Ich fühlte mich völlig unschuldig, aber der harmonische Abend war nachhaltig gestört und eine ungemütliche Stimmung machte sich breit.
Der Verursacher der ganzen Aufregung schlich sich auf Umwegen an Hugo heran und versucht ihn mit seinen braunen Kugelaugen zu becircen. Und es gelang ihm tatsächlich. Erst hatte sich Deedee nur so um den Stuhl herumgedrückt, dann setzte sie sich und sah Hugo unverwandt an. Schließlich lag sie zu seinen Füßen. – Nur wenig später dann saß sie auf Hugos Knien und ließ sich mit Paprikachips füttern. (Sicherlich die ideale Schonkost bei einem angegriffenen Magen).
Als Christine nach einiger Zeit erhitzt und kurzatmig wieder auf die Terrasse kam, schubste Hugo das verfressene Monster schnell von seinem Schoß und stopfte die Chips die er in der Hand hielt mit unschuldiger Mine in den Mund.
Am nächsten Tag holte uns ein Freund der Familie namens John schon sehr früh ab, um mit uns über viele Umwege und „points of interests“ zu dem 140 Meilen entfernten Philip Island zu fahren. Kaum saßen wir im Auto erzählte er unaufgefordert und frei von der Leber weg, daß er große Probleme mit einer bestimmte Volksgruppe hätte: „ Jawohl, alle Weißen sind hier Einwanderer; die paar brauchen sich also nicht darauf einzubilden, daß ihre Vorfahren keine Deportierten waren sondern Beamte der Englischen Krone oder so. Die meinen wohl, sie könnten sich was drauf einbilden und hier deswegen eine gewisse Vormachtstellung einnehmen. „Ich bin stolz darauf, daß ich meinen Stammbaum bis zu einem Sträfling mit Namen Roy McGuire zurückverfolgen kann. Der war seinerzeit in London wegen Brotdiebstahls zu fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit in Australien verurteilt worden. Was sagt ihr denn zu diesem Problem?“
So unvorbereitet mit diesem Thema konfrontiert, hatte wir erst einmal keine Meinung dazu und auch keine Lust uns näher mit irgendwelchen Animositäten, die wer gegen wen hegte, zu beschäftigen Da wir aber den ganzen Tag zusammen verbringen wollten, und es in unserem Interesse lag, daß alles harmonisch verläuft, gaben wir ihm kurzerhand Recht, fanden das „Alles“ unglaublich und halfen ihm auf die „Poms“, Prisoner of mother England, zu wettern.
Wir haben dann im Laufe unserer Reise noch einige Leute kennengelernt die uns stolz erzählten, die Nachfahren verurteilter „Verbrecher“ zu sein. Wobei der, natürlich immer unbewiesene, Brotdiebstahl mit weitem Abstand der Hauptverurteilungsgrund gewesen ist.
Wir kamen an herrlichen Stränden vorbei und nahmen uns hier und da die Zeit ein kühlendes Bad zu genießen. Als wir aber noch etwas in der Sonne liegen wollten, trieb uns John zielstrebig weiter, es gab noch zu viele Sehenswürdigkeiten, die noch angesehen, bzw. abgearbeitet werden mußten.
Über eine schöne alte Hängebrücke bei San Remo fuhren wir schließlich nach Philip Island, dem eigentlichen Ziel unseres Tagesausfluges. Wir kauften uns als verspäteten Lunch riesige Steaksandwiches; die Weißbrotscheiben konnten die riesigen platten Steaks nicht annähernd bedecken, sie waren nur dazu da, um das Brot besser halten zu können. Ich schlug mich wacker, aber ein gutes Pfund Fleisch ist als Snack entschieden zuviel. Klaus und John hatten mit dem Häppchen hingegen keine Schwierigkeiten.
Danach frischten wir noch unsere Vorräte an flüssigem Proviant auf und setzten uns hoch an den Summerland Beach, um auf die Pinguine zu warten.
Klaus machte mich auf einen kleinen Einsiedlerkrebs aufmerksam, der sich mit einem großen Schneckenhaus auf dem Rücken recht mühsam fortbewegte. Das schützende Haus schien viel zu groß für das Krebschen zu sein. Ich hob ihn vom Sand auf, um ihn mir einmal ganz genau aus der Nähe ansehen zu könne. Aber leider hatte ich recht mit der Vermutung, daß sich der Kleine ein zu großes Häuschen „aufgeladen“ hatte, denn auf halber Höhe fiel der Krebs aus der Schnecke runter auf den Strand. Erschrocken blickte ich auf das weiße kurze Hinterteilchen, denn ich dachte, ich hätte ihn verletzt oder gar etwas abgerissen. Das „entblößte“ schutzlose Tierchen sucht sein Heil in der Flucht. Aber auf dem leergespülten Strand war keine Deckung zu finden. Schnell legte ich ihm sein Häuschen in seine Krabbelrichtung. Dann traten wir einige Schritte zurück, um es nicht weiter zu ängstigen. Kaum hatte der Krebs das Schneckenhaus bemerkt, eilte er darauf zu und befühlte es intensiv mit seinen Scheren. Er nahm offensichtlich Maß und befand das Kalkgebilde für gut und passend. Flugs drehte er sich um und schob sein Leibchen in die neue bzw. alte Hülle. Nach einigem Herumgeruckel marschierte er emsig weiter. Ich hoffte, daß er noch lange genug leben würde, um ganz fest in sein Häuschen hineinzuwachsen.
Die Sonne stand jetzt nur noch eine Handbreit über dem Horizont und jeden Augenblick mußte das Schauspiel beginnen, dessentwegen wir hierher gekommen waren. An diesem Strandabschnitt hat eine Kolonie Zwergpinguine ihre Nester in den Dünen. Sie kommen bei Einbruch der Dunkelheit alle zusammen auf einmal zurück von der Jagd im offenen Meer. Vereinzelte Frühankömmlinge trauten sich wohl alleine nicht recht über den leeren Strand, sondern drückten sich in den ausrollenden Wellen herum. Es schien, als warteten sie auf Verstärkung. Dann war auf einmal der Riesenpulk da. Es war faszinierend zu sehen, wie die „Frackträger“ aus dem Wasser heraus und aufs Land schossen. Durch den eigenen Schwung landeten sie oft nicht auf ihren Platschfüßen, sondern kugelten herum und rissen die schon aufrecht stehenden wieder um. Sie erzählten sich dabei wohl ihre Tageserlebnisse, denn die kleinen Schnäbel standen keinen Augenblick still. In kurzer Zeit war die ganze Kolonie an Land und hatte ihre angestammten Schlafplätze aufgesucht. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont. Ich war froh und dankbar, daß ich dieses entzückende Schauspiel miterleben durfte.
John fuhr uns über Umwege, wie er es nannte nach Hause. Er zeigte uns interessante Gegenden von Melbourne, solche die bei normalen Stadtrundfahrten nicht auf dem Programm stehen. Spät in der Nacht trudelten wir erfüllt von all den überwältigenden Eindrücken fröhlich bei Familie Luchs ein und bekamen schon in der Tür einen ordentlichen Rüffel zu hören: Man hätte uns viel eher zurück erwartet und auch einen kleinen Imbiß vorbereitet. Außerdem hätte uns ein wichtiger Geschäftspartner von Hugo kennenlernen wollen, der sei aber nach einer Stunde Warterei verärgert wieder gefahren.
„Den Appetit scheint es ihm aber nicht verschlagen zu haben“, konnte ich nicht an mich halten zu sticheln, als ich die leergeräuberten Servierplatten sah. Die Luchs sahen uns vorwurfsvoll an und John gab sich betreten: „Ich habe nicht gewußt, daß die beiden hier noch erwartet wurden. Wir hätten easy schon früher zurück sein können. Mir hat keiner was gesagt.“
„Natürlich,“ hakte Hugo ein, „ich hab dir das ausdrücklich gesagt. Das weiß ich genau. Ich hab mit dir noch über die Strecke auf meiner Karte...“
„Was für eine Karte? Du hast mir beim besten Willen keine Karte gegeben....“
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten sie noch heute.
Der nächste Tag war dem Meer gewidmet.
Als gutsituierter „New Australien“ nannte Hugo natürlich auch ein Boot sein eigen. Es war ein weiß-blaues Kajütenschiff mit einem 75 PS Motor und dem schönen Namen Popey. Christine versorgte uns für den Tag mit guten Ratschlägen, Sonnenmilch und dicken Lunchpaketen. Sie selber würde uns heute auf diesem Ausflug nicht begleiten, da sie am Nachmittag ein Bridgeturnier hätte.
Der blaßblaue Himmel kündigte einen glühend heißen Tag an und die Aussicht auf die kühle am Wasser ließ Hugo noch beflügelter fahren als sonst. In mehreren Kurven schaute ich mich nach hinten um, um zu sehen, ob das Schiff sich nicht vom Hänger verabschiedet hätte und geradeaus in die Botanik gesaust sei.
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