Katie ärgerte sich und hatte ihn nicht zurückkommen hören. Sie spürte aber auf einmal, dass er wieder da war. Sie spürte es, noch bevor er sie ganz erreicht hatte. Da war sie, seine Präsenz, von der sie nicht wusste, ob sie gut, harmlos oder gefährlich war. Stark war sie auf jeden Fall. Und schon hörte sie ihn: "Hast du ein Fahrzeug auf dem Parkplatz?"
"Himmel, du kannst sprechen!" entschlüpfte es ihr, noch bevor sie die Augen aufriss. Sie sah zu ihm auf. Das war er tatsächlich, kein anderer, und er sprach. Er sagte Worte, einen ganzen Satz und das alles dazu mit einer wohlklingenden Stimme. Verwirrt und albern stotterte sie nach diesem ersten gelungenen Ausruf: "Ja … ja, habe ich. Warum interessiert dich das? Willst du die Schlüssel und ihn klauen?"
"Vielleicht?"
Sie kam nicht zu weiterem. Er hob sie hoch. "Leg die Arme um meinen Hals, halt dich fest, zapple nicht herum und mach das, bevor ich dich fallen lasse."
Sie tat es, weil ihr kaum etwas anderes übrig blieb, wollte sie nicht noch einmal unsanft auf der Erde landen. Was hatte der denn für einen Ton drauf? Und er duzte sie, als würden sie sich schon lange kennen, sie also ihn auch. So war das nicht. Ein frecher Kerl war das. Aber auch so schön stark. Das musste sie zugeben. Er trug sie in Richtung Parkplatz, schwieg vorerst wieder. Diesmal war nichts Bedrohliches an ihm. Sie spürte nur seine Kraft, sah die Muskeln, fühlte sich sogar etwas geborgen, auch wenn sie das Gefühl nicht zulassen wollte. Es waren arbeitende Muskeln unter einer glatten Haut. Warm und lebendig. Und da war diese verflixte Schwäche in ihr. Das durfte nicht wahr sein. Hoffentlich merkte er es nicht. Kam das vielleicht doch von ihrem Sturz oder war es seinetwegen? Sie versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen. Er merkte es und deutete für einmal sogar ein Lächeln an. "Welches?"
"Was?" Viele Worte machte er nicht gerade und sie verstand nicht, was er jetzt von ihr wissen wollte.
"Welches Fahrzeug?"
"Lass mich mal sehen, wo es steht, dann kann ich es dir zeigen. Es stehen ja so viele hier herum." Sie war leicht bissig, denn es standen nur vier Wagen da. Er grinste eindeutig und drehte sich etwas, dass sie sich umsehen konnte. "Dort! Der rote Jeep."
"Der passt zu dir. Auch wenn du ziemlich stachelig bist."
"Stachelig? Wo habe ich dich gepiekt? Zeig her."
"Da!" Er zeigte auf seine Brust, so gut das mit ihr auf den Armen ging. "Siehst du es nicht?"
Und sie versuchte zu deuten, was damit gemeint war. Was für eine Feststellung? Wie kam er darauf, dass der Jeep zu ihr passte? Wie wollte er das beurteilen? So gut kannten sie sich nicht. Bisher. Eigentlich war sie sauer auf ihn und doch auch wieder nicht. Das war ein äußerst seltsamer Zustand. Und sie neigte in so einem zu solchen Aussagen.
"Nein, ich kann keine solche Stelle erkennen." Sie tat so, als untersuche sie ihn. Keine Ahnung wie er das fand, aber daran störte sie sich nicht.
Er trug sie hin und stellte sie vorsichtig ab, hielt sie sogar noch einen Moment fest, und sie sah ihm wieder ins Gesicht. Sie war hin- und her gerissen zwischen Ärger und anderen Empfindungen. So fühlte sie sich eigentlich ganz wohl. Das ließ ihn schmunzeln. Er konnte sogar freundlich sein, wenn er wollte. Was für eine Sammlung neuer Erkenntnisse in so kurzer Zeit. Er wusste es. Er wusste, wie er wirkte. Das war ihm trotz der Sonnenbrille anzusehen. Und er hatte den Vorteil zu sehen, was in ihren Augen lag. Katie hatte noch nie ein Pokerface gehabt. Sie war deutlich im Nachteil.
Ganz plötzlich, so wie das meiste im Zusammenhang mit ihm geschah, verschwand das Schmunzeln und der Mund wurde wieder schmal. Es war so, als wäre ihm bewusst geworden, dass er so nicht sein wollte. "Vorsicht. Ich lasse dich los. Fall nicht. Provokationen können schmerzhaft und gefährlich sein. Denk in Zukunft besser daran und spiel nicht mit dem Feuer."
"Jawohl Herr Oberlehrer!"
Der konnte eine Art an den Tag legen! Sie konnte es nicht lassen. Das heißt, das kam von allein, wenn jemand versuchte, so mit ihr umzugehen. Außerdem hatte es sich genauso angehört. Da lachte er. "Gelehrige Schüler sind diejenigen, die weiter kommen. Und nicht die rebellischen."
"Ich bin anderer Ansicht."
"Das dachte ich mir."
"Nur wer selbst denkt, kommt weiter. Fragen okay, aber Schlüsse muss jeder selbst ziehen. Und sich nicht einen Vordenker gefallen lassen."
Sie sah seinem Gesicht an, dass er schmunzelte. "Damit hast du tatsächlich nicht Unrecht. Aber Vorsicht jetzt."
Er ließ sie los und ging. Sie war noch immer verblüfft, dachte sich das 'Danke' nur, aber sagte es nicht, starrte ihm nach. Da blieb er noch einmal kurz stehen, sah sich nach ihr um und lachte so, dass sie seine Weißen Zähne sehen konnte.
So ein verrücktes Erlebnis. Was für ein Morgen. Sie enterte ihren Jeep und saß einen Augenblick da, ließ alles Revue passieren. War das wirklich oder lag sie noch im Bett und träumte vor sich hin? Sie kniff sich. Sie spürte es, so wie sie ihren Fuß spürte. Also doch kein Traum. Aber da war mehr. Das beschleunigte Klopfen ihres Herzens zum Beispiel. Das angenehme Flattern in ihr, das sie seit Roby nicht mehr gespürt hatte. Sie fühlte sich auf einmal sehr lebendig. Zu lebendig. Sie musste sich zusammen nehmen, damit sie nicht laut aufjauchzte oder laut sang. Herumhüpfen ging jetzt schlecht. Und trotzdem war sie sauer auf den Kerl. Eine explosive Mischung.
Das machte sie nachdenklich und fröhlich zugleich. Die Stellen, an denen er sie berührt hatte, als er sie gepackt oder getragen hatte, die Stellen fühlten sich warm an und es strahlte ins Innere hinein. Ihr Mund pulsierte von seinem Kuss.
Er hatte eine schöne Stimme. Genau die richtige Lage. Passend. Warm, nicht bedrohlich. Angenehm. Was für ein Mann kreuzte da auf so seltsame Weise ihren Weg. Sie war hin- und her gerissen zwischen Angst vor Enttäuschung und Schmerz und der Wirkung seiner Anziehungskraft; zwischen leise warnendem Misstrauen und einer berauschenden Leichtigkeit, einem Hochgefühl. Vergleichbar mit Lebensfreude, mit Erfolgsgefühlen, mit Lebenskraft. Sie schwankte zwischen Erstaunen und Empörung; zwischen Lachen und einem sich maßlos Ärgern. Es waren starke Gefühle, welcher Art auch immer. Was war das, was ihr geschah? Wo war es einzuordnen? Wie zu verstehen? Vorerst gar nicht. Alles Grübeln brachte nichts. Sie wollte nicht an Verliebtheit denken. Nein, das war es nicht. Es musste etwas anderes sein.
Sie startete schließlich und fuhr nach Hause. Als sie ausstieg und auf das Haus zu humpelte, kam ihr Susanne entgegen.
"Was ist dir geschehen?"
"Wenn ich das nur wüsste!" seufzte sie und dachte dabei an die ganze Begegnung und nicht an den Fuß.
"Wie? Wenn du das wüsstest? Du wirst doch wissen, warum du humpelst."
"Ach das!"
"Ja. Das. Was denn sonst?"
Susanne schaute misstrauisch. Katie kam aus ihren Gedanken zurück, nahm sich zusammen, hörte auf zu schweben. "Ich bin hin gefallen. Mein Fuß ist dabei umgeknickt und das Gelenk schmerzt. Das wird morgen besser sein. Es ist nichts gebrochen. Nicht der Rede wert."
Susanne fand, dass sie sich mehr als seltsam verhielt, musterte sie skeptisch. "Hingefallen? Wieso das? Du neigst nicht zur Tollpatschigkeit. Bist du krank? Stimmt etwas nicht? Deine Augen glänzen und …"
"Ist das ein Verhör? Nein, es ist alles in Ordnung. Ich werde doch wohl auch einmal hinfallen dürfen, ohne dass gleich eine Staatsaffäre daraus wird."
Katie versuchte, Susanne und sich selbst zu beruhigen. So deutlich war es ihr anzumerken? Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Wie sollte sie es erklären? Nein, krank war sie nicht. Bevor sie sich weiter dazu äußern konnte – von Susanne offensichtlich erwartet -, kam jemand gefahren. Erstaunt sahen die beiden, dass es der Arzt war. Oh je, war einer der Gäste krank und kam sie deswegen auf Krankheit?
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