Soviel ich weiß, behielt Pritchie ihre Wohnung, ihr Reservat, wie sie sich auszudrücken pflegte, bei. Von ihrem Mann sprach sie nur von „Herr Schmidt“. Aus Imagegründen behielt sie ihren Mädchennamen bei. Sie wollte partout nicht Schmidt heißen.
So wie ich Pritchie in Erinnerung habe, braucht man sich um sie nicht zu sorgen. Sie weiß sich zu behaupten, wettergegerbt und weit gereist, nimmt ihr niemand die Butter vom Brot. Vielleicht lebt sie zurzeit unter Eingeborenen. Sie liebt das Prickeln der Gefahr und hat sich zu meinem Entsetzen oft auch Expeditionen von Höhlenforschern angeschlossen. Aber es ist immer gut gegangen.
Falls Sie mit Pritschie in Verbindung treten können, richten sie ihr doch bitte ganz herzliche Grüße aus von ihrem Karolinchen.
Mit freundlichen Grüßen
Karoline Küster
„Ist das ernst zu nehmen?“ fragte Elsterhorst, nachdem er den Brief gelesen hatte.
„Was Schmidt betrifft, habe ich so meine Zweifel. Bisher ist er weder tot noch lebendig gefunden worden. Aber die anderen Angaben stimmen jedenfalls. Sie hat tatsächlich in Heidelberg studiert. Der verschwundene Ehemann heißt Karl-Heinz Schmidt. Die Henderson war mit Ausgrabungsteams unterwegs. Finanziert wurde sie allerdings vom British Museum und der zuständigen Universität, nicht von Schmidt. Außerdem gibt mir der Name zu denken.“
„Welcher? Henderson?“
„Der könnte tatsächlich echt sein. Er ist sogar ziemlich häufig. Aber Priscilla! Das ist doch ungewöhnlich.“
„Es gibt schlimmere“, meinte Elsterhorst.
„Sicher. Aber überlegen sie doch: Priscus, so hieß der frühere römische König, der eine etruskische Frau heiratete, die ihn später als Matriarchin an die Wand spielte.“
„Ein Hinweis also von der Küster? So wie die über den Schmidt herzieht, könnte es sich durchaus um eine Beziehungstat handeln.“
„Die Geschichte geht noch weiter. Ihr Kollege Velmond ist doch zuverlässig in seinen Angaben, oder?“
„Zeitweise. Was will er denn herausgebracht haben?“
„Nun, er hat diese Karoline Küster tatsächlich in Lohr aufgespürt. Es gibt sie also. Dann hat er sie wohl mit einem guten Wein traktiert.“
„Natürlich - das sieht im ähnlich!“ bemerkte Elsterhorst.“
„Zum Glück, würde ich sagen. Sie erzählte ihm nämlich, dass Priscilla angeblich im Besitz einer einzigartigen Geparden-Plastik etruskischer Herkunft sein soll. Den Fundort in den deutschen Alpen hielte sie geheim. Auch wisse niemand, in welchem Safe welcher Bank, London, Zürich, Frankfurt, sich die kleine ca. 15 cm lange Plastik aus Bergkristall – andere sagen sogar aus Gold - befindet, ein springender Gepard, wie er auch in einer Höhle im Tegernseer Gebirge abgebildet ist. Ihr Wert werde auf Millionen bis unbezahlbar geschätzt. Dieser Karl-Heinz Schmidt habe sich an Priscilla angeblich nur herangemacht, um an den Geparden zu kommen.“
„Und wenn sie lügt?“
„Möglich. Aber warum? Velmond hat die Küster zufällig noch mal in der Fußgängerzone von Lohr getroffen und ihr diesmal einen Kräutertee spendiert. Da blieb sie etwas zurückhaltender. Mal behauptete sie, der Gepard solle aus Bergkristall sein, dann wieder aus purem Gold! Selber aber habe sie ihn noch nie gesehen! Und es kommt noch besser: Vielleicht gäbe es ja den Geparden auch gar nicht! Vielleicht sei er ja nur ein Phantom.“
„Und was soll ich in dieser Sache tun“, fragte Elsterhorst. „Wenn Kollege Velmond mal wieder lediglich mit schönen Dienstreisen, Nichtstun und Weintrinken die wichtigen Hinweise zu Tage fördert?“
„Es ist wichtig, dass Sie hier sind! Morgen werden Sie mehr erfahren. Heute muss ich mich leider noch um anderes kümmern. Hier ist Ihr Koffer.“ Er nahm ihn aus einem verschlossenen Schrank.
„Ein Constable wird Sie in Ihre Pension fahren. Seien Sie vorsichtig! Bis morgen um acht Uhr.“
Elsterhorst war entlassen. Der Constable stand schon bereit.
In seinem Zimmer angekommen, überlegte er nur kurz, ob er Judith noch einmal anrufen sollte, entschied sich aber dagegen. So wurde es für ihn ein sehr langweiliger Abend. Allerdings machte ihm die Sache mit dem rätselhaften DI George Budd zu schaffen, und dass sie hier angeblich so gar nichts von ihm wussten.
Elsterhorst war angenehm überrascht, dass ihm ein eigenes kleines Arbeitszimmer in unmittelbarer Nähe von Superintendent Brown zur Verfügung gestellt wurde. Es war mit allem ausgestattet, was er brauchte. An der Tür befand sich sogar ein Schild mit seinem Namen. In korrekter Schreibweise. Kurz nach acht erschien Brown und nahm ihm gegenüber auf dem Besucherstuhl Platz.
„Gibt es Neuigkeiten?“
„Nein, aber es müssen noch einige Dinge geklärt werden. Es hat gestern Abend noch eine Besprechung stattgefunden über die Informationen und Richtlinien, die wir Ihnen geben sollten.“
Elsterhorst wunderte sich über den amtlichen Ton, der sehr von dem abwich, von dem gestern ihr Gespräch bestimmt wurde.“
„Ja?“
„Was wissen Sie über die Etruskische Liga, Herr Kommissar?“
„Ich höre das Wort zum ersten Mal.“
„Sie sind sicher, dass es keine Verbindung zwischen Ihnen und der Liga gibt?“
„Vollkommen sicher! Jedenfalls was mich betrifft.“
„Und trotzdem muss es ein Bindeglied geben. Zunächst müssen Sie wissen, dass es keinen Detektive Inspector Budd bei uns gibt, sowie dass wir keine Nachricht erhielten, dass Sie in Dover seien. Ferner dass es keinen Auftrag gab, Sie dort abzuholen. Das machte uns zumindest – sagen wir ....“
„Misstrauisch?“
„Zunächst ja. Wir haben alle Erkundigungen eingezogen, die uns zugänglich waren. Ihre Dienststelle hat den Auftrag bestätigt, uns wurde ein Bild gefaxt, Fotokopien Ihrer Unterlagen. Sie verstehen, dass wir uns vergewissern müssen, mit wem wir es zu tun haben.“
„Natürlich.“
„Ist sonst noch irgendetwas Ungewöhnliches passiert, was mit dem Fall zu tun haben könnte?“
Elsterhorst schwieg einen Moment. Stand er nun selbst unter Verdacht? Die Sache begann ihn jetzt eigentlich erst richtig zu interessieren.
„Nun ja, es hängt davon ab, was Sie als ungewöhnlich bezeichnen. Da war ein Brief von einem Thomas McCann. Er traf ein, kurz nachdem das Projekt London spruchreif wurde. McCann behauptete, mich auf einer Reise getroffen zu haben, woran ich mich aber nicht erinnere, was aber nichts besagt. Er bat mich, den Auftrag in London unbedingt anzunehmen. Es stünde viel auf dem Spiel, oder so ähnlich drückte er sich aus. Ich hatte ja zu diesem Zeitpunkt längst das Projekt London übernommen. Der Brief interessierte mich daher wenig.“
„Haben Sie ihn noch?“
„Vermutlich, aber nicht hier.“
„Schade. Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?“
„Irgendjemand hat mir einen merkwürdigen Stein in die Tasche gesteckt, einen schlecht imitierten Skarabäus. Das aufgeklebte Bild zeigte einen Ritter, der ein Tier tötet.“
„Wo ist er? Ich möchte ihn gerne sehen.“
„Er ging verloren. Entweder auf dem Schiff oder im Krankenhaus. Genau wie mein Handy.“
„Ihr Handy ging auch verloren?“
Brown sprach die letzten Worte mit besonderer Betonung.
„Welche Nummern hatten Sie gespeichert?“
„Nur meine eigene!“
Um nichts in der Welt hätte Elsterhorst diesem unterkühlten Briten gegenüber zugegeben, dass er stets nur seine eigene Nummer speicherte, damit er, wenn er sich besonders verlassen fühlte, bei sich zu Hause anrufen könnte. Die Gewissheit, dass dann in seiner vertrauten Schwabinger Wohnung das Telefon läuten würde, erfüllte ihn mit einem angenehmen Gefühl. Außerdem beruhigte es ihn schon allein, diese Nummer zu sehen.
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