Sie hielt mitten im Satz die Luft an und blickte Meinert an, die jedoch an ihr vorbeischaute. Sie hatte gar nicht gehört, was sie zu ihr gesprochen hatte. Dann versperrte sie ihr den Blick und schüttelte den Kopf. »Hallo. Sag mal, bist du hier bei mir oder in deiner Bank?«
»Entschuldige. Ich habe gerade nur einen Mitarbeiter gesehen, der mich nicht unbedingt erkennen sollte.«
Ihre Freundin drehte sich rasch um und sah die beiden tuscheln.
Meinert protestierte leise.
»Nicht hinschauen! Wenn sie mich sehen!«
Das berührte Heike Springer aber überhaupt nicht.
»Oh. Sind die miteinander verheiratet? Nee. Bestimmt nicht. Und der Typ meint es auch nicht ernst. Sicher nur eine Bettgeschichte.«
»Wie kommst du darauf?«
»Na, der fummelt so unangenehm an ihr herum. Sie will das gar nicht so. Wenn du mich fragst, er will sie nur ins Bett kriegen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Sein Gesichtsausdruck ist unehrlich. Glaube mir. Als Maskenbildnerin kann ich die Mimik der Menschen deuten. Das sehe ich jeden Tag. Wenn einer Nein sagt und Ja meint, erkenne ich es sofort am Ausdruck.«
»Kann sein. Ich muss herausfinden, wer sie ist. Wie krieg ich das nur heraus?«
»Warte, ich mache das.«
Meinert wurde blass.
»Nein, mach keinen Unsinn! Er darf das nicht merken.«
Ohne auf den Einwand von Petra Meinert zu hören, stand ihre Freundin auf und ging zu dem Tisch von Herzog und Bennet.
Im Vorbeigehen streifte ihre Tasche Sabrinas Rotweinglas und dieses landete auf ihrem Rock. Eine schauspielerische Glanzleistung folgte. Sie war zwar als Maskenbildnerin am Theater angestellt, wäre aber sehr gerne selbst auf der Bühne tätig gewesen und hatte alle Rollen der letzten Jahre sehr gut drauf.
»Oh! Oh je. Ach Gott, ach Gott. Wie ungeschickt von mir. So was Dummes. Nein, aber auch. Das ist mir jetzt aber sehr peinlich.«
»Ach, das ist nicht so schlimm.«
»Kommen Sie! Gehen wir zur Toilette. Ich will sehen, was da für heute Abend noch zu retten ist.«
»Ja, gute Idee.«
Sabrina Bennet ging mit ihr, während Petra Meinert sich hinter einer Weinkarte versteckte.
Fünf Minuten später hatte Petras Freundin Namen und Adresse von Bennet bekommen.
Als sie wieder zu ihr zurückkehrte, lag ein freches Grinsen auf ihren Lippen.
»Was gibst du aus, wenn ich dir den Namen verrate?«
»Nun sag schon.«
»OK. Du zahlst. Du kennst sie. Besser gesagt, du kennst ihren Mann.«
»Wie, ich kenne ihren Mann?«
»Na, mit dem hattest du mal was. Und das sah damals ziemlich ernst aus. Jedenfalls warst du monatelang unausstehlich, als es aus war.«
»Ich weiß nicht, wen du meinst.«
»Oje. Mit wie vielen Männern hattest du was? Nein, falsch. Mit wie vielen hattest du was Ernstes?«
»Sag schon. Los!«
»Sie heißt Sabrina Bennet. Dämmert es da bei dir?«
Petra Meinert wäre fast das Glas aus der Hand gefallen, obwohl sie es schon ahnte, wer die Frau war.
Herzog und die Frau von seinem Vorgesetzten, Exvorgesetzten, hatten eine Beziehung. Ob Marc Bennet das wusste? Dieser Thomas Herzog hatte ihr nie gefallen. Er war arrogant und eingebildet. Petra konnte sich auch gut vorstellen, dass er gewalttätig sein konnte.
Hier stimmte etwas nicht! Sie wollte morgen Bennet im Krankenhaus besuchen. Sie musste Bennet besuchen. Eine innere Stimme befahl es ihr.
Sie wusste nur nicht genau, ob sie Bennet besuchen wollte, um alte Erlebnisse aufzufrischen oder um seine, wie sie glaubte, Unschuld zu beweisen.
Konnte er sie eigentlich wahrnehmen? Er lag doch im Wachkoma. Sie musste es herausfinden.
6. Besuch einer alten Liebe.
Wohl dem, der gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann.
Friedrich von Schiller (1759–1805) Deutscher Dichter, Philosoph, Historiker
Wieder einmal war nach dem morgendlichen Waschritual Gymnastik angesagt. Bennet fieberte dem Augenblick entgegen, wo sie ihre weiche Brust gegen seinen Kopf legte. Doch heute hatte er wieder die A-Karte gezogen. Es erschien lediglich der »Schlächter« von einem Krankenpfleger.
Der wiederum war ausnahmsweise einmal gut gelaunt und sprach sogar mit Bennet.
»Morgen, altes Haus. Waren wir gestern tanzen? Oder hast du die Nacht alleine verbracht? Hättest mich ja rufen können, dann wäre kein Auge trocken geblieben. Haha. So, nun stell dich nicht so mädchenhaft an und beweg dich.«
Dabei drehte er Bennets Kopf nach allen Seiten, dass es nur so knirschte.
» Au. Du Grobian. Ich beiß dir ins Ohr. Mach gefälligst etwas sachter. «
Der Pfleger zog die Decke weg und richtete Bennet auf. Arme und Oberkörper wurden ordentlich drangsaliert. Auch einen kleinen Hieb in den Bauch musste er hinnehmen.
» Warte. Das zahl ich dir heim. «
Einen Blick auf den nackten Unterleib werfend, sagte er: »Der wird auch nicht mehr größer. Wird ja auch nicht mehr gebraucht. So, jetzt die Beine.«
Er klemmte sich jeweils ein Bein des Patienten auf seine Schulter und bewegte Unter- und Oberschenkel, als wolle dieser Olympiateilnehmer werden.
Nach weiteren zwanzig Minuten war Marc Bennet völlig fertig.
Der Pfleger ging mit den Worten.
»So, dann bis morgen.«
Herein kam zögernd eine Frau, die Bennet von der Seite her ansah. Er konnte sie noch nicht richtig sehen.
» He. Stell dich ans Bettende, damit ich dich sehen kann. «
»Hallo Marc. Ich bin’s. Petra.«
Bennet war plötzlich wie elektrisiert. Seine Haare auf den Unterarmen standen plötzlich aufrecht.
» Oh, nein. So hilfl os solltest du mich nicht sehen. Das ist mir aber verdammt peinlich. «
Sie setzte sich auf die Bettkante und sprach weiter.
»Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst. Aber ich muss dir was Wichtiges sagen. In der Bank glauben sie, dass du Gelder unterschlagen hast. Aber ich kenne dich besser. Das würdest du nie tun.«
Bennet hatte sie schon an der Stimme erkannt, als sie ihn begrüßte. Er sah sie nun auch deutlich. Als sie aufstand, um auf die andere Seite des Bettes zu gehen, folgten seine Augen ihrem Weg.
Bennet war plötzlich irritiert. Was war los mit ihm? Er konnte plötzlich seine Augen hin und her bewegen. Sein Herz schlug schneller. Es klopfte laut.
Als sie weiter sprach, war er wieder abgelenkt und achtete nicht mehr auf seinen Pulsschlag.
»Ach Marc, wenn du doch nur wieder ins Leben zurückkommen würdest. Ich weiß nicht, was ich tun kann. Man will dir eine Veruntreuung vorwerfen und du kannst dich nicht mal wehren. Aber alles deutet darauf hin, dass von deinem Büro aus Gelder verschoben wurden. Wer hat die Möglichkeit, das zu tun?«
» Na, mein lieber Kollege Herzog. Fühle dem doch Mal den Puls, diesem Mistkerl. «
»Dann ist da noch etwas. Deine Frau und dein lieber Kollege Herzog haben anscheinend eine Affäre miteinander. Ich habe sie gestern zusammen gesehen.«
» Ha, das weiß ich schon. Steche ihm die Reifen platt. «
»Marc … kannst … kannst du mich hören? Deine Augen bewegen sich. Aber der Arzt hat mir gesagt, du kannst im Wachkoma weder hören noch sprechen und auch keine Glieder bewegen. Lediglich der Wimpernschlag sei ein Reinigungs- und Schutzreflex. Aber du hast die Augen bewegt.«
Bennet bewegte sie weiter. Er rollte seine Augen heftig.
» Klar kann ich dich hören. Frag was. Los, frag mich was! «
Petra Meinert war nun ebenfalls wie elektrisiert. Sie ahnte, dass er sie hören konnte.
»Oh je. Du kannst mich hören! Das ist ja super. Pass auf! Jedes Nein , einmal die Augen zu. Jedes Ja , zweimal. OK?«
Bennet schloss die Lieder zweimal.
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