Hennenberg 10. So sehr ich mich freue, genauso graut es mir auch vor einem erneuten Umzug. Es geht mir nicht gerade blendend, ich frage mich, wer die Wohnung tapezieren soll, allein werde ich es zur Zeit nicht schaffen. Darauf zu hoffen, dass mir Udo hilft, kommt einem Jahrhundertwitz gleich, es ist eine unnütze Gedankenverschwendung. Alles macht mir Sorgen, denn eine Vierraumwohnung will auch mit irgendetwas eingerichtet werden. Ich weise Udo noch einmal darauf hin, die Autoraten pünktlich zu bezahlen, denn noch einmal würde ich es nicht tun. Ich bestelle ein paar preiswerte Möbel auf Raten, eine Küche ist in der zugewiesenen Wohnung vorhanden, die Möbel für das Kinderzimmer, die ich seinerzeit zu meinem 10. Geburtstag von meinem Großvater bekommen hatte, habe ich so ziemlich als einziges behalten können. Wie gesagt war es nicht anders möglich, als alles andere aus Platzgründen in Lohra zurückzulassen.
Im Juni ist mein Bauchumfang recht stattlich anzusehen, ich bekomme die Vorstellung nicht los, wenn es so weiter gehen würde, am Ende meiner „trächtigen Laufzeit“ auszusehen wie eine Abrisskugel. Ärgerlich finde ich meine braunen Flecken im Gesicht, ich hoffe stark, sie verschwinden, wenn ich alles „ausgepackt“ habe. Bei den Terminen zur Schwangerensprechstunde ist soweit alles in Ordnung, ich bekomme ein wenig Eisen zugefüttert, aber das ist normal, Schwangere haben öfter einen Eisenmangel. Allerdings wehre ich mich bei den Beratungsterminen gegen das ständige Herumdrücken auf dem Bauch, sowie gegen das ewige Erklettern des „Pflaumenbaumes“ , sowie der dauernden Ultraschalluntersuchungen. Ich finde, es kann nicht gut sein, diese laufenden Untersuchungen, die auf diese Art stattfinden. Man hat festgestellt, mein Kind ist gesund und nun muss sich alles selber fügen. Wichtig sind die Kontrollen für den sogenannten Eisenspiegel, dem Blut - HB - Wert, Urinuntersuchungen und die Überprüfungen der Blutdruckes. -
Dann raffe ich mich auf und fahre zu Beginn der Sommerferien noch einmal mit Carlo nach Seelstein. Wenn das Baby da ist, dann werde ich so schnell nicht mehr in meine Heimat kommen können. Ich stelle mit Entsetzen fest, dass mein Vater noch mehr abgebaut hat, seit ich ihn im Frühjahr gesehen hatte. Um Wege zu erledigen fährt er fast nur noch mit dem Auto, ... Wege, die mein Vater sonst immer gern zu Fuß erledigt hat. Ich muss mit ansehen, dass er kleinste Strecken nicht mehr bewältigen kann. Wir sind zusammen in der Kaufhalle, er muss sich auf den Einkaufswagen stützen, anders geht es nicht. „Na, ... Dicke“, sagt er, „dann hatschen wir beide mal durch die Kaufhalle, ... schauen wir mal, ob wir das Richtige finden, was uns die Oma aufgetragen hat“. Er grient dabei und schielt über seine Brille hinweg, ... halt so, wie ich es seit meiner Kindheit her von ihm kenne. Ich hake ihn unter, wir machen die aufgetragenen Einkäufe. Carlo ist nicht mitgegangen, er bleibt derweile bei meiner Mutter. „Na, … wollen wir noch einen Kaffee trinken?, ... so viel Zeit haben wir doch noch, … oder?“, er schaut dabei auf seine Armbanduhr. „Oh, ja das ist eine gute Idee, ... aber kann es denn auch ein Eis sein?“. „ a, ... freilich, so viel Kaffee ist nicht gut für die kleine Püppi“. Zu der Zeit ist neben der Kaufhalle ein kleines Cafe`, sehr nett und liebevoll eingerichtet, es ist das letzte Mal, dass ich gemeinsam mit meinem Vater allein zum Eis essen gewesen bin. Den ganzen Juli hindurch ist es trocken und sehr heiß, der Bauch ist mir im Weg, er wächst zusehends. Es kommen Udos Eltern vorbei, mein Schwiegervater bietet sich an, die neue Wohnung zu renovieren. Ich nehme nicht gern so vollkommene Hilfe an, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als dankend zuzustimmen, denn ich hätte es nicht mehr geschafft. Udo brauche ich nicht zu erwähnen, es hätte alles so liegen bleiben müssen bis nach der Entbindung. Auf Gegenseitigkeit beruhend habe ich mit Udos Eltern, besonders mit seiner Mutter nie viel am Hut gehabt, aber dieses Angebot und die darauffolgende Hilfe, das habe ich Udos Vater hoch angerechnet und nie vergessen. Gern sorge ich während der Renovierung für ein vernünftiges Mittagessen und Kaffee am Nachmittag mit selbst gebackenem Kuchen. -
Mein Vater ist zu seinem Geburtstag nicht zu Hause, er hat sich aufgerafft und ist mit meiner Mutter zu Verwandten nach Ostfriesland gefahren. Auch im August ist es heiß, es regnet kaum einmal ein paar Tropfen, manchmal weiß ich nicht mehr, wo ich vor Hitze bleiben soll. Udos Vater ist es zu verdanken, dass wir noch im August umziehen können. Mein Bauch sieht unmöglich aus, jeder Schritt wird mir zu viel, ich kann nicht mehr den ganzen Tag durchhalten, ich bin immer froh, wenn es Mittag ist und ich mich etwas hinlegen kann. Ich komme aber anschließend kaum wieder hoch vor Hitze, ich halte es kaum noch aus und finde es schon merkwürdig, dass ausgerechnet in dem Jahr, in dem ich schwanger bin so ein Sommer sein muss, ... genau wie damals bei Henny und auch bei Carlo, während es in den übrigen Jahren kaum so anhaltend heiß und trocken gewesen ist.-
Henny hat in Wiesenstadt einen Freund kennengelernt, wegen ihm hat sie die Arbeitsstelle in Thüringen nicht angenommen, ... so erweckt es jedenfalls den Anschein. Sie erzählt, dass der Betrieb sie nicht übernehmen konnte, ich habe das Empfinden, es stimmt nicht so ganz. Aber sie ist alt genug, ich kann und werde ihr nicht dazwischen reden. Das mit dem neuen Freund hält nicht sehr lange an, sie ist den ganzen August über bei uns in Domstedt, ich mache das größere Zimmer für sie frei. Während dieser Zeit bin ich ein wenig enttäuscht über Hennys Verhalten, sie lässt mehr oder weniger alles schleifen, wie man es bezeichnen könnte, so als hätte sie keine Lust, sich neue Arbeit zu suchen. Sie steht mehr als nur spät auf, macht mit knapper Not nur das, worum ich sie gebeten habe und das mit mehrmaligen Bitten. Ich hätte mich schon gefreut, wenn das Frühstück einmal fertig gewesen wäre. Als wir allein gelebt haben, Henny, Carlo und ich, ist sie zuverlässiger gewesen, ich hoffe, es werden diesbezüglich wieder bessere Zeiten kommen. Mitte August spüre ich, ich werde wohl kaum noch bis zum 21. September, an dem der Entbindungstermin sein soll umher hatschen, als laufen kann man es nicht mehr bezeichnen. Zum Augustende kommen meine Eltern auf ein paar Tage zu uns, um Hennys 20. Geburtstag zu feiern. Gebacken habe ich noch selber, zum Abendessen sind wir beim Chinesen, es ist schön, aber Henny ist missgestimmt, sie hat von ihrem Freund keine Geburtstagspost und keinen Anruf bekommen. Einen Tag sind wir in Lübeck, ich lasse mir nicht anmerken, wie mies es mir eigentlich geht, ich will meinem Vater den Wunsch, einmal durch Lübeck zu bummeln erfüllen, obwohl ich nicht weiß, wie er das durchhalten will oder kann. Er läuft sehr langsam, aber es geht ihm ein klein wenig besser als bei meinem letzten Besuch in Seelstein. „Töchting, ... wir fahren auch allein, Du brauchst nicht mitkommen, wenn Dir nicht danach ist“, meint er. „Nein, ich fahre gern mit, ... das geht schon, ... ganz bestimmt“. „Na, ja, rennen können wir wohl gerade alle beide nicht mehr“, sagt er und ich bewundere seinen Galgenhumor. Ich weiß nicht, wie ich diesen Tag überstehen soll, diese Tour mit dem Auto bei dieser sengenden Hitze, mein unheimlicher Bauch, der beim Sitzen auf meinen Oberschenkeln aufliegt, und über den sich Carlo immer amüsiert, weil ich ohne Mühe eine volle Tasse oder Teller darauf platzieren kann, ohne das etwas um oder herunterfällt. Aber ich habe es überlebt und heute bin ich froh, dass ich mitgefahren bin, es war der letzte Ausflug mit meinem Vater.
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