Ich war froh. Hätte ich den Film nicht gekannt, hätte „Hanging Rock“ sicher auch einen anderen Eindruck auf mich gemacht. Vielleicht nur ein großer Steinhaufen? So aber lebte die geheimnisvolle Geschichte hier in jedem Felsen weiter und webte ein beeindruckendes Netz von Empfindungen und Schwingungen, denen ich mich einfach nicht entziehen konnte.
Nach einigen Umwegen fanden wir dann auch den Weg nach unten, auf dem wir gekommen waren. Später dann am Auto labten wir uns an eiskalten Getränken aus der Kühltasche und waren froh, daß uns die „normale“ Welt wieder hatte.
Am Abend luden wir unsere Gastgeber aus zwei Gründen in dasChina - Restaurant in Knoxfield ein. Wir wollten uns zum einen für ihre Gastfreundschaft bedanken, und zum anderen war es mal wieder soweit: Es galt, meinen Geburtstag zu feiern. Nach einer ausgiebigen Dusche fuhren wir, sehr zu meiner Überraschung wieder mit unserer Kühltasche ausgerüstet, zu einem üppig in Rot und Gold ausstaffierten Restaurant. Der dicke Teppich, natürlich auch in Rot gehalten, vermittelte einem das Gefühl, auf Moos zu schreiten. An dem riesigen runden Tisch, an den man uns Vier plazierte, hätte man in Italien sicherlich eine zehnköpfige Familie untergebracht.
Der Chef, Mr. Huan, rund wie ein Vollmond – ein sehr freundlicher Vollmond -, und bestimmt auch sein bester Kunde, ließ es sich nicht nehmen, uns heute höchstpersönlich zu verwöhnen. Er empfahl uns die „Meeresfrüchteplatte“. Natürlich stimmten wir sofort zu, den Krabben, Muscheln, Krebse und wirklich grätenfrei filetierte Fische gehörten zu meinen ausdrücklichen Geburtstagswünschen was das Essen anbetraf. Dabei legte ich auf „garantiert grätenfrei“ allergrößten Wert, seit ich mir nämlich bei einem gemütlichen Essen in einer Fischerkneipe auf Lanzarote mit einem Fischknochen meinen hinteren Gaumen durchbohrt hatte. Klaus hatte es mir damals an meinem bestürzten Gesicht sofort angesehen, daß etwas falsch gelaufen sein mußte. Ich hielt mir eine Serviette vor den Mund, und gemeinsam waren wir auf die „Damen“ gehastet. „ ´´Äte im ´Als“ preßte ich mühsam hervor. Unterwegs hatte Klaus mir überflüssiger Weise noch mit freundlichen Bemerkungen wie „ Mein Gott, was machst Du nur für einen Blödsinn! Kannst Du nicht einmal Fisch essen, ohne Dich dabei in Gefahr zu bringen?“ Mut gemacht. Ich blieb natürlich eine Anwort schuldig, denn erst mußte ich meinen Mund entleeren. Dann konnte Klaus den Verursacher meiner Pein mit energischem Ruck ans Licht befördern: Die Gräte war mindestens 5 cm lang, dabei so spitz und dick wie eine solide Stopfnadel!
Ich machte meinen angestauten Gefühlen unmißverständlich Luft und schwor mir damals, nie wieder, niemals wieder - und schon gar nicht in Gesellschaft, Fisch zu essen, zumal ich die restliche Ferienzeit auf Lanzarote vorwiegend von flüssiger Nahrung leben mußte.
Aber das war nun lange her, und ich hatte meinen Mut wieder gefunden. Also her mit den „Schuppen- und Schalentieren!“
Natürlich wollten wir zum Essen auch etwas trinken. Doch da machte Hugo die Kühltasche auf und zum Vorschein kamen – ich staunte nicht schlecht - eine Flasche Sekt und zwei Flaschen Weißwein! Er winkte den Kellner herbei, der sich kommentarlos die Flaschen aus der Kühlbox angelte und damit in Richtung Küche verschwand.
Ich war verblüfft: „Was ist das denn!? So was gibt es bei uns aber nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das klappen würde...!“
Christine erklärte uns, daß wir hier in einem „BYO (bring your own ) – Restaurant“ waren, was bedeutete, daß jeder seine eigenen Getränke selber mitbringen konnte. Das Bereitstellen der Gläser, das Kühlen der Flaschen und selbstverständlich auch das spätere Öffnen und Einschenken gehörten zum Service des Lokals. Man revanchierte sich danach beim Personal mit einem angemessenen Trinkgeld.
Als der Sekt im Glas perlte, nahm Hugo einen tiefen Schluck: „Wir leben hier zwar weit entfernt von Europa, aber wir haben auch Kultur! Jawohl, wir haben hier in Australien einen eigenen Lebensstil entwickelt, eine eigene Kultur. Wir brauchen uns nicht hinter Europa zu verstecken.“
Huch, hier hatte wohl jemand seinen wunden Punkt. Ich verschluckte mich am Sekt ob dieser unerwarteten Breitseite und fing an zu husten. Klaus klopfte mir beruhigend auf den Rücken. Zum Glück ging er nicht auf Hugos verbale Spitzen ein, sondern brachte stattdessen einen Toast auf meinen Ehrentag aus. Danach sangen alle zusammen: „Hoch soll sie leben...“
Und dann endlich begann ein Fest- Mahl unter dem Motto: „Meeresfrüchte – aus dem Ozean frisch auf den Tisch“, das wir nicht so schnell vergessen sollten: Platte auf Platte, kunstvoll dekoriert, wurde herbei geschleppt und vor unseren staunenden Augen plaziert. Natürlich wurde ausschließlich mit Stäbchen gegessen: Am Anfang hatte ich noch leichte Schwierigkeiten, mit den ungewohnten Dingern zu Recht zu kommen, aber nach einer geduldigen Einweisung durch den Chef persönlich klappte es dann prima.
Wir schwelgten zuerst in Riesengarnelen, süßsauer bis chillyscharf angemacht und kunstvoll umlegt mit knusprig gebackenen Crayfischbällchen. Danach gab es „Variationen von Krabben“ - mit und ohne Knoblauch - gefolgt von phantasievoll dekorierten und verschiedenartig zubereiteten Sorten Fisch. Als Beilagen reichte man zu knackiger asiatischer Gemüsevielfalt eine besondere Delikatesse von den Hängen des Himalaja: Schneeweißen zart duftenden Basmati-Reis.
Obwohl jeder von uns wahre Massen in sich hineinschaufelte, ständig von dem wohlwollend lächelnden Mr. Huan in lustigem chinesisch-englischem Kauderwelsch zu immer neuen Höchstleistungen angestachelt, schafften wir höchstens 2/3 der ausgesuchten Köstlichkeiten. Am Schluß dieser einmaligen Meeresfrüchte-Tafel war ich mir sicher, nie zuvor besser gespeist zu haben: Köstlich, exotisch - und vor allem grätenfrei!
Später am Abend saßen wir auf der Luchsschen Terrasse und unterhielten uns träge über „Gott und die Welt.“ Die warme Nacht war erfüllt vom Gezirpe der Grillen und anderen uns unbekannten Stimmen und Geräuschen. Christine stand auf, um einige Eiswürfel aus der Küche zu holen. Kaum war sie in Haus verschwunden, da ertönte ihr hysterisches Gekreisch: „Ihhhhh, nein!“ Und dann weniger schrill: „So eine Schweinerei! Da ist ja alles versaut......!“
Wir waren alle aufgesprungen und stürzten an den Ort des Geschehens. Die dicke Deedee hatte sich ausgerechnet das Wohnzimmer ausgesucht, um ihren Mageninhalt in kleinen gleichmäßigen Portionen auf Teppichen und Fußboden zu verteilen. Jetzt saß sie, von jeglicher drückender Last befreit, offensichtlich zufrieden vor der Küchentür. Mit ihren riesigen dunklen Mopsaugen schaute sie (unschuldig?) von einem zum Anderen - jetzt war sie endlich wieder Mittelpunkt. Ich hatte sogar den Eindruck, daß sie ein wenig die Leftzen hob und listig grinste.
Als es mittels Zeitung, Kehrblech, Eimer und Lappen an die Beseitigung der unappetitlichen Hinterlassenschaft ging, bekamen sich Hugo und Christine in die Haare. Jeder beschuldigte den Anderen, Deedee während unseres Essens nicht vernünftig eingesperrt zu haben. Aus lauter Langeweile, vielleicht aber auch aus Boshaftigkeit, weil es alleine zu Hause bleiben mußte, hatte das Hundchen den Komposthaufen geplündert und dabei gefressen, was in seinen Trommelbauch reinging. Dabei hatte es sich offensichtlich zuviel zugemutet...
Auf den Knien liegend, laut schimpfend und wüste Drohungen gegen Hund und Mann ausstoßend, reinigte Christine schließlich das Wohnzimmer. Obwohl ich bestimmt nicht erpicht auf diese Arbeit war, erbot ich mich doch, behilflich zu sein. „Bleib´ Du mal schön draußen auf der Terrasse sitzen und genieß den Abend, es ist ja Dein Tag. Aber das hier hätte nun bestimmt nicht sein müssen.“ Christines gekrümmter Rücken und ihre hektischen Aktivitäten wirkten wie eine Anklage auf mich.
Читать дальше