Das ließ Maliputti nicht ruhen. Sogleich schwebte er hoch zu den Bergen, über die Quelle hinaus. Er wollte auch so einen großen Stein finden. Bestimmt würde sich Malipu darüber freuen. Suchend glitt er an den Berghängen entlang. Doch schön langsam, um nicht wieder mit einem Felsen zusammenzustoßen. Er entfernte sich dabei immer weiter und flog hinauf, bis er die Spitze eines Berges erreicht hatte. Oh, wie würden alle staunen, wenn er erzählte, wie hoch er gewesen war. Überwältigt schaute er sich um, wie weit er die bunt funkelnden Gipfel übersehen konnte, ein Magitag würde nicht ausreichen, um bis zu den letzten zu fliegen. Sah es dabei nicht so aus, als gäbe es gar kein Ende? Ach, was! Die Frage wollte er an diesem Gipfel mit den farbigen Felsen nicht lösen. Wie sie glänzten! Hier musste doch so ein Stein zu finden sein. Wo er aber auch suchte, es lagen nur stumpfe und farblose oder murklige kleine Dinger herum. Es war wohl nicht so einfach, einen zu finden, wie sie die Magihexer in ihren Höhlen hatten.
Noch gab er nicht auf. Wenn nicht an diesem Gipfel, so schwebe ich zum nächsten, dachte er und machte sich auf den Weg. Auch da hatte er kein Glück, auch nicht bei einem anderen und allen weiteren. Längst konnte er die Quelle nicht mehr sehen. Weit hatte er sich davon entfernt. Das Umherschweben war doch anstrengender, als er gedacht hatte. Er wurde müde. Die Suche begann ihn zu langweilen. Vielleicht sollte er zurückfliegen und sich in Malipus Höhle ausruhen.
Doch wo war er hier? Er sah sich um. Wo ging es nach Hause? Angst befiel ihn. Wie sollte er zurückfinden? Das vergaß er jedoch sofort, als er ratlos an den bizarren Felsen dieses Berges entlangschwebte und in einem Spalt etwas gelb aufleuchten sah. Das konnte nur einer dieser Steine sein. Er beugte sich hinunter und blickte hinein. Tatsächlich, wunderschön und seltsam geformt lag er in der Tiefe.
Den musste er haben. Die andern würden Augen machen, wenn er, der Jüngste, einen heimbrächte, der größer und schöner war als Jubilas Stein. Er legte sich über den Spalt und langte mit seinem Arm hinein. Er streckte ihn so lang es ging. Es reichte nicht, er kam nicht heran. „Wozu kann ich mich klein machen“, sagte er vor sich hin und zog sich mehr und mehr zusammen. Vorsichtig glitt er mit seinem Wolkenkörper in den Spalt hinein, bis ... Der Zipfelhut - ihn konnte er nicht verkleinern, er passte nicht in den Spalt. „So ein Magidreck“, fluchte er. Das Schimpfwort hatte er bei Babahu gehört, wenn der sich ärgerte.
‚Ob ich versuche, den Zipfelhut abzulegen? Vielleicht stimmt es gar nicht, was sie mir über ihn erzählt haben’, überlegte er und nahm ihn vom Kopf. Nichts geschah. Er legte ihn mit beiden Händen auf den Felsen. Keine Regung. Vorsichtig löste er einen Finger – nichts. Mutig nahm er einen zweiten Finger vom Hutrand, dann noch einen und noch einen, bis er nur noch zwei Finger einer Hand daran hatte. Da zuckte der Zipfelhut heftig, als wollte er sich losreißen. Erschrocken griff Maliputti zu und setzte ihn sich hastig wieder auf den Kopf. Oh! Es war wohl besser, er probierte das nicht aus. Doch wie sollte er den Stein erreichen? Enttäuscht blickte er in den Spalt. Wie herrlich gelb er leuchtete. Sah es aber nicht so aus, als läge er in einer Höhle? Vielleicht gab es dazu einen Eingang.
Aufgeregt schwebte er suchend umher, bis er die Öffnung dazu fand. Bequem konnte er mit seinem Zipfelhut hineingleiten. Als sich seine Augen an das dämmrige Licht darin gewöhnt hatten und er sich umsah, blickte er in eine Höhle, die viel größer war als irgendeine von den Magihexern.
Wo aber war der gelbe Stein? Was in seiner Nähe herumlag, war das Aufheben nicht wert. Immer tiefer glitt er hinein, bis er einen Lichtstrahl bemerkte, der durch das Felsgestein ins Innere der Höhle drang. Leuchtete darunter nicht etwas gelb auf? Aufgeregt vor Erwartung glitt er dahin. Uih! Was war das? Dieser Stein lag fast am Rand eines Schachtes, der in die Tiefe des Berges führte. Neugierig beugte er sich darüber und versuchte hineinzusehen. Sofort begann der Zipfelhut auf seinem Kopf zu zittern und zu schwanken. Er befürchtete, ihn zu verlieren, griff mit beiden Händen zu und hielt ihn fest. Dabei war es, als wollte der Hut ihn vom Schacht wegziehen. Schnell schwebte er ein Stück zur Seite. Der Zipfelhut hörte auf zu zittern. Was hatte das zu bedeuten? Sollte er aufgeben? Und der Stein? „Jetzt bin ich so dicht daran. Ich muss ihn haben!“, trotzte er und glitt zurück, hielt sich aber auf Abstand von dem Rand des Schachtes. Mit beiden Händen fasste er zu. Herr des Lebens! Was war der Stein schwer! Wie er es auch anstellte, er bekam ihn nicht vom Fleck. Noch ein Versuch. Plötzlich, ein grollender, gurgelnder Laut aus der Tiefe, sich steigernd, brüllend. Entsetzt ließ Maliputti den Stein los. Weg, nur weg! Der Zipfelhut zitterte und zerrte an ihm. Ganz deutlich spürte er es. Er sauste zum Höhlenausgang hinaus und den Hang hinunter, – oder war es der Zipfelhut, der ihn hinabzog?
Weit genug entfernt, plusterte er sich auf und setzte sich. Er zitterte am ganzen Wolkenleib. Jetzt erst erfasste ihn das Entsetzen über das eben Erlebte. Furchtsam schaute er zurück. Das Gebrüll aus dem Berg war verstummt. Der Zipfelhut rührte sich nicht mehr. Was war das? Malipu hatte ihm davon nichts erzählt? Ob er ihm besser verschwieg, wo er gewesen war? Vielleicht würde er ihn dafür strafend zurechtweisen.
Ach, wäre er nur bei ihm! Nichts anderes wünschte er sich mehr. Er sah sich um. Wo war er hergekommen? Wo musste er entlangfliegen, um nach Hause zu kommen? Kein anderer Magihexer war weit und breit zu sehen, keine Höhle, nur Berge, die ihm plötzlich feindlich vorkamen. Er geriet in Panik. Kein bunter Stein interessierte ihn mehr, er wollte zu Malipu. Er musste den Weg finden. Aufs Gratewohl schwebte er los.
*
Währenddessen waren die Magihexer in heller Aufregung. Alle suchten nach Maliputti. Einer fragte den andern, ob er ihn nicht gesehen hätte. Babahu, der Schabernack, flog zu den Bergen, als er hörte, dass Maliputti nach den bunten Steinen gefragt hatte. Doch dort, wo er ihn suchte, fand er ihn nicht. Magifa machte sich auf den Weg zur Quelle, weil er meinte, Maliputti könne durstig geworden sein. Jeder suchte ihn woanders, nur der tollpatschige Imada, der Eifrige, schwebte aufgeregt und ziellos umher.
Noch irrte Maliputti durch die Berge, als Malipu von der Erde zurückkam. Bereits als er durch das schwarze Loch geglitten war, wunderte er sich, dass drei Elflinge aufgeregt piepsend davonflogen, als wollten sie ihm aus dem Weg gehen. Nichts ahnend schwebte er am Lebensfluss entlang zum gemeinsamen Erzählplatz. Doch was war das? Nicht einer der Magihexer saß hier, wie sonst, wenn sie darauf warteten, was er von der Erde zu erzählen hatte. Als er weiterschwebte und sah, wie aufgescheucht sie umherflogen, wusste er, sie suchten nach Maliputti. Sorge um den Kleinen packte ihn.
„Konntet ihr nicht auf ihn aufpassen!“, warf er ihnen vor.
Schuldbewusst und umso eifriger flogen sie umher. Doch wo sollten sie noch nach ihm suchen?
*
Maliputti schwebte derweil mit zunehmender Angst immer hastiger durch die Berge, tiefer und tiefer hinein. Bewegte er sich im Kreis? War er nicht eben erst hier gewesen? Müde von der vergeblichen Suche nach dem Heimweg setzte er sich hin und rief verzweifelt: „Malipu, Malipu!“ Tränen rannen ihm aus den Augen. Doch niemand hörte ihn. Nicht einmal ein Elfling oder Koboldiner kam vorbei. Wie sollte er nur zurückfinden, musste er hier entlang oder dort? Aber was war das? Was blitzte in der Ferne so seltsam auf. Hoffnungsvoll glitt er weiter. Die Berge öffneten sich zu einem Tal und was so glitzerte, war ein goldfarbener Fluss. Das musste der Lebensfluss sein, an dem er noch nie gewesen war, von dem er aber schon gehört hatte.
Sofort vergaß er seine Angst. Die Neugierde, das zu ergründen, war stärker. Gar nicht mehr müde glitt er hinunter zum Ufer. Das leise Klingeln der goldenen Tropfen, die mit dem Wasser im Fluss dahintrieben, zog ihn an. So einen wollte er haben, davon hatte er noch keinen in einer Höhle der andern gesehen. Malipu würde staunen, was er zum Schmuck der Höhle mitbrachte. Vorsichtig glitt er bis zum äußersten Rand des golden schimmernden Wassers, neigte sich darüber und tauchte seine Hände hinein. Die ersten goldenen Tropfen glitten ihm aus den Fingern, ließen sich nicht fassen. Das wäre doch gelacht, wenn er keinen davon einfangen könnte. Immer heftiger griff er zu, immer fester. Endlich hatte er einen und hob ihn heraus. Au! Was war das? Der Tropfen wurde knallrot, schien ihn zu beißen. Maliputti ließ nicht los. Jetzt blies der sich auf und ihm war, als schaute ihn ein Auge wütend daraus an. Die anderen Tropfen im Fluss sprangen derweil aufgeregt durcheinander hoch. Das war kein leises Klingeln mehr, sondern mit lautem Scheppern versuchten sie den von Maliputti gefangenen Tropfen zurückzuholen. Der wollte ihn nicht hergeben, brannte er ihm auch wie Feuer in den Fingern. Schnell wechselte er ihn von einer Hand in die andere. Doch von den anderen Tropfen hörte er ein ungehaltenes Raunen. Sie sprangen immer heftiger hoch und versprühten Blitze, die seine Hände trafen wie stechende Nadeln. Der Tropfen in seiner Hand zuckte und quietschte. Da gab er es auf und ließ ihn zurück ins goldfarbene Wasser gleiten. Sofort war Ruhe. Mit leisem Klingeln flossen die Tropfen weiter.
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