Er sieht Marlene unruhig an. Marlene lehnt sich zurück und wickelt ein Pfefferminzbonbon aus. Eifersucht ist das Letzte, was sie bei Markus erwartet hat. Schließlich hat er es damals mit anderen Frauen nie so genau genommen.
»Bisher haben wir jeden Abend miteinander telefoniert, wenn Vera auf Reisen war«, erzählt Markus. »Jetzt allerdings ist sie ziemlich überstürzt nach San Francisco geflogen, ohne mir zu sagen, in welchem Hotel sie wohnen wird.«
»Hat sie dich aus San Francisco angerufen?«, fragt Marlene.
Er schüttelt den Kopf. »Bevor sie abreiste, sagte sie, sie werde sehr viel zu tun haben und wohl kaum Zeit finden, sich zu melden. Ich glaube, sie ist gar nicht nach San Francisco geflogen«, fährt er fort. »Ich habe heute Vormittag im ihrem Sekretariat bei der Firma angerufen und gefragt, in welchem Hotel sie wohnt. Doch anstatt mir die Auskunft zu geben, hat man mir nur ausgerichtet, man habe mit Vera Kontakt aufgenommen und sie werde mich heute Abend anrufen. In etwa drei Stunden, gegen 20 Uhr.«
Marlene sieht Markus an. »Was erwartest du von mir?«, fragt sie.
»Komm mit und höre dir an, was Vera mir zu sagen hat«, erwidert er. »Und ich möchte, dass du dich mit Vera unterhältst. Finde heraus, ob sie wirklich in San Francisco ist.«
Die Villa ist elegant, der Garten riesig und die Einrichtung des Wohnraumes erlesen. Marlene nippt an ihrem Kir Royal, während Markus nervös auf und ab geht. Das Telefon steht auf dem Sekretär am Fenster. Draußen geht die Sonne unter. Punkt 20 Uhr klingelt der Apparat. Markus nimmt ab und schaltet den Mithörlautsprecher ein. Die Stimme seiner Frau klingt durch den Raum. Vera Holland wirkt ein wenig abgespannt.
»Tut mir leid, dass ich mich bis jetzt nicht gemeldet habe«, sagt sie. »Aber es ging um eine komplizierte Geschäftsangelegenheit, die ich zu regeln hatte. Ich wusste in den letzten Tagen oft nicht, wo mir der Kopf stand.« Sie erzählt von den Konferenzen mit amerikanischen Geschäftspartnern, die sie geführt hat. »Und du?«, fragt sie schließlich. »Wie geht es dir?«
»Ich habe eine alte Freundin zu Gast«, erwidert Markus beiläufig. »Marlene Kemper.«
»Ach!« Sofort klingt Veras Stimme etwas reservierter.
Marlene nimmt den Telefonhörer. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagt sie. »Ich leiste Markus nur ein wenig Gesellschaft.«
»Ich wäre jetzt auch lieber bei ihm«, sagt Vera kühl. »Aber leider werde ich noch ein paar Tage hier in San Francisco bleiben müssen, bis alle Verträge unterschrieben sind.«
»Versäumen Sie nicht, die Sehenswürdigkeiten der Stadt anzuschauen«, rät Marlene.
»Sie meinen die Golden Gate Bridge?«, fragt Vera. »Ja, ich fürchte, das steht mir noch bevor. Meine Geschäftspartner bestehen auf einer Stadtrundfahrt. Morgen haben sie mich zu einer Fahrt mit der berühmten Cable Car-Straßenbahn eingeladen.«
»Manchmal muss man Einladungen annehmen, wenn es den Geschäften dient«, meint Marlene. Markus steht neben ihr und sieht sie gespannt an.
»Sie haben Recht«, sagt Vera. »Ich muss jetzt auch gleich zu einem Dinner zu dem meine Geschäftspartner eingeladen haben. Das Essen beginnt um halb neun, und ich bin noch nicht einmal umgezogen.«
Markus nimmt Marlene den Hörer aus der Hand. »Kann ich dich anrufen, wenn du zurück bist?«
Doch statt einer Antwort kommt nur noch ein Knistern aus dem Hörer, dann ist die Leitung tot.
Markus sieht Marlene hilflos an. »Was meinst du? Hat sie mich eben belogen?«
»Tja«, sagt Marlene. »Ich fürchte, du hast Grund zur Eifersucht, mein Lieber. »Denn deine Vera ist ganz bestimmt nicht in San Francisco!«
Was ist Marlene aufgefallen?
Lösung:
Vera rief um 20 Uhr deutscher Zeit angeblich aus San Francisco an und behauptete, um halb neun noch zu einem Dinner eingeladen zu sein. Das ist unmöglich, denn wegen der Zeitverschiebung ist es in San Francisco schon weit nach Mitternacht gewesen.
04. Falle für den Sündenbock
Kommissarin Marlene Kemper sieht deutlich, wie viel Überwindung es Andrea Uhlen kostet, in den Gegenüberstellungsraum zu treten. »Sehen Sie sich die Männer genau an«, sagt Marlene und deutet auf die sieben Männer, die durch den Einwegspiegel zu sehen. Andrea Uhlen nagt nervös an ihrer Unterlippe und lehnt das Pfefferminzbonbon ab, das Marlene ihr anbietet.
Die Männer stehen in einer Reihe drüben im Vorführraum. Sie sind alle um die 1,70 Meter groß, blond bis brünett, tragen Jeans, schäbige Lederjacken und Lederhandschuhe. Genauso hat Andrea Uhlen vor zwei Tagen den Mörder ihres Mannes beschrieben.
Jetzt steht Andrea stumm an der Glasscheibe. Ihre Hände zittern. Kommissarin Marlene Kemper sieht, wie ihr Kollege Nils Krüger, der sich drüben mit der Nummer 3 als »Verdächtiger« eingereiht hat, unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt.
»Nummer 4«, sagt Andrea Uhlen plötzlich. »Das ist der Mann, der Gerhard erschossen hat. Ich werde diese stechenden Augen nie vergessen. Und die Form seiner Lippen und die Tätowierung auf dem Handrücken.«
Marlene nickt der Protokollführerin zu, die Andreas Angaben notiert und sagt: »Danke Frau Uhlen. Eine Beamtin wird Sie heimbringen.«
Mit der Akte des »Verdächtigen Nr 4« unterm Arm nimmt Marlene den Fahrstuhl hinauf zu den Büros der Mordkommission. Der Verdächtige Nummer 4 ist Leo Treske, in Ganovenkreisen auch der »schöne Leo« genannt. Aus seiner Akte weiß Marlene, dass er eine Menge auf dem Kerbholz hat. Es scheint also gut möglich, dass er jetzt sogar vor einem Mord nicht zurückgeschreckt ist.
Oder vielleicht hat er Gerhard Uhlen und seine Frau nur überfallen wollen und dabei die Nerven verloren?, überlegt Marlene. Anders kann sie sich den Mord nicht erklären.
Es ist am Dienstagabend geschehen. Andrea Uhlen und ihr Mann wollten nach einem Theaterabend heimfahren. Marlene erinnert sich noch genau an Andreas Zeugenaussage: »Auf dem Parkplatz des Theaters kam ein mittelgroßer, brünetter Mann in Jeans und Lederjacke auf uns zu. Er bedrohte uns mit einem Revolver und verlangte Geld. Doch als Gerhard nach der Brieftasche in sein Jackett griff, schoss der Gangster sofort.«
Andreas Mann war tödlich getroffen zusammengebrochen. Außer der Beschreibung, die Andrea von dem Mörder geliefert hat, gibt es nur noch ein paar vage Beobachtungen von Zeugen, die einen Mann hatten weglaufen sehen.
Marlene Kemper blättert noch in den Akten mit Andreas Aussage und Leo Treskes Vorstrafenregister, als ihr Kollege Krüger hereinkommt. Er ist immer noch in der Aufmachung, in der er eben in der Identifizierungsparade gestanden hat. Er zieht die Lederhandschuhe aus und schlüpft aus der Jacke. »Hat Andrea jemanden erkannt?«
Marlene nickt. »Sie hat Leo Treske identifiziert. Die Nummer 4.«
»Da bin ich aber überrascht«, sagt Krüger. »Leo macht doch normalerweise keine Raubüberfälle, sondern treibt nur brutal die Schulden für die Spielclubs ein.«
»Fragen wir doch Leo am besten einmal selbst!«, meint Marlene.
Doch als der »schöne Leo« der Kommissarin gleich darauf gegenübersitzt, hat er erst einmal selbst eine Frage an Marlene: »Wer hat mich verpfiffen?«
Marlene Kemper beschließt, mit offenen Karten zu spielen. »Es war ein anonymer Anrufer. Jemand sagte, du hättest Gerhard Uhlen auf dem Gewissen. Er nannte uns die Adresse des Appartements deiner Freundin, in dem wir dich dann gestern Abend geschnappt haben.« Sie zupft ein frisches Pfefferminz aus der Packung und bietet auch Leo eins an. Als er zugreift sieht Marlene den bunten Schmetterling, der auf seinem Handrücken tätowiert ist.
»Dieses Luder!«, knurrt er.
»Welches Luder?«
»Die Witwe«, grollt Leo. »Andrea Uhlen, so heißt sie doch, oder? Sie hat mich angeheuert, um ihren Mann zu erschießen.«
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