„Macht Euren Frieden mit dem Clan“, drängte Khären. „Das Stadthaus ist geräumig und bestens gesichert. Dort könnt Ihr mit Eurem Sohn beisammen sein. Nôrden hat sich nicht mehr blicken lassen, seit Segur das Haus übernommen hat. Dafür lebt Großmeister Greven jetzt bei uns. Wir sind wieder eine starke Gemeinschaft. Es ist höchste Zeit, dass Ihr zurückkehrt.“
Greven. Ferens Blick verlor sich in der Ferne. Er hatte es noch nicht fertig gebracht, mit Greven persönlich über den Tod seines Sohnes Stork zu sprechen. Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern. Was sollte er Greven sagen? Dem Vater, der nun auch den dritten hoffnungsvollen Sohn begraben musste? Wieder stellte Feren sich die Frage, ob er Storks Tod hätte verhindern können. Er kannte die Antwort auswendig. Sobald er entschied, ihn mit in den Tunnel zu nehmen, konnte er ihn nicht mehr schützen. Der Fehler lag weiter zurück: Feren hätte Stork niemals in seine Gruppe berufen und damit ihrer beider Schicksal verbinden dürfen. Zu Khären sagte er nur: „Ich werde kommen und mit Großmeister Greven sprechen, sobald ich ein wenig kräftiger bin.“
Beor war sehr zufrieden mit sich. Er hatte etwas Wichtiges gelernt: Es lohnte sich, für das zu kämpfen, was einem richtig erschien. Er hatte keinen Zweifel daran, dass er seinem Vater eine große Unterstützung gewesen war. Die Erwachsenen wussten auch nicht immer, was ihnen gut tat. Er würde in Zukunft genau prüfen, welchen ihrer Anordnungen er nachkommen musste und welchen nicht.
Ein potenzieller Schwiegersohn
Einige Tage später besuchte Gildemeister Malfarin das Gildehaus von Orod Ithryn. Mit Genugtuung stellte er fest, dass das Haus die Erwartungen erfüllte: es war zu einem wichtigen Umschlagplatz für Informationen geworden. Nun galt es, dafür zu sorgen, dass Erfahrungsaustausch und Fortbildung nicht zu kurz kamen. Die jungen Kombat-Zauberer sollten die Begegnung mit den alten Routiniers, die im Gildehaus zu Gast verweilten, zur Weiterentwicklung ihrer Techniken nutzen. Im Moment war jeder so mit Aufgaben eingedeckt, dass die Muße für fachlichen Austausch fehlte.
Natürlich interessierte Malfarin sich nicht ausschließlich für das Haus. Er wollte endlich Feren näher kennen lernen, mit dem seine Tochter zusammen war. Inzwischen hatte er mit vielen Leuten gesprochen, die Feren kannten, doch er hatte noch kein klares Bild von ihm.
Für Feren kam es nicht unerwartet, dass Malfarin ihn um eine Unterredung unter vier Augen bat. Der Fürst hatte ein Recht darauf, dass Feren ihm über die Beziehung zu seiner Tochter Rede und Antwort stand. Feren hatte mehrere Varianten der Argumentation durchgespielt, er war gut vorbereitet. Als erstes würde er das Donnerwetter über sich ergehen lassen, bevor er irgendetwas sagte.
Malfarin bot ihm Platz an. Das war gut. Feren fühlte sich noch nicht so kräftig, die Unterredung im wahrsten Sinne des Wortes durchzustehen.
Der Fürst musterte sein Gegenüber eine Weile schweigend. Er versuchte, die unterschiedlichen Einschätzungen, die er aus verschiedenen Quellen über Feren erhalten hatte, in Einklang zu bringen. „Wer ist Feren?“
Feren nahm sich mit der Antwort Zeit. Wer war er wirklich? Diese Frage würde er mit Malfarin gewiss nicht diskutieren. So entschied er sich für Torrens offizielle Version: „Ich bin ein Kind der Riten. Meinen Vater kenne ich nicht. Meine Mutter Mallen war Fürst Torrens Tochter.“
„Ich kannte Mallen. Eure Mutter hat ihre Riten selbst definiert, und ihr Ehemann hat das Ergebnis ihres lockeren Lebenswandels nicht anerkannt“, sagte Goswin schärfer als nötig. „Gebe ich die Situation treffend wieder?“
Feren nickte: „So hat man es mir gesagt.“
„Dennoch habt Ihr es gewagt, meine Tochter Kayla zu verführen?“ fragte Malfarin.
Feren hatte mit dem Donnerwetter gerechnet und brachte die vorbereitete Antwort: „Es gibt nichts, was ich zur Rechtfertigung vorbringen könnte, nichts, worum ich Euch bitte. Eure Tochter kam zu mir als Geschenk, als Gunst in schwerer Stunde. Was das Schicksal gibt, kann es jederzeit wieder nehmen.“
„Wie soll das weiter gehen?“
Ferens Augen nahmen den typischen verlorenen Ausdruck an, den er benutzte, um keine Angriffsfläche zu bieten: „Ich habe kein Recht, sie zu freien. Nichts was ich bin und besitze, kann in Eurer Welt bestehen. Solange sie bleiben will, ist sie mir willkommen.“
Die Antwort befriedigte Malfarin nicht. Wenn man seine Herkunft so interpretierte, wie Malfarin es in seiner Einleitung bewusst getan hatte, war Ferens Entgegnung korrekt. Doch das war nur eine Lesart der Wahrheit. Feren war mittlerweile einer der mächtigsten Zauberer des Tolego-Clans. Das zählte mehr als Mallens Fehltritt. Unter diesem Blickwinkel war Kayla durchaus eine angemessene Partie für Fürst Torrens Enkel. Doch das schien Feren nicht bewusst zu sein.
„Kayla ist frei in der Wahl ihrer Partner, seit sie zu einem der großen Rituale berufen wurde. Ich nehme an, das ist Euch bekannt. Als Vater interessiert mich allerdings, wer der Mann ist, der vielleicht einmal meinen Enkel zeugen wird“, sagte Malfarin.
„Was wollt Ihr wissen?“ fragte Feren defensiv.
„Ihr wurdet in Orod Ithryn ausgebildet. Für einen Tolego ist das ungewöhnlich. Warum schickte Euer Großvater Euch dorthin?“ wollte Malfarin wissen.
Feren antwortete: „Es war zur Strafe. Ich bin wiederholt von daheim ausgerissen. Auf den Straßen von Tolego gefiel es mir besser als im Haus meines Stiefvaters. Irgendwann hatte mein Großvater es satt, nach mir zu suchen.“
Aha. Es war also Fürst Torrens Entscheidung gewesen. Aber warum nach Orod Ithryn? Zu jener Zeit hatte König Curon gerade mit dem alten Hexenmeister gebrochen und seine eigene Zauberschule gegründet. Torren hatte sich dem Wunsch des Königs gebeugt und seinen Nachwuchs dort hingeschickt. Warum hatte er bei Feren eine Ausnahme gemacht? „Bis vor kurzem wusste hier kaum jemand, dass Ihr Fürst Torrens Enkel seid. In Orod Ithryn habt Ihr das vermutlich auch geheim gehalten“, testete Goswin weiter.
Feren bestätigte: „Ich sprach mit niemandem über meine Herkunft. Es war schon schwierig, aus Furukiya zu stammen. Ein Tolego hätte gar keine Freunde gehabt.“
Malfarin registrierte, dass Feren früh lernen musste, nichts von sich preiszugeben. Aus dem hintersten Winkel seines exzellenten Gedächtnisses tauchte das Bild eines kleinen Jungens auf, der in eigenartiger Haltung mit dem Rücken zur Kaminwand kauerte. Er war sehr klein, sehr schüchtern und sehr verloren. Ängstlich bemüht, keinen Fehler zu machen. Nicht aufzufallen. Tapfer zu sein. „Vor vielen Jahren sah ich Euch in Malfar, wo sich die Schüler aus Furukiya für die gemeinsame Reise nach Orod Ithryn versammelten. Ihr wart jünger als die anderen, erheblich kleiner und etwas langsam. Keine guten Voraussetzungen, um zwischen Jungs wie Sedh und Mischa zu bestehen.“ Malfarin konnte sich vorstellen, was Feren durchgemacht hatte. Er war selbst einer von den Kleinen gewesen.
Feren antwortete nicht. Ein winziges Zucken im Augenwinkel zeigte Malfarin, dass er ins Schwarze getroffen hatte. So fragte er weiter: „Warum brachte man Euch so früh in eine so feindselige Umgebung? Was stellt ein neunjähriger Junge an, damit er eine solche Strafe verdient?“
Feren sah Malfarin prüfend an: „Ich habe einen Mann getötet.“
Malfarin wartete.
Schließlich fuhr Feren fort: „Er hatte mich an Armen und Beinen gefesselt und wollte mich verstümmeln, damit ich für ihn Betteln gehe. Ich rief heißes Wasser vom Herd und schickte es in sein Gesicht. Er konnte mich nicht mehr sehen. Dann befreite ich aus dem Herd das Feuer und hieß es, ihn zu umzingeln. Bald stand die ganze Hütte in Brand. Ich streifte meine Fesseln ab, schritt durch die Flammen und war frei. Den Unhold jedoch hielt ich mit einem Wahrnehmungszauber zurück, bis er elendiglich verbrannte.“
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