„Ich weiß, ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Sie haben mich bei sich aufgenommen, als mir niemand sonst noch eine Chance gegeben hätte.“ Dr. Reinders blickte wie ein reuiger Sünder zu Boden und verkniff sich den Hinweis darauf, dass er für wenig Geld bis spät in die Nacht im Institut schuftete, keine Freizeit und keine Möglichkeit hatte, mit einem Vortrag auf einem Kongress oder einem Artikel in einer Fachzeitschrift etwas für seine so jäh unterbrochene Karriere zu tun, und für immer zu einer Existenz zwischen staubigen Kapitellen und Säulenstümpfen verdammt zu sein schien, zerbrochen und unvollständig wie diese.
„Ihr Wunsch, mir ausgerechnet jetzt den Rücken zuzukehren, lässt nur wenig Dankbarkeit erkennen.“
„Aber es geht hierbei nicht nur um mich, sondern auch um das deutsche Reich!“
„Warum melden Sie sich nicht freiwillig und kämpfen mit der Waffe in der Hand, wenn Sie so ein großer Patriot sind?“
„Weil ich als Archäologe viel nützlicher sein kann, findet Herr Schedel.“
„Dann soll in Zukunft er sich mit der Wehrmacht auseinandersetzen und Ihre UK-Stellung begründen! Ich kenne Sie nicht mehr und werde nichts mehr für Sie tun.“
Reinders nickte betrübt und tat, als wäre er nicht längst entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen.
Wie ein langsam anschwellender Gesang wuchs der weiße Berg aus der mondlosen Nacht, wie ein Gespenst hing seine farblose Silhouette vor den blinkenden Sternen und versetzte sogar die Griechen, die im Lee des Steuerhauses Schutz vor dem kalten Herbstwind gefunden hatten und seit dem Auslaufen aus dem gerade erst wieder zurückeroberten Tobruk aufgeregt und ununterbrochen schwatzten, in andächtiges Schweigen. Immer höher schob sich der Berg, immer erhabener wurde sein Lied; und Captain Gerald Finton-Macauley von der Special Operations Executive wehrte sich instinktiv dagegen, in dem er nach seinem Sakouli griff, dem bestickten Wollbeutel kretischer Schäfer, und zum wiederholten Mal dessen Inhalt durchging, der neben einigen unverfänglichen Wäschestücken aus einer Beretta und einer einbändigen Shakespeare-Ausgabe bestand.
„Scheiß schön, was?“ knurrte Lieutenant Sean „Shorty“ Blight, der unter einer Persenning an der Holzreling des verblichenen, ursprünglich einmal blau und weiß lackierten Kaike kauerte und die letzte der Player’s rauchte, die auf die Insel mitzunehmen ihm ausdrücklich verboten worden war, was insofern verwunderte, als er mit einem Funkgerät, einem Generator und einem Packen Batterien ausgerüstet versuchen sollte, auf der Nordflanke des Bergs Ida eine Sendestation einzurichten und es damit auch ohne englische Zigaretten schwer haben würde, als Grieche durchzugehen, sollten die deutschen Besatzer der Insel seiner habhaft werden. Außerdem war er rothaarig.
„Das trifft es genau.“ Finton-Macauley grinste; und seine Zähne strahlten hell zwischen den gebräunten Wangen; und das dunkelblonde Haar hing ihm ins Gesicht. Er war sich bewusst, dass solch kernige Sprüche für sie beide genauso eine Verkleidung waren wie das malerische kretische Kostüm, in dem sie steckten: ein Sariki, also ein schwarzes, fransengeschmücktes Kopftuch; um den Bauch eine purpurne Schärpe; darüber eine schwarze Weste und an den Beinen weite Hosen mit tiefem Schritt, die in hohen Lederstiefeln steckten. Er und Shorty sahen insgesamt wie Piraten aus, die anlässlich einer Schulaufführung zu tief in die Kostümkiste gegriffen hatten, und sie genossen ihren verwegenen Aufzug, der der bevorstehenden Unternehmung eine noch romantischere Note verlieh.
Sie fuhren dicht unterhalb der Küste entlang; und der Kapitän, der wie alle an Bord jetzt nach den vereinbarten Lichtsignalen Ausschau hielt, zischte verärgert, wann immer einer der Griechen laut aufrief, weil er etwas entdeckt zu haben meinte, oder mit den Kisten und Kanistern polterte, die bald an Land würden geschafft werden müssen. Sie tuckerten um ein weiteres, nur am dünnen Band der Brandung kenntliches Kap; und plötzlich gab es gleich mehrere halbherzig unterdrückte Schreie, denn vom Ufer wurde das vereinbarte Signal A-B-A gemorst; und sofort rannte der Maschinist mit der Blendlaterne in den Bug und sandte die Antwort hinaus in die Finsternis. Der Kapitän, ein Kanadier von bärengleicher Statur, drosselte das Tempo und nahm Kurs auf die Stelle, an der noch ein paar Mal das Lichtzeichen wiederholt wurde. Sie liefen in eine kleine Bucht und krochen immer näher zum kaum sichtbaren Strand; und die Männer an Deck schwärzten einander die Gesichter mit Lampenruß. Endlich befahl der Kapitän, den Anker auszuwerfen. Blitzschnell war das Schlauchboot, das hinter dem Steuerhaus gelegen war, zu Wasser gelassen und mit den ersten Kisten beladen. Vier der Griechen, die, nachdem sie fast ein Jahr zur Ausbildung in Palästina und Ägypten gewesen waren, darauf brannten, wieder heimatliche Erde unter die Füße zu bekommen, sprangen in das Boot und paddelten zu dem Kiesstrand, wo sie bereits von einigen dunklen Gestalten erwartet wurden, die ihnen nach einer hektischen, aber herzlichen Begrüßung – obwohl größte Eile geboten war, wurde jeder der Neuankömmlinge von jedem der Wartenden umarmt – beim Entladen des Bootes halfen. Dieses wurde in der Folge von den Männern an Bord des Kaike und denen auf dem Strand mittels zweier Leinen wie ein Weberschiffchen hin und her gezogen, was schneller ging, als wenn man gepaddelt wäre, und es erlaubte, noch mehr Material hinein zu laden. Bei dieser Methode riskierte man allerdings auch, dass das unbemannte Boot in der Dünung kenterte, was dann tatsächlich passierte und es nötig machte, dass ein paar der Männer am Strand sich auszogen und mehrere Packen in Wachspapier eingewickelter Landkarten und drei Kisten Munition für erbeutete, von den Engländern nach dem im Gehäuse eingestanzten Produktionsort Spandau getaufte Maschinengewehre aus dem Wasser tauchten.
Zuletzt setzten Finton-Macauley und Shorty über. Sie sprangen mit ihren Sakoulis in das auf dem schwarzen Wasser tänzelnde Boot; und dieses tat gleich darauf einen Ruck und schoss wie von Geisterhand bewegt auf den Strand zu.
„Als würde man den Acheron überqueren!“ Finton-Macauley langte in das Wasser und spritzte Shorty ins Gesicht.
„Lass das!“, verlangte Shorty nervös. Er war Nichtschwimmer und klammerte sich mit einer Hand an die Leine auf dem Gummiwulst.
Kaum waren Shorty und Finton-Macauley mit den Stiefeln in der Hand an Land gewatet, waren sie von Gestalten umringt, die noch wilder und verwegener aussahen als sie selbst, allesamt Banditen und Schafdiebe in kretischer Tracht; und die wildeste und verwegenste Gestalt unter ihnen, der der Räuber und Messerstecher geradezu ins Gesicht geschrieben stand, ein bärtiger, in Felle und Decken gekleideter und überhaupt ausgesprochen haariger Geselle, eine Art wandelnder Heuhaufen, baute sich vor ihnen auf, salutierte zackig und stellte sich als Major Dunbeam von den Royal Scots Greys vor, der mit seinen drei Mitstreitern nach einer erfolgreichen Sabotageaktion gegen eine Straßenbrücke in der Nähe von Gournes nach Ägypten zurückkehren würde.
„Ist alles glatt gelaufen?“ Finton-Macauley musste schmunzeln, zwang sich aber dazu, den militärischen Gruß wenigstens halbherzig zu erwidern.
„Danke! Alles gemäß Plan!“ Major Dunbeam benahm sich weiter betont förmlich und schien sich des komischen Kontrasts zwischen diesem Benehmen und seinem Erscheinungsbild nicht bewusst zu sein.
„Sind die Deutschen hinter Ihnen her?“
„Ich fürchte, Sie werden mit mehr Patrouillen als sonst rechnen müssen. Sie waren ziemlich hartnäckig.“
„Viel Feind, viel Ehr, was?“
„Bleiben Sie möglichst hoch in den Bergen, ist meine Empfehlung. Unsere Führer Mikos und Philippos werden Ihnen eine sichere Route zeigen.“ Major Dunbeam wies auf zwei Griechen, die damit beschäftigt waren, das angelandete Material an die Vertreter dreier verschiedener Partisanentruppen und deren Träger zu verteilen.
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