„Dort auf der Ottomane zu liegen, Aprikosenpunsch zu schlürfen und auf die Glühbirnen zu schießen, ist ohne Zweifel eine irdische Annäherung an göttliche Freude.“
„Das war tatsächlich ein netter Abend. Dass Leon sich in den Kopf gesetzt hat, Lady Keown-Browns Papagei zu vergewaltigen, war allerdings überflüssig.“
„Sie war sehr ungehalten darüber,“ bestätigte Finton-Macauley. „Und ich wette, sie hat uns nicht geglaubt, dass wir ihn noch für einen Spezialeinsatz brauchen.“
„Wer hat schon je von Mangusten im Dienste Ihrer Majestät gehört!“
„Natascha hätte ihn einfach besser abrichten müssen. Halb dressiert sind sie nicht besser als wir Menschen: kein natürlicher Anstand mehr, dafür lauter Flausen im Kopf.“ Finton-Macauley seufzte. „Deshalb habe ich auch die Schule geschmissen. Dort wäre ich nur meiner angeborenen Grazie beraubt worden, ohne dafür etwas im Tausch zu erhalten: Erleuchtung oder Allwissenheit etwa.“
„Und das hast du jetzt davon: Du bist wie Leon irgendwo im Limbo zwischen Tier und Gott gefangen und vergewaltigst zwar keine Papageien, dafür aber kretische Trauernymphen.“
„So etwas würde ich niemals machen! Ich bilde mich schließlich auf der Schule des Lebens fort.“
„Du meinst auf der Schule der Landstreicher, Herumtreiber und Tagediebe!“
„Sie zählt deine Freunde Homer, Villon und Shakespeare zu ihren Lehrern und hat immerhin verhindert, dass ich zum Garbadine-Schwein geworden bin.“
„Seltsam, nicht wahr, wie einem das Militär jeglichen Idealismus austreibt?“
„Sie wollen Gehorsam; und Gehorsam setzt Dummheit voraus.“
„Schade für die, die von Heldentum träumen!“
„Nun, die können sich ja der SOE anschließen.“
„Dort ist man wenigstens für die Dauer des Krieges dagegen gefeit, dass der Teufel des Generalstabs in einen fährt und zum Bürohengst macht. Aber was kommt danach?“
„Wir werden als nostalgische Trottel enden, für die der Krieg die schönste Zeit des Lebens war.“
„Während an den meisten anderen Fronten einfach nur getötet und gestorben wird, ganz dreckig und traurig und ohne Allüren!“
„Was soll man machen: Wir amüsieren uns blendend und führen die Hunnen an der Nase herum.“
„Noch haben wir nicht viel erreicht!“, warnte Shorty.
„Falls es klappt, werden sie ganz schön blöd aus der Wäsche schauen. Und ich wünschte, ich könnte ihre Gesichter sehen, wenn sie den Brief finden. Das wäre glatt wert, sich dort irgendwo zu verstecken.“
„Vergiss es!“ Shorty kannte Finton-Macauleys gefährlichen Hang zur l’art pour l’art. „Du weißt genau, dass es hinterher ernst wird und wir jeden Mann brauchen.“
„Leider!“ Finton-Macauley konzentrierte sich missmutig auf den kaum sichtbaren Pfad vor ihnen.
Die Höhle, die sie gegen drei Uhr morgens erreichten, war nass und zugig und eher ein weiterer Felsüberhang, aber immerhin so weit von Dornengestrüpp überwuchert, dass die Griechen meinten, ein Feuer riskieren zu dürfen; und bald drängten sich die vier um eine kleine, qualmende Flamme. Finton-Macauley hielt die Hände über sie, als wolle er sie vor der Nacht schützen; Shorty schlüpfte aus seinen genagelten Stiefeln und hielt die Socken ungeachtet der Proteste der anderen mit einem Stecken in den Rauch; Mikos ließ ein hartes Fladenbrot und eine Konservenbüchse voll Raki herum gehen; und bald merkten sie, wie müde sie waren; und jeder suchte sich einen halbwegs trockenen Fleck, an dem er für ein paar Stunden würde schlafen können, was wegen der Pfützen am Boden und der Tropfen, die vom Felsdach fielen, schwierig genug war.
Finton-Macauley wachte mit schmerzendem Rücken auf. Er hatte auf einem Steinbrocken gelegen, um dem feuchten Boden zu entkommen, war dabei aber an die nasse, im Morgenlicht wie verzaubert glitzernde Wand geraten; und sein Mantel war jetzt vollgesogen und schwer und sein Nacken steif. Er stand auf und streckte sich, trat an den Rand des Unterschlupfs und fand, dass der Berg hinter ihnen zwar immer noch in Wolken gehüllt war, der Regen aber immerhin aufgehört hatte. Er breitete den Mantel auf einem Felsen aus und ging fröstelnd zum Feuer, das Mikos schon vor einiger Zeit wieder entfacht hatte und auf das er jetzt eine verbeulte Kaffeekanne stellte.
„Die Nacht war schrecklich,“ brummte Finton-Macauley, ließ sich auf den Hacken nieder und legte die Hände an das Blech der Kanne, um sie zu wärmen. „Ich hoffe, die nächste wird weniger feucht.“
„Giorgios sagt, er hat eine Hütte für uns.“ Mikos, den ein unbändiges Lachen und funkelnde Augen auszeichneten, schüttete Kaffeepulver in die Kanne.
„Ich hoffe, die Hütte hat auch ein Dach.“
„Wenn sie kein Dach hat, bauen wir eins.“
„Genau das hatte ich befürchtet. Vergesst nicht, dass Shorty dort zwei Wochen lang wohnen muss!“
„Er wird dort wohnen wie in einem Palast.“
„Wir brauchen keinen Palast. Wir brauchen nur ein Dach,“ brummte Finton-Macauley und stocherte mit einem Stock in der Glut.
Die Wolken verzogen sich allmählich. Obwohl es der Sonne zum Trotz so weit oben am Berg erstaunlich kühl blieb, gelang es ihnen, ihre Kleider und Schuhe zu trocknen, was der Laune aller Beteiligten deutlichen Auftrieb verlieh.
„Hast du später Lust, dir ein bisschen die Beine zu vertreten?“, fragte Finton-Macauley, als Shorty sich endlich zu ihnen ans Feuer gesellt hatte.
„Bist du verrückt?“ Shorty starrte ihn entgeistert an. „Wir werden heute Nacht mehr als genug marschieren.“
„Aber da sieht man nichts!“
„Mir egal! Maultiere interessieren sich nicht für landschaftliche Reize.“
„Deshalb werden sie auch immer Maultiere bleiben!“, erwiderte Finton-Macauley schnippisch, erhob sich und machte sich am Nachmittag alleine daran, den Hang hinter ihrer Höhle zu erklimmen.
An Thymian und letzten Lilien vorbei, zwischen den vom nahenden Winter zu hektischer Betriebsamkeit angeregten Bienen hindurch und über die von der Sonne doch noch erwärmten Felsen hinweg gelangte Finton-Macauley auf einen kleinen Felssporn. Das Bergmassiv fiel dahinter kurz ab und lief dann weiter bis zum Ida, dessen Gipfel in dunkle Wolken gehüllt war. Über die kahlen, mit erstem Schnee bestreuten Flanken zuckte ein Wetterleuchten wie eine grelle, ekstatisch sich windende Schlange. Im Westen war der Himmel schon wieder strahlend blau; und die Sonne näherte sich dort dem Horizont; und bevor Finton-Macauley darüber schwermütig werden konnte, wandte er sich ab und stieg wieder zu seinen Gefährten hinunter.
Ein Läufer der Partisanen-Gruppe von Giorgios, die den Engländern bei ihrer Unternehmung in der Nähe von Heraklion helfen wollte, war in der Zwischenzeit zu ihnen gestoßen, ein junger, magerer Hirte, dem sein rundes Käppi immer wieder ins Gesicht rutschte, und er drängte zum Aufbruch, denn es war ein langer, mühsamer Weg bis zum nächsten Versteck. Schnaufend und fluchend schulterten sie ihr Gepäck, achteten darauf, keine Spuren zu hinterlassen, die sich von denen irgendwelcher durchziehender Schäfer unterschieden, und machten sich auf den Weg.
Die Sterne, manche weich und sanft wie silberne Blumen, manche scharf und spitz wie glitzernde Splitter, standen hoch über ihnen, der Mond aber, der bereits abnahm und an dem Tag, an dem sie zuzuschlagen hofften, ganz verschwunden sein würde, ließ noch auf sich warten; und so hatten sie von den deutschen Spähern wenig zu befürchten. Sie überquerten den Bergrücken, hinter dem die Insel zu ihrer Nordküste hin abfiel, und liefen von nun an, außer wenn sie einen Kessel oder eine der Schluchten, die der Regen im Herbst und das Schmelzwasser im Frühjahr gruben, durchqueren mussten, nur noch bergab, was Shorty, der zu Anfang noch über wunde Füße und schmerzende Schultern geklagt hatte, in immer bessere Laune versetzte, bis er schließlich voll Inbrunst „It’s a Long Way to Tipperary“ zu schmettern begann und von den erschrockenen Griechen eindringlich daran erinnert werden musste, dass sie sich auf einer geheimen Kommandoaktion tief im Feindesland befanden und nicht auf einem Spaziergang durch die walisischen Hügel.
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