Nachdem der Saal bis auf die Genannten leer war, führte Holighaus weiter aus.
»Herr Herzog war sehr aufmerksam und hat sofort die internen Ermittler benachrichtigt. Dafür gebühren ihm unsere Anerkennung und unser Dank. Herr Herzog, Sie werden ab sofort den Posten von Marc Bennet übernehmen.«
Herzog tat überrascht und erfreut.
»Das ist … ich freue mich. Sehr gerne.«
»Ja. Das Offizielle kommt dann noch. Sie können nun auch wieder an die Arbeit gehen.«
Als Herzog draußen war, fragte eine Frau aus dem Vorstand: »Wie ernst ist es wirklich?«
Holighaus blies durch die Zähne und seine Miene verfinsterte sich.
»65 Millionen sind es zurzeit. Es können noch ein paar dazu kommen. Für die Bank nicht unerheblich, aber kein Desaster. Wichtiger ist es, dass wir keine undichte Stelle haben. Wenn es sich herumsprechen würde, dass unsere Bank nicht sicher sei, verlieren wir in kürzester Zeit mehr als wir verkraften können. Da sind die 65 Mio ein Fliegenschiss dagegen.«
»Also keine Ermittlungen?«
»Nein. Auf keinen Fall. Jedenfalls nicht offi iell.«
»Aber die Polizei hat schon herumgeschnüffelt. Wie haben die davon Wind bekommen?«
»Das ist nicht bekannt. Sie können aber nichts wissen. Von uns aus wird alles dementiert. Es gibt keinen Diebstahl. Es gibt keine Unterschlagung. Es wird somit auch keine Anzeige geben. Bennet ist eh mehr tot als lebendig, wie ich hörte.«
»Wie gleichen wir die 65 Millionen aus?«
»Einen Teil durch unerwartete Gewinne in diesem Jahr. Die Leute wollen sichere Anlagen. Wir verkaufen sie ihnen, die langfristige Anlagen mit niedrigen Profiten für den Kunden und hohen Gewinnen für uns. Den Rest werden wir als viermalige Abschreibung auf nächstes Jahr festsetzen. Dann sind wir wieder sauber. Allerdings werden die Provisionen der Vorstandsmitglieder in diesem Jahr nicht so hoch ausfallen können. Ich bitte um Verständnis, wenn wir eine 30-prozentige Kürzung der Bonifikationen vornehmen müssen. Auch ich falle leider darunter.«
Betretene Gesichter bei allen Anwesenden zeugten von nicht allzu großer Beliebtheit dieser Maßnahme.
Ich weiß, dass ich nichts weiß, und darum weiß ich mehr, als andere wissen.
Sokrates (469 v. Chr.–399 v. Chr.) Griechischer Philosoph
Thomas Herzog setzte sich an seinen bzw. an den Schreibtisch von Bennet.
Das ist ja besser gelaufen, als ich mir erträumt habe. Nur den Job hier muss ich wieder kündigen. Allerdings noch nicht gleich. Wie könnte ich das anstellen? Klar, gesundheitsbedingt. In einigen Monaten. Vielleicht schon in einigen Wochen. Dann mache ich Ferien am Meer.
Warum brauchen die Ermittler so lange, um die endgültige Höhe des fehlenden Geldes festzustellen? Ich könnte es ihnen ja sagen. Es sind genau 75 Millionen und 500.000 Euro. Ich hätte auch noch die eine oder andere Million mehr herausholen können, aber die Gelegenheit mit dem Unfall war einmalig. Und vielleicht wären sie mir sonst doch noch auf die Schliche gekommen. Nein, das Ende musste jetzt kommen. Es war gut so. Jetzt heißt es Ruhe bewahren und abwarten. Nur nicht auffallen.
Aber heute Abend wird gefeiert. Meine Beförderung. Ich rufe mal Sabrinchen an, was sie vom Ausgehen hält.
Zuvor jedoch kam auf seinem Handy ein Anruf an.
»Herzog.«
»He. Ich bin’s. Hier in Zürich ist alles abgeschlossen.
Sollen wir ein bisschen Geld mitbringen?«
»Bist du blöd? Keinen Cent rührt ihr an. Erst muss alles in trockenen Tüchern sein. Dann wird geteilt. Kommt morgen zurück. Wir treffen uns im Hotel. Ciao.«
Dann wählte er die Nummer von Bennets Haus.
Sabrina Bennet meldete sich.
»Bennet.«
»Hallo, mein Engel. Was machst du gerade? Liegst du in der Badewanne? Dann komme ich sofort zu dir.«
»Du kannst dir Zeit lassen. Ich pflanze gerade die Geranien in andere Töpfe. Was gibt es?«
»Oh. Ich bin befördert worden. Das müssen wir feiern. Gehen wir essen?«
»Ich weiß nicht, wenn uns jemand zusammen sieht.«
»Na wenn schon. Marc ist mein Kollege. Und er liegt seit einem Monat im Koma. Also was ist da verkehrt, wenn ich mich ein bisschen um dich kümmere?«
»Na gut. Bis um acht.«
Thomas Herzog war schon kurz nach sieben am Haus von Bennet und klingelte. Er erhoffte sich im Stillen, Sabrina Bennet zu einem Quickie überreden zu können. Das gelang ihm aber nicht, denn sie war noch immer mit der Gartenarbeit beschäftigt.
Na gut. Dann verschieben wir die Sache eben auf heute Nacht , sagte sich Herzog und machte sich am Kühlschrank zu schaffen.
Nachdem Sabrina mit ihrer Arbeit fertig war, duschte sie und wollte sich gerade ankleiden, als Herzog seine Nase durch die Schlafzimmertür steckte.
»Raus hier! Ich bin gleich so weit.«
Murrend schloss er die Tür und sagte sich, dass sie heute Nacht nicht davonkommen würde.
Eine Stunde später saßen sie in einem gemütlichen Lokal im Frankfurter Westend und plauderten über belanglose Dinge.
Herzog gab sich alle Mühe, charmant zu sein, plante er doch noch eine heiße Nacht ein. Ein Blumenverkäufer aus Pakistan, der allabendlich seine Runden drehte, wurde den ganzen Strauß Rosen an ihn los.
Sabrina war gerührt.
»He, ich habe ja schon ewig keine Rosen mehr bekommen. Danke! Was feiern wir eigentlich?«
»Heute bin ich befördert worden. Ich habe den Job von deinem Mann übernommen.«
»Oh.«
»Ich habe aber nicht vor, ewig in der Bank zu bleiben. Vielleicht noch ein halbes Jahr. Dann will ich auf große Fahrt gehen. Kommst du mit mir?«
Er wollte Sabrina Bennet nicht wirklich dabei haben, aber er sagte sich, dass es von Vorteil wäre, sie noch eine Weile bei Laune zu halten. Jedenfalls so lange, bis das Geld für ihn gesichert wäre. Mit ihr an seiner Seite konnte er besseren Kontakt zu Marc Bennet halten und war damit immer auf dem Laufenden. So konnte er schnell eingreifen, falls es Bennet wider Erwarten besser ging und dann die Gefahr bestand, dass man ihn überführen konnte.
»Wie, auf große Fahrt? Wohin?«
»Mit dem Schiff nach Amerika.«
»Woher hast du ein Schiff? Und was kostet so eine Tour?«
Oh, Thomas. Aufpassen! Nicht, dass sie misstrauisch wird.
»Doch nicht mit meinem Schiff. Mit einem Kreuzfahrtschiff. Und eine unbezahlte Auszeit kann ich mir schon leisten. Habe schließlich etwas gespart und etwas angelegt, in der Schweiz.«
Er musste lachen. Etwas gespart war gut. 75,5 Millionen waren schon etwas.
»Nein, ich glaube nicht, dass ich da mitkommen werde. Außerdem kann ich nicht weg von hier.«
»Warum? Wegen Marc?«
»Ja. Solange ich nicht weiß, was es mit ihm geben wird, bleibe ich hier bei ihm.«
Herzog war alles andere als begeistert, es machte ihm aber nicht allzu viel aus, da er sie sowieso nicht mitgenommen hätte. Sein Ego war nur etwas beleidigt über ihre Absage.
Er küsste sie auf die Wange.
»Das zeichnet dich aus. Du bist ja so selbstlos. Sicher hast du recht und musst erst mal nach deinem Mann sehen. Aber du darfst auch dich selbst nicht vergessen. Schließlich ist es schon über einen Monat her, dass er im Koma liegt. Und wer weiß, wann er wieder aufwacht und ob überhaupt?«
Das Essen kam und sie unterbrachen das Gespräch. Von der Ecke gegenüber wurden sie beobachtet. Petra Meinert, die sich hier mit ihrer Freundin Heike Springer getroffen hatte, um seit einiger Zeit wieder einmal einen Frauen abend zu verbringen, ließ keinen Blick von den beiden. So bekam sie die zärtliche Umarmung, das Tätscheln der Wange und den langen Kuss genau mit. Sie konnte jedoch nicht verstehen, was die beiden sprachen und hätte wer weiß was darum gegeben, es zu erfahren. Ihr eigenes Gespräch war ziemlich einseitig und ging in den letzten zehn Minuten nur von Heike Springer aus, sodass diese sich langsam über ihre stille Freundin wunderte.
Читать дальше