»Haben Sie sich schon umsehen können?« Er grinst voll Stolz und todsicher vor Gewissheit, dass er noch heute das Geschäft abschließen wird.
»Legendär«, sagt Pam, und zieht nach der förmlichen Begrüßung lächelnd den Kopf zum Haus hin. Der Mann wiederholt das Wort erleichtert.
»Legendär. Der Bau hat damals für Furore gesorgt … Vor allem, weil das Geld schon seinerzeit von keinem der vielen westlichen Investoren kam, die hier ihr Kapital für sich arbeiten lassen.«
Heute sind auch die Makler von hier, denkt Pam. Und sie denkt, dass ein guter Makler sich verkniffen hätte, was sie noch zu hören bekommt:
»Über die Geldquelle redet man nur hinter vorgehaltener Hand.«
So ähnlich hat es auch Eitel formuliert, nur mit mehr Feuer im Blick. Offenkundig erfährt Pam von dem Mann mehr als sie erwarten kann.
Als er ihr das Zeichen gibt, ihm zu folgen, denkt er bei sich. An dieser Frau scheint alles zu stimmen. Für den Moment glaubt er sogar, der Mann vom Obergeschoss sei stehen geblieben, um die junge Frau zu bewundern. Dieser Hunskötter. Es wäre kein Wunder, handelte es sich um diesen Don Juan vom Parterre, so nennt er den feinen Adligen vom Rhein.
Diese Art Blicke wären allerdings bei jedem verständlich. Doktor Gauß soll auch kein Verächter junger schöner Frauen sein, wie man munkelt.
Die blonde junge Frau ist auch nach dem Geschmack des Maklers. Sie hat ein bezauberndes Lächeln, einen ebenso gut proportionierten Körper wie ausgezeichnete Manieren und einen sehr selbstbewussten Gang. Ein Glücksfall fürs Geschäft. Wer sollte etwas gegen eine solche Erscheinung haben?
Wenn er nur erst die Präsentation erfolgreich hinter sich hätte. Wenn sie bloß nicht fragt, warum es für diese eine Wohnung bisher keinen Mieter gab…
Nein, kaufen kann sie nicht, sagt Pam. Aber alles, was sie sieht, gefällt ihr. Die Wohnung ist hell und geräumig und hat einen prächtigen Balkon, der einem kleinen Vorgarten gleicht. Der kleine Mangel ist zu verschmerzen. Es ist die Mittelwohnung. Zu gerne hätte sie eine der Eckwohnungen bezogen. Es ließe sich besser auf die Sonne reagieren und auch sonst sei es angenehmer, den Blick nach zwei Seiten zu haben.
»Sie haben sehr ruhige Nachbarn«, beteuert der Makler und weist nach rechts.
»Der honorige Herr Hunskötter. Er führt das Amt für Umwelt bei der Stadtverwaltung.«
Beim Anblick des Türschildes kommt Pam ein Schmunzeln über die Lippen. Da versucht sich einer in kalligrafischer Besonderheit. Für diese Dinge hat sie ein Gespür. Ihr Geschmack ist diese Schrift nicht, die er sich als Aushängeschild ausgesucht hat: «Gigi». Mit Schriften kennt sie sich aus.
Links neben ihrer künftigen Wohnung steht ins glänzende Türschild aus feinem Messing edel eingraviert in klassischer Antiqua: Dr. Manuel und Julia Gauß.
Doktor Gauß sei in den besten Jahren, flüstert der Makler, aber die Frau ist noch verdammt jung. Nur wenig älter als sie, Pam, vermutlich sei. Der Augenspezialist habe eine Methode entwickelt, die weltweit für Aufsehen sorgt. Es kämen schon Patienten aus Übersee. Kein Wunder also, wenn der Erfolg zu Kopfe steigt.
Pam denkt in verschiedenen Bildern daran, welches Glück sie mit diesem Hause hat. Ihre Augen wandern zum Flurfenster hinaus. Ob sie die Farbe des Himmels suchen oder ob sie dem Himmel danken möchte, bleibt die diffuse Frage.
Gemeinsam nehmen sie die Treppe zurück, um die Tiefgarage und den zusätzlichen Abstellplatz im Carport anzusehen. Im Parterre erklärt der Mann, dass links der Herr von Findeisen wohnt. Er kommt vom Rhein. Einen vornehmeren Herrn finde man nicht in der Stadt. Stets mit Fliege, Hut und Schirm. Und die Sprache so fein gewählt …
Direkt unter ihr wohnt ein sehr adrettes Rentnerehepaar. Herr Scharfschmidt sei ein ehrwürdiger Mann. Ehemals Richter beim Schwurgericht. Der Makler hebt die Hand und streckt drei Finger: »Er ist noch immer die moralische Instanz.«
Beinahe nebenbei erwähnt er auch die letzten der Mieter des Hauses. Ob Mieter oder Käufer, weiß Pam freilich nicht. Die dritten im Parterre: das Ehepaar Horn. Sehr nette, zurückhaltende Leute. Pam werde sie kaum spüren. Er — Redakteur bei der Tagezeitung. Sie — Psychotherapeutin mit eigener Praxis. Mit denen gebe es keine Probleme. Die würden für sich leben und die Auswüchse der Zeit tolerieren.
»Auf eines muss ich verweisen«, spreizt sich der Mann mit strafender Betonung. Er richtet seine Krawatte gerade — der Bedeutung seiner Worte gemäß.
»Das Penthouse ist für alle Mieter tabu. Der Investor bewohnt es selbst. Verständlich, dass er bei der Auswahl der Mieter äußerst kritisch ist. Sie können sich glücklich schätzen, hier wohnen zu dürfen. Es ist ein so ehrbares Haus.«
Spitzzüngig und viel leiser erklärt er Pam: Der Brauner sei einer der potentesten Arbeitgeber der Stadt. Mit allen Größen der Stadt sei er auf Du und Du. Ihr als Werbemanagerin müsse er es nicht sagen: Image ist alles für diese Kreise. Brauners Frau Doris unterhalte eine Ladenkette mit ausgesuchter Bekleidung. – Haute Couture, wie man sagt. Falls Sie mal etwas Besonderes suche … Bessere Konnexion als gute Nachbarschaft gebe es nicht. Ein außergewöhnlicher Wohnsitz.
In seiner Atemnot murmelt der Schlipsträger in sich hinein: Die Leute aus der Politik haben keine Ahnung, mit wem sie gut Freund sind.
Pam schweigt dazu. Aus der Tür der mittleren Wohnung kommen gerade zwei ältere Leute. Die schlichte Frau grüßt freundlich, doch der Herr mit grauem, lichtem Haar schaut mürrisch auf den Makler und feindselig auf Pam.
»Guten Morgen, Herr Scharfschmidt«, buhlt der Makler.
Der Mann will etwas sagen, aber es ist bestimmt kein freundlicher Gruß. Mit zackiger Drehung schreitet er wortlos dem Ausgang entgegen. Der Richter a.D. also, denkt Pam. Ist der nicht zu klein für die großen Bösewichter der Zeit. Einen Richter hat Pam sich gewaltiger vorgestellt, erhaben und Respekt einflößend. Nur sein Gesicht macht Angst. Im nächsten Moment denkt sie daran, was ihr Chef Eitel Berg manchmal über einen zänkischen Zeitgenossen sagt: Der hat das Problem des kleinen Mannes. Der kleine Mann kompensiert mit Worten, was die Statur ihm versagt.
Von unterhalb der Stufen hört sie den kleinen Richter a.D. wettern:
»Haustüren sind da, um geschlossen zu werden.«
Der Makler geht nicht darauf ein, lächelt der schweigsamen Dame zu und wünscht den Herrschaften einen angenehmen Spaziergang.
Pam und der Makler einigen sich schnell. In wenigen Tagen kann der Umzug erfolgen.
»Es ist alles prima«, sagt Pam. »Aber man erreicht den Aufzug nicht ebenerdig und ich habe oft den Kinderwagen dabei.«
Im Souterrain befinden sich dafür Räume, sagt der Mann, und es klingt so mitleidig, als würde sie über eine Zikadenhochzeit reden. Sie wird keine Frage mehr stellen. Auch unter der Treppe ist genug Platz, wie sie selbst sehen konnte.
In der Agentur schaut Eitel Berg bei Pamela Eders vorbei und bittet sie in sein Büro. Pam arbeitet gern in Eitels Agentur. Eitel hat mit ihrer Mutter studiert und deshalb kennt sie die hellen wie auch die dunklen Seiten seines nicht mehr jungen Lebens. Eine Vorstellung von dem, was ihm passiert ist, hat sie nicht. Manchmal ist Eitel wie ein Vater zu ihr. In letzter Zeit aber ist er merkwürdig geworden. Schon beim Umzug in ihre neue Wohnung, wobei er und Edís’ Kollege Thomas geholfen hatten, war ihr Eitels Interesse für die Bewohner des Hauses aufgefallen. Besonders für Brauner, den Besitzer der Immobilie, fand er seltsame Worte: Selbst wenn Brauner der einzige Mitbewohner sei, auf ihn passe «honorig» nicht. Das wisse er und es wüssten einige andere Menschen dieser Stadt.
Pams Mutter erzählte einmal von Repressalien, die Eitel hat erdulden müssen, weil er die DDR verlassen wollte. Auch wenn sein Weltbild gelegentlich zur Schwarz-Weiß-Malerei tendiert, heute ist er einer, der mittlerweile seinem einstigen Idol Kapitalismus so ziemlich jede Sauerei zutraut.
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