Michael Siemers - VINCENT

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Der deutsche Unternehmer Roland Vogler, der in Deutschland auf der Fahndungsliste der Steuerbehörde steht, wird in seinem Hotelzimmer in Roche tot aufgefunden. In Verdacht gerät seine Frau Christine, die ihn im Streit niederschlug und flüchtete. Vogler aber wurde erschossen und eine große Summe Bargeld wurde mitgenommen. Vincent Dupont, der mit Vogler kurz zuvor ein Geschäft abgeschlossen hatte, bei dem jene große Summe über den Tisch ging, verhalf unwissentlich dessen Frau Christine zur Flucht. Kommissar Brunnel und sein ehrgeiziger Assistent Campanac nehmen die Ermittlungen auf. Eine alte private Feindschaft zwischen Campanac und Dupont wird wieder aufgenommen. Beide, jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, fangen an, sich zu bekämpfen. Aus der Konstellation der verschiedenen Umstände ergibt sich ein völlig anderer Ausgang.

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Selbst der Wunsch nach Kindern blieb ihr unerfüllt, weil er Kinder als undankbare Kostenfaktoren ansah. Nur nach außen zeigte sich Roland Vogler als Gönner. Zu Hause aber ließ er sie spüren, dass sie ohne ihn nichts war.

Von ihren Freundinnen wurde Christine beneidet, wenn er sich ihr gegenüber spendabel zeigte. Wenn er ihr großartig Schmuck schenkte, um es ihr zu Hause wieder abnahm, weil er es vom Juwelier auslieh. Hinzu kam, dass er sich selbst keine Mühe mehr machte und sich körperlich gehen ließ. Seiner persönlichen Aufwertung ließ er nur dann zuteilwerden, wenn dieses mit Geld zu machen war. Mit Statussymbolen und Geschäftserfolge konnte er bei vielen sehr viel Eindruck machen. Hinter vorgehaltener Hand aber hielten die meisten ihn schlichtweg für einen Proleten und Aufschneider. Wo immer es ging, versuchte Christine gemeinsame Unternehmungen zu vermeiden.

Nach ein paar Minuten bog sie in den Ahrensburger Weg ein, in dem sie mit ihrem Mann ein mittelgroßes, rot geklinkertes Haus bewohnte. Der Vorgarten war großzügig angelegt und der gepflegte Rasen wurde durch die grauen Granitpflaster der Auffahrt getrennt, die direkt in die Garage führte. Eine Buchsbaumhecke umrandete das Anwesen. Vor dem Haus stand ein Großaufgebot der Polizei. Drei Streifenwagen, ein Mannschaftswagen, Lieferwagen mit Blaulicht und ein Fahrzeug des Zolls. Verwundert parkte Christine ihren Wagen vor ihrer Einfahrt und stieg aus. Vor ihrer Haustür standen ein paar Männer in Uniform und Zivil und sahen zu ihr hin, als sie sich ihnen näherte. Erstaunt sah sie sich um und versuchte dieses Treiben der Uniformierten zu deuten. Eine Ansammlung Passanten und Nachbarn beobachtete neugierig das Treiben und reckten ihre Hälse. Ein beklemmendes Gefühl der Enge überkam sie und sie hatte das Gefühl, das es kein Zurück gab. Gleichzeitig aber beruhigte sie sich damit, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln konnte, was mit wenigen Worten geklärt werden kann. Wie mechanisch, mit klopfendem Herzen ging sie den Plattenweg hinauf in Richtung Haustür.

"Frau Christine Vogler?", fragte einer der Beamten und trat auf sie zu. Unsicher bejahte sie diese Frage und sah sich verwundert um. Dann zog der Beamte seinen Dienstausweis hervor, zeigte ihn kurz und hielt ihr darauf hin ein Schriftstück vor. Sehr formell verkündete er: "Frau Vogler, Steuerfahndung. Gegen Sie und ihren Mann liegt ein Haftbefehl vor. Sie sind vorläufig festgenommen. Bitte öffnen Sie die Haustür."

Christine glaubte, sich verhört zu haben und sah sich Hilfe suchend um. Einige Beamte formierten sich gleich hinter ihr und ließen somit einen möglichen Rückzug nicht zu.

"Das, das muss ein Irrtum sein, Sie haben sich geirrt. Ich weiß nicht was das soll", stammelte sie. Doch der Beamte wiederholte formell seine Aufforderung und zeigte ihr noch einmal den Durchsuchungsbefehl, den sie sich zwar ansah, aber nicht durchlas. Nervös, mit zitternder Hand, wühlte sie die Haustürschlüssel aus der Handtasche.

"Ich verstehe das nicht", wiederholte sie erneut und schloss bereitwillig die Haustür auf. Im Nu drängten sich die Beamten an ihr vorbei ins Haus und fingen an alles zu durchsuchen. Ein kleiner untersetzter Mann gab routiniert ein paar Anweisungen und alle schienen sich zu verteilen. Selbst die im Flur hängende Garderobe wurde durchsucht. Hilflos musste sie mit ansehen, wie Schränke, Schubladen und Regale durchwühlt wurden. Dabei gingen die Beamten nicht gerade zimperlich mit dem Mobiliar um. Wohin sie sich auch bewegte, immer stand der Beamte unmittelbar hinter oder neben ihr. Selbstquälerisch sah sich um und bemerkte, wie ein Beamter gereizt an einer klemmenden Schublade zog. Die ganze Schrankwand schien sich zu bewegen und die in den offenen Regalen befindlichen Porzellanfiguren drohten herunter zu fallen.

"Passen Sie doch auf!", ermahnte sie ihn erbost. Doch dieser ließ sich von seiner Arbeit nicht abringen. Mit einem kräftigen Ruck zog er die Lade auf.

"Ich muss Roland anrufen", dachte sie bei sich, "er wird wissen, was zu tun ist." Christine ging zum Telefon und nahm den Hörer ab. Unwirsch wurde ihr der Hörer aus der Hand genommen, worauf sie erschrocken zurückwich.

"Wen wollen Sie anrufen?", fragte der Beamte sie und hielt den Hörer fest in seiner Hand.

"Meinen Mann, er wird die ganze Sache sicherlich aufklären", antwortete sie.

"Tut mir Leid Frau Vogler, außer ihren Anwalt, dürfen Sie niemanden anrufen. Wo befindet sich ihr Mann zurzeit?"

"In Frankreich, er hat dort geschäftlich zu tun", antwortete Christine.

"Geschäftlich …", wiederholte der Beamte und sah etwas mitleidig zu seinem Kollegen hinüber, der dabei war die Schubladen des Stubenschrankes zu durchwühlen.

"Sie sind die Inhaberin der Firma Nordbau?", fragte er darauf. Christine bejahte zwar die Frage, fügte aber hinzu, dass dies nur pro forma sei und sie eigentlich nichts damit zu tun hatte. Der Beamte zog nur abfällig die Augenbrauen hoch, als sei dies die übliche Standardausrede gestellter Steuersünder. Christine wischte sich verlegen durch das Haar und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Der Anblick der uniformierten Männer, die Waffen und Handschellen an ihren Gürteln trugen, jagten ihr Angst ein. Kannte sie doch solche Szene nur aus Filmen und Büchern. Nie hätte sie gedacht, sich selbst in so einer Situation vorzufinden. Die innere Unruhe der Angst durchflutete ihren ganzen Körper. Sie fühlte die aufsteigende Hitze, die ihr Gesicht erröten ließ.

"Wo genau befindet sich ihr Mann?", fragte der Beamte weiter, ohne auf ihre vorangegangene Antwort zu reagieren.

"Ich weiß nicht", log sie, "er, er sagt mir nie genau, wohin er fährt."

Christine sah keinen Sinn darin, den Beamten den genauen Aufenthaltsort zu nennen. Er wäre, so glaubte sie, der Einzige der ihr helfen oder es aufklären konnte. Sie kam sich hilflos vor und konnte immer noch nicht realisieren, was da vor sich ging. Überall liefen Uniformierte herum, wühlten alles durch und begannen einige Aktenordner in Umzugskartons zu packen. Andere jüngere Kollegen schleppten sie aus dem Haus zum Transporter, wo diese verstaut wurden. Der Gedanke, dass jene Beamten auch die Wäsche in ihrem Schlafzimmer durchwühlten, fand sie geradezu entwürdigend. Dass wildfremde Männerhände ihr Nachthemd im Bett oder die Dessous in ihrem Schrank begrapschten, widerte sie an. Sie kam sich so unendlich bloßgestellt vor. Unbeholfen stand sie da und versuchte immer noch zu realisieren, was hier vorging.

"Sie haben wirklich keine Ahnung?", fragte der Beamte und riss sie aus ihren Gedanken. Seine Frage wirkte eher mitfühlend als bedrohlich. Er schien Verständnis für ihre Lage zu haben, wodurch sie ein kleines bisschen Hoffnung darin schöpfte, dass er ihr weiterhelfen könnte. Christine schüttelte den Kopf. Der Beamte atmete tief durch und trat näher an sie heran, worauf sie instinktiv ihre Hände vor der Brust faltete.

"Frau Vogler", begann er in einem sehr ruhigem Ton, der beinahe väterliche Züge hatte, "Sie und ihr Mann stehen in dringendem Tatverdacht der Steuerhinterziehung, Veruntreuung und der Urkundenfälschung. Sie als Inhaberin der Nordbau haben sich schuldig gemacht. Ob Sie davon wussten oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Daher muss ich sie bitten, mitzukommen."

"Mitkommen?", fragte Christine, "wohin mit kommen?"

"Aufs Revier, aufgrund der Verdunklungsgefahr wird der Staatsanwalt Sie mit Sicherheit ins Untersuchungsgefängnis bringen. Sie können sich viele Unannehmlichkeiten ersparen, wenn Sie mit uns kooperieren. Sagen Sie uns, wo sich ihr Mann aufhält."

"Ich, ich sagte doch ich weiß es nicht", antwortete sie nicht gerade überzeugend und sah verängstigt auf den Boden, um dessen Blick auszuweichen. Alleine die Tatsache, dass sie in eine Gefängniszelle gesteckt wird, raubten ihr fast die Sinne. Eingesperrt zu sein, mit Dieben und Mördern auf einer Stufe zu stehen. Hinzu kam die zu erwartende Peinlichkeit vor den gaffenden Nachbarn, wenn man sie in Handschellen ins Polizeiauto setzte. An den daraus resultierenden Tratsch in der Umgebung gar nicht zu denken. Den klaren Gedanken immer noch unfähig, hoffte sie immer noch, dass sich alles aufklären wird. So langsam wurde ihr klar, weshalb die EC-Karten nicht funktionierten. Mehr und mehr realisierte sie die Möglichkeit, dass ihr Mann die Konten leergeräumt haben könnte. Sie hatte auch keine Ahnung, an welchen Anwalt sie sich hätte wenden können. Alles wurde stets von Roland Vogler abgewickelt. Flucht war ihr einziger sinnvoller Gedanke. Nur weg und irgendwo hin, wo sie niemand findet. Aber wie? Zu wem sollte sie hin? Unsicher bewegte sie sich hin und her, gefolgt von den aufmerksamen Blicken der Polizei. Raus zulaufen war ihrer Meinung wohl das Dümmste. Bei der Masse an Männer wäre sie keine fünf Meter weit gekommen. Aus irgendeinem Fenster konnte sie auch nicht, denn in nahezu jeden Raum war ein Beamter, der alle Schränke und Ecken durchsuchte. Das Herz schlug ihr mittlerweile bis zum Hals und das Atmen fiel ihr immer schwerer. Sie fühlte den sich ansammelnden Schweiß auf ihrer Stirn, hinter der sich ein stechender Schmerz verteilte. Wieder und wieder wischte sie ihre Handflächen an ihrem Kleid trocken, strich sich durchs Haar oder rieb sich den Nacken. Ununterbrochen beobachte der Beamte sie und machte sich ihrer Meinung nach seine eigenen Gedanken. Christine war zum Heulen zumute, doch riss sie sich so gut sie konnte, zusammen. Instinktiv versuchte sie verzweifelt ihre Haltung zu wahren. Trotz des Gefühls, dass jeder Einzelne sie beobachtete und als mögliche Betrügerin sah.

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