»Wollt Ihr die Gläubigen verscheuchen oder ist Eure Miene irgendwie eingefroren?«, fragte Kodasis ungehalten.
Der Wächter wollte schon zu einer scharfen Antwort ansetzen, als im bewusst wurde, wer dort vor ihm stand und Einlass erwartete. Schnell öffnete er die Tür und ließ die Gruppe eintreten.
»Wann sehen wir uns?«, fragte Adderlin und veranlasste Geridion und die anderen, stehen zu bleiben. »Ich dachte, ihr würdet mitkommen! Ihr könnt hier im Tempel als unsere Gäste verweilen.« Sorge war auf dem Gesicht des Oberpriesters zu erkennen.
Uhra nickte zustimmend und ergänzte: »Hier gibt es Gästeräume, du, ihr alle wäret ungestört. Ein Badehaus haben wir auch«, sagte er mit Blick auf Hagen.
»Ich denke, wir sollten unsere eigene Unterkunft haben. Wir sehen uns, wenn euer hoher Priester mit euch gesprochen hat«, erwiderte Adderlin entschlossen.
Uhra war zwischen Verstehen und dem Wunsch, seine Freunde bei sich zu wissen, hin und her gerissen. »Ich sende euch einen Boten«, sagte er.
»Ist gut, wir sind bestimmt wieder im Gasthof Goldener Schwan«, antwortete Hagen, drehte sich um und stieß fast mit Gwen zusammen, die gerade die kleine Gruppe erreichte.
Kaum eine Viertelstunde später traten sie in den Vorraum des kleinen Gasthofes. Der junge Mann hinter dem Tresen legte drei Schlüssel vor sich hin.
»Ich wünsche Euch einen schönen guten Tag.« Er nickte kurz, höflich aber nicht unterwürfig. »Edle Dame, meine Herren, darf ich Euch Eure üblichen Zimmer geben?«
Ja, die üblichen Zimmer waren gut. Sie lagen auf der zweiten Etage, zum Innenhof hin, eines für Nyander, eines für den Elf und eines für Hagen und Gwendolin zusammen.
»Und ein paar heiße Badezuber?«, fragte Konrad.
Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel des Halbelfen. »Für mich nicht, ich werde wohl später ins Badehaus gehen«, erklärte Nyander.
Hagen und Gwen nahmen das Angebot an, begaben sich direkt auf ihr Zimmer. »Wir sehen uns in zwei Stunden«, sagte Hagen.
»Aber was ist mit deiner Aufgabe?« fragte Adderlin, er wollte daran erinnern, dass Gwen versucht hatte, ihre Verfolger zu erkennen, er wollte wissen, was sie herausgefunden hatte.
»In zwei Stunden reicht immer noch«, sagte Gwen.
Der Elf nickte und begab sich ebenfalls auf sein Zimmer. Er würde sich Nyander ins Badehaus anschließen.
Nyander verzog sich auf sein Zimmer, ein karger Raum mit einem guten Bett, einem Tisch und einem Stuhl. Das Badehaus musste noch ein wenig warten, erst noch hatte er eine andere Pflicht zu erledigen. Die Diebesgilde erwartete, dass er sich zurückmeldete. Die Zweililie legte er auf sein Bett. Er wusste, dass er sie nicht brauchen würde, dort, wo er hinging.
Über den Innenhof verließ er den Gasthof.
Er kam aus armen Verhältnissen, seine Mutter, die Elfe, war früh gestorben, er war sieben Jahre alt gewesen, seinen Vater kannte er nicht. Die Gilde war seine Ersatzfamilie geworden. Eine Familie, die immer forderte und selten lobte.
Die Verndari, wie sie sich selber gerne nannten, waren gut organisiert, besaßen in fast allen Stadtteilen kleine Büros. Lokale Gruppen `beschützten´ ihr Gebiet, Glückspiel, Hurenhäuser und andere bezahlte Dienste waren die Haupteinnahmequellen. Mord stand nicht auf der Liste der Dinge, die man für Geld kaufen konnte und die Verndari waren sehr bemüht, ihre Reihen von solchen frei zu halten, die diese Profession als lukrative Einnahme für sich erschließen wollten. Sie wollten und konnten es sich nicht leisten, dass man sie mit Mord und Todschlag in Verbindung brachte.
Er steuerte auf das große Haus zu, ging bis zur Tür, ein junges Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, lugte durch den kleinen Spalt, sah sein Kommen und öffnete. Der Vorraum, in den der Halbelf nun eintrat, war schlicht gehalten. Vor ihm befand sich ein Sekretär aus dunklem, benutztem Holz, dahinter stand eine junge Frau und machte Eintragungen in einem Buch.
»Willkommen zurück, Ne... – Halbelf.« Nach einer kleinen Pause: »Ich hätte dich nicht so schnell zurück erwartet!« Die Tagmeisterin musterte ihn eindringlich, wartete auf eine Antwort auf ihre unterschwellig gestellte Frage.
»Der Auftrag außerhalb der Stadt ist nicht so verlaufen, wie geplant«, antwortete Nyander.
»So – wie lange willst dann diesmal bleiben?«, fragte Systra sachlich. »Ein paar Wochen, wie sonst auch immer?« Ihr Blick traf den des Halbelfen, und er konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
»Ich weiß es noch nicht genau, wollte mich nur ordnungsgemäß melden.«
Systra runzelte die Stirn. »Ich hätte eine Aufgabe für dich«, sagte sie. »Wir sind an einer größeren Sache dran und wir könnten noch einen guten Mann gebrauchen.« Wieder konnte man den Eindruck gewinnen, ihre Frage war eher ein Befehl, dem man sich nicht widersetzen sollte.
Nyander wollte keinen Ärger. »Werte Dame, mich ehrt Euer Angebot, aber nach den Ereignissen der letzten Tage würde ich es vorziehen, mein Glück nicht über die Maße zu strapazieren.« Es war eine eher dünne Ausrede, aber da er zur Zeit auch keine Geldsorgen kannte, war seine Motivation gering.
»Na gut, ich werde Euch eintragen – und Ihr sagt, wenn Ihr die Stadt verlasst oder doch Arbeit sucht!«
»Ja, mach ich – ach ehe ich es vergesse: wollt Ihr mit mir zu Abend essen?« Nyander hatte sich schon halb umgedreht, so sah er nur aus den Augenwinkeln die verdutzte Miene der Tagesmeisterin. Was er hörte, war ein kurzes Schnauben, eine Antwort bekam er nicht – hatte er aber auch nicht erwartet. Mit einem Lächeln verließ er das Haus und begab sich auf seinen Weg zurück, erst zum Gasthof, den Elfen abholen und dann ins Badehaus.
Der Himmel ließ einen Rest Sonnenstrahlen erkennen. Nur ein paar Wolken trübten den Blick ins unendliche Blau.
Von unten aus dem zweiten Innenhof, in dem zu dieser Zeit die Waschzuber und Wannen standen, drangen Gelächter und Stimmen nach oben. Einige der anderen Gäste, zwei Männer einer Karawane, hatten sich je einen der kleineren Zuber geleistet, schrubbten sich den Staub der letzten Reise von der Haut und aus den Haaren.
Durch Leinen und Laken abgetrennt, gab es weitere Zuber, in einem der größeren saßen Gwendolin und Hagen. Sie hatte sich halb zu ihm umgedreht und sagte: »Du sollst mir den Rücken mit dem Schwamm schrubben und nicht deine Hände an meinen Brüsten wärmen.«
Hagen schnaubte los, und Gwen versuchte spielerisch, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Hagen fing mit Leichtigkeit ihre Hand ab, hielt sie fest und zog sie zu sich heran. Er küsste Gwens Fingerspitzen und lächelte sie dabei an. Gwens Blick wurde etwas milder, als sie sagte »Erst waschen und dann sehen wir weiter, mein starker Nordländer.«
Ihre freie Hand lag auf Hagens Bauch und rutsche langsam tiefer. Sie lächelte, und als er seinen Blick ihrer Hand folgen ließ, erhielt er eine volle Ladung Wasser ins Gesicht. Er prustete und es entbrannte eine Wasserschlacht. Gelächter und Flüche mischten sich mit Spritz- und Platschgeräuschen.
Einige Minuten später verstummte das Planschen und die beiden Protagonisten verließen die Bühne in Richtung ihres Zimmers. Eingehüllt in Tücher konnte keiner mehr Anstoß an ihrem Auftreten nehmen.
Die nächsten zwei Stunden war die beiden beschäftigt, all das nachzuholen, was sie in den letzten Wochen verpasst hatten.
Beide waren für einige Zeit erschöpft eingeschlafen. Nachdem Gwen erwachte, lag sie ruhig, um Hagen nicht zu wecken.
Er lag auf der Seite, das Gesicht war ihr zugedreht. Sie betrachtete ihn, die maskulinen Züge, seine blasse Haut, dachte an das erste Mal, als sie ihm begegnet war, in der Stadt Heldann.
Heldann war groß, größer als Nordahl und die Hauptstadt ihres Landes. Heldann war bunt und voll mit Menschen, Zwergen, Gnomen, Kobolden und Elfen, Wesen, denen Gwen noch nie in ihrem Leben vorher begegnet war. Die Reise aber hatte sie abgehärtet, ihre Muskeln gestärkt und ihre Menschenkenntnis geschult, daher fand sie sich in der großen Stadt einigermaßen zurecht. Fragen half immer. Informationen über den Magier, den sie suchte, erhielt sie trotzdem nicht. Alle wussten von Magiern zu erzählen, aber nicht von einem mächtigen Illusionisten. Nach wenigen Tagen beschloss sie daher, weiter zu ziehen, weiter in Richtung Nordwesten. Am letzten Abend im Gasthof hatte sie sich spät noch in den mäßig gefüllten Schankraum gesetzt, fand einen Tisch nahe dem Kamin. Das Wetter war kühl und die Wärme des brennenden Holzes angenehm.
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