Angelehnt an authentische Fälle und mit Blick hinter die Kulissen polizeilicher Ermittlungen und auf die Gefühlswelten seiner Ermittler präsentiert Jörg Schmitt-Kilian dicht an existierenden Personen eine dramatische Story, in der sich die Fiktion mit einem erschreckend realen Hintergrund vermischt.
„ Ein herausragender Kriminalroman, geschrieben von einem Insider mit profunder Kenntnis und angelehnt an eine der spektakulärsten Mordserien in der deutschen Kriminalgeschichte mit einem Blick hinter die Kulissen polizeilicher Ermittlungen und auf die Gefühlswelten der Kommissare. “
PIPER-Empfehlung „Buch des Monats“
Bambus , Hännes , Robert und Sam , meine ersten»Bärenführer« auf dem 1. Polizeirevier »Münz«, der berühmt berüchtigten Koblenzer »Davidwache«,
Gerd , Kracher und Lanzi von der Kripo, Hermann vom MEK, Ritzo vom SEK, Burkhardt und Jöbi vom Personalrat, die uns alle viel zu früh verlassen haben.
In stillem Gedenken an
»Mafia-Jäger« Oberstaatsanwalt Horst Leisen , der mir bis zu seinem frühen Tod ein wertvoller juristischer Berater war,
und
Polizeimeisterin Michele Kiesewetter , die am 25. April 2007 in Heilbronn von Mitgliedern des NSU am helllichten Tag in ihrem Streifenwagen erschossen wurde.
»Spurenleger« ist ein Roman, zu dessen Entstehung mich eigene Erlebnisse im polizeilichen Alltag und Medienberichte über die spektakulärste Mordserie in Deutschland inspiriert haben. Am 25. April 2007 wurde die Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn in ihrem Streifenwagen erschossen und ihr Kollege durch einen Kopfschuss schwer verletzt. Dieser Mord, die Jagd nach einem Phantom und die mysteriöse DNA-Spur am Tatort, die bis zur Manuskriptabgabe meiner bei PIPER München erschienenen Originalausgabe nicht identifiziert werden konnte, waren Auslöser für diesen Kriminalroman.
»Spurenleger« keine Enthüllungsgeschichte. Die Romanfigur der Polizistin Sabine Laube und deren familiäre Geschichte hat nichts mit der getöteten Polizistin gemeinsam. Der Bezug zu dem wahren Kriminalfall wurde ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragen.
Bereits vor dem tragischen Tod der jungen Polizistin Michele Kiesewetter hatte ich ein Manuskript mit dem Arbeitstitel »Ein Toter meldet sich zu Wort« über den Mord an einem Drogenfahnder in seinem Dienstwagen geschrieben und konnte nicht ahnen, dass die Realität meine Phantasie überholt.
Ebenfalls konnte ich vor Bekanntwerden der NSU-Affäre nicht ahnen, dass dieser Mord einen terroristischen Hintergrund hat, aber meine Protagonistin Lena Lieck hatte beim Schreiben des Tatortbefund-Berichts auch dieses Motiv in Erwägung gezogen. Dennoch wären Ermittlungsergebnisse und Ähnlichkeiten mit existierenden Personen rein zufällig. Aber die Ereignisse, die meine Hauptprotagonisten Lena Lieck und Tom Schneider bewegen, spiegeln realitätsnah die Gefühlswelten von Frauen und Männern im Polizeidienst wider, die mit vielen menschlichen Schicksalen konfrontiert werden.
Fachausdrücke, Abkürzungen und Begriffe im Polizeijargon werden in einem Glossar am Ende des Romans erklärt.
Er zieht den Zigarettenrauch tief und gierig ein, atmet langsam aus und blickt gedankenverloren auf die dunkle Wolkendecke, die tief über die Stadt hinwegzieht. Seit einigen Tagen tauchen vor seinem geistigen Auge wieder diese Erinnerungen auf. Die Vergangenheit ist nach dem aktuellen Vorfall erschreckend präsent und überlagert die Gegenwart. Dabei hatte er die Ereignisse in der untersten Schublade seines Gedächtnisses abgelegt. Unter Verschluss gehalten, aber niemals wirklich vergessen, denn diese Erinnerungen haben sich auf immer und ewig in sein Gedächtnis eingebrannt.
Die Zeit vergeht so schnell. Sie zerrinnt wie feiner Sand aus den Händen. Niemand kann sie aufhalten. Plötzlich schallen ihre spitzen Schreie wie ein Echo in seinen Ohren. Hatten diese Worte wirklich ihren Mund verlassen? Oder entspringen diese seiner Phantasie? Er spürt wieder das tosende Beben in seiner Brust, doch sein Verlangen vermischt sich mit dieser kalten Angst, dass die Vergangenheit seine Zukunft zerstören könnte.
Und ist es noch so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen .
Dieser Spruch seiner Großmutter taucht immer wieder in seinem Gedankenlabyrinth auf.
Wie wird sie reagieren, wenn ihre Erinnerungen wach werden? Er darf nicht darüber nachdenken, hat Angst vor ihrer Reaktion. Sie ist eine starke Frau und würde ihn vernichten.
Das Bauwerk seines bis heute sehr erfolgreichen Lebens würde dann wie ein Kartenhaus zusammenfallen.
Er reibt die feuchten Handinnenflächen an den Lehnen des dunkelbraunen Ledersessels ab. Aber er kann die Spuren seiner Angst nicht wegwischen.
Er muss etwas tun. Er darf keinen Tag länger warten. Muss aktiv werden. Allein. Wie damals. Kein Mittäter. Keine Mitwisser. Wie damals.
Nur ihr Tod kann sein Leben retten.
Wie ein ferngesteuerter Roboter steigt er aus dem Ledersessel. Er ahnt, wo er sie morgen Abend treffen kann. Treffen! Er lächelt.
Treffen genau zwischen ihre katzengrünen Augen. Sein Plan ist riskant, aber er hat keine andere Wahl. Er muss es tun. Wie damals.
Der Funkstreifenwagen RHEIN 11/1 rollt nahezu geräuschlos auf den kleinen Parkplatz hinter dem Deutschen Eck am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Polizeikommissarin Sabine Laube parkt den Streifenwagen rückwärts vor der alten Bruchsteinmauer am Ludwig-Museum ein. Der Streifenwagen ist neben den Müllcontainern nur schemenhaft zu erkennen. Die Blaulichter auf dem Dach werden von der Abenddämmerung verschluckt. Niemand würde neben übel riechenden, mit Graffiti beschmierten Containern ein Polizeifahrzeug vermuten. Ein geschickter Platz zum Observieren. Wer unentdeckt beobachten will, darf selbst nicht erkannt werden. Das hatte sie an der Hochschule der Polizei gelernt.
Seit der Personenüberprüfung der stadtbekannten Junkies in den Rheinanlagen vor dem Koblenzer Schloss hat sie mit Polizeioberkommissar Bernd Müller kein einziges Wort gewechselt. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass sie während der ersten Nachtstreife immer an diesen Ort fährt. Nur ein Auftrag von der Einsatzleitstelle RHEIN oder dem Dienstgruppenleiter der Schutzpolizeiinspektion 1 mit dem Rufnamen RHEIN 11 kann sie von diesem Ritual abhalten.
Sabine Laube schaltet den Motor aus, dreht den Schalter für die Lautstärke des Funkgeräts zurück und blickt in die Dunkelheit. Kurze Zeit später wird die Stille im Streifenwagen durch ein kurzes Rauschen unterbrochen. Die blecherne Stimme des Kollegen Werner von der Einsatzzentrale im neunten Stock des Koblenzer Polizeipräsidiums ertönt aus dem Funkgerät: »RHEIN 11/5 für RHEIN kommen!«
»11/5 hört!«, meldet sich Polizeikommissarin Andrea Bühler, die erotischste Stimme der Polizeiinspektion 1. Sie erkennen sich an ihren Stimmen wie vertraute Menschen, die häufig miteinander telefonieren.
»RHEIN 11/5. Fahren Sie VU ohne. Friedrich-Ebert-Ring, Höhe Bahnhofstraße, Fahrtrichtung Rhein-Mosel-Halle. Die Beteiligten erwarten Sie an der Unfallstelle!« Sabine atmet erleichtert aus. Der Auftrag »VU ohne« für die Aufnahme des Verkehrsunfalls ohne Verletzte wird an die Besatzung eines anderen Funkstreifenwagens erteilt. Alltagskram. Kleinigkeiten. Sie hat Wichtigeres zu tun.
»11/5 verstanden!«, bestätigt Andrea Bühler, indem sie nur kurz die Sprechtaste betätigt. Dann knackt es in der Leitung, und anschließend breitet sich wieder Stille im Funkkanal aus. Oftmals die Ruhe vor dem Sturm. Niemand weiß, was in der nächsten Sekunde geschehen wird. Und das ist gut so.
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