1 ...6 7 8 10 11 12 ...47 „…ist nit bschlossen! Keins ist bschlossen. Eis, du hasts ton! Und als ouch der Jungruodi hats vollbracht. Und wir müessend es all tuen und uns geben.“
Er war fröhlich wie ein Schlucker, der unversehens den Goldschatz unter seiner morschen Seele findet. Er rannte die Gademtür gegen die Flurwand und sprang die Treppe hinauf, als sei er seiner Jahre um die Hälfte ledig. Erst droben sammelte er seine sieben Schicklichkeiten und Alterswürden, damit er das Enkelkind gebührlich empfange.
Die Eis lag blaß und lächelnd, ihre Augen waren weit, trunken vor Freude und Frieden. Hohenheim trocknete ihre Stirn und tastete zu ihren Händen hin, die matt auf der Brust lagen. Er streichelte ihre Hände und hauchte sie warm.
Die Großmutter trug das krächzende Bündlein zu dem Bottich, prüfte sorgsam mit dem Ellenbogen, fand das Wasser zu kalt.
„Hol warms Wasser, Ruodi! Nimm als ouch den Stein usm Bett und bring den heißen.“
„Ist es wohlgeschickt und vollkommen, Muotter?“
„Aller Gstalt mit Heil … ein Bübli.“
„Als sänd wir in Gottes Namen wieder all.“
Er nahm die Holzkanne und den Wärmestein, der in Laken gewickelt zu Füßen der Eis lag, und polterte hinunter.
Dem Kleinen wurde nicht Holdermus noch Weidensud von der Großmutter, die ihm auch Wehemutter geworden war, ins Bad gegossen, und Wilhelm von Hohenheim vergaß einen blanken Pfennig hineinzuwerfen. Das Kind war eilig gewesen, es blieb kaum Zeit, die Wochenstube zu rüsten.
Allein das Jahr stand vor Weihnachten, und der Kleine hatte einen beträchtlichen Schädel mitgebracht. Also legte ihn die Großmutter, während Rudi Ochsner um Wasser lief, schnell unter die Stubenbank, daß er nicht geistersichtig werde.
Wenn später der Sohn des Hohenheim dennoch manch üblen Geist sah, an dem die Leute unter staubwedelnder Reverenz vorübergingen, meinend einem Großhansen zu begegnen, so war die Eilfertigkeit des alten Ochsner daran schuld. Der kam rasch zurück, das Wasser sollte nicht verkühlen; die Großmutter mußte das Kindlein unter der Bank hervorziehen.
Im warmen Wasser erholte sich das junge Leben von der Unbill seiner neuen Welt.
Man hatte ja kein Glückshäutlein abzuwaschen, brauchte aber auch kein verdächtiges Mal mit Mutterblut zu betupfen, daß der Satan daraus wiche. Im ganzen konnte man zufrieden sein.
Der kleine Hohenheim kniff die Äuglein zu, als die Wärme über den verdrückten Birnschädel und das runzelige Gesichtlein rieselte. Es hing ein winziger Körper daran, der gleichwohl kräftig nach Atem rang.
Er begriff sofort, da die Großmutter mit dem linden Tüchlein zwischen seine Lippen fuhr, daß diese neue Welt nicht hoffnungslos aus Drang und Zwang und eisiger Kälte bestehe, sondern auch einen freundlicheren Inhalt haben mochte. Er sog sich an dem Lappen fest, und brachte seiner Wehemutter ein erstes Lachen wieder.
Der kleine Bombast konnte diesen ersten Lappen nicht behaupten, allein er blieb im Vertrauen auf die neue Welt unbeirrt, es geriet ihm der Daumen seiner Rechten in den Mund, und er saugte so kräftig, daß es auch Vater, Mutter und Großvater hörten und alle einsahen, er werde sich jeweils zu helfen wissen. Mit gleicher Entschlossenheit entdeckte und gebrauchte er sein kurzes, schnüffelndes Rüsselchen, als man ihn warmgewickelt der Mutterbrust nahebrachte. Er umwitterte eifriger bewegt, als es der hilfsbereiten Hand der Mutter schicklich fiel, die treue Quelle seines Lebens und fand eigenmächtig, was er suchte und woran er zunächst festhalten wollte.
So gab er schon in seinen ersten Stunden durch ein beherztes Wesen den wenigen, die auf ihn sahen, Linderung ihrer heimlichen Schmerzen und ein Aufatmen.
Noch war die Mitternacht nicht über den Etzel gestiegen, da ruhte das Ochsnerhaus an der Teufelsbruck von den inneren Stürmen aus. Es lag in wacher Ruhe, die nach den Stürmen kommt und Leiber bindet, Herzen aber lauschend hält.
Das Ochsnerhaus kauerte treu geduckt am Rande der Sihlschlucht, wie ein Vogel in der Nacht über seinen Jungen kauert und Federn und Flügel sträubt. Es zitterte nur leise und knarrte in den Fugen, während das Unwetter von allen Seiten ansprang. Und das Dach spannte mit verhaltenem Krachen seine Streben der Schneelast entgegen.
Im Oberstocke bei dem Kinde und seinen Eltern, im Gadem zur ebenen Erde, wo das erstarrte Herz unter dem Schweizerschwert lag, spann je ein Läppchen seine Strahlen durch die Nacht und schaukelte leicht die leuchtende Zunge in der Zugluft.
Der alte Ochsner saß auf und hielt Totenwacht.
Er hatte sein Weib, das vor Müdigkeit des Leibes und der Seele wankte, über die Stiege herab mehr tragen als führen müssen. Vor Jungrudi war ihr Herz noch einmal aufgebrochen, der Mann hat sie gehalten und verhindert, daß sie sich über den Toten warf.
„Schenk ihm Fried.“
„Ruodi … hast din Frieden gsuocht, do du bist auß in den Schnee.“
„Alls ist still, Muotter. Kumm, du sollt dich legen. Ich will siner Ruoh hüeten.“
Er leitete sie in die Kammer, die neben dem Gadem lag, und saß dann stillbewegt von dem Gefühle, alle die Seinen bei sich zu haben und für sie zu sein. Es raunten in seiner Brust die sonderbaren Stimmen nach, die ihn auf den Bußweg über die Klause begleitet hatten, die ihn dann überschrien und fortgerissen hatten, als er mit dem Toten allein war. Er wußte, daß ihm hinfort die Träumer und ihre Reden, die hie und da aus dem Strome der Pilger aufklangen wie ein fremdes Geläute, nicht mehr des Spottes schuldig scheinen würden.
Schlafet alle. Der neue Tag wird den Zauber sprengen. Was tot ist, wird verwehen. Was lebt, wird vergessen und der nächsten Not dienen. Von der Hand zum Mund, das ist der Weg des Tages. Was jenseits der Zähne liegt, das will der Tag nicht sehen.
Schlafet alle. Es lebt ein Leben, das neben dem Weg des Tages einhergeht, neben mir und dir und jedem. Durch die Nacht schleicht es mit leisen Sohlen und überwacht den Tag.
Schlafet alle und gebt Raum den Tiefen der Nacht, die in uns ruht.
Die Tage deckten ihre weiße und blaue Glocke über das Menschenreich, die Unendlichkeit der Nächte lüftete den wehenden Schleier oder verbarg ihr wunderliches Gesicht dahinter. Und die Leute redeten von den fünf Pflugarbeiten, jedesmal wenn die Zeit kam. Im Frühjahr vom Saatpflügen auf dem Haferfeld, im Mai vom Brachen, im Juli vom Rühren, im Herbstmond vom Werfen der Stoppeln und im Weinmond vom Felgen des Korngrundes. Das waren Leute von den freundlichen Seeufern, denen die Sihl nachstrebt, ohne sie jemals zu erreichen, denn sie vermengt sich mit der brausenden Limat im Rücken von Zürich. Die Seeleute wußten noch andere Jahreszeiten und brauchten nicht gerade nach dem Pflügen zu zählen. Sie redeten vom Schneiden, Sticken, von Gärten, vom Hacken, Heften, Rauchfelgen, Zwicken und Lesen. Dann meinten sie den Wein, dessen säuerliche Glut sie aus grüngelben Beeren herbsteten. Aber auch über Aalrute, Äsche, Barbe, Barsch, Schlei und Gründling, über Reusen, Angeln, Stecheisen ging die Unterhaltung in den Wirts- und Wohnstuben. Das Vieh kam nur nebenher zur Sprache. Weit öfter das Fährwesen, und damit lenkten die Worte ab gegen Richterswil und bergan der lieben Fraue von Einsiedeln zu.
Dort, im Hochtal der Sihl, wechselten wohl auch Hafer, Brache und Roggen auf dem lockeren Rottland an den Bergsäumen, aber die breite Talsohle füllte ein moorsatter Grund, und der brachte hartes, saures Futter. Nur auf den Hängen der Sihl und den kurzen Bodenwellen, die aus dem Hochmoor tauchten, wuchs fettere Weide, die auch Heu genug für den Winter gab, obwohl sie einschürig blieb. Über die Wiesenhänge schritt das Jahr in drei Gezeiten: bis Walpurgis im Mai währte der Weidetrieb, dann wuchsen Gräser und Kräuter der Sichel entgegen, und Sankt Bartholomäustag brachte wieder Rinder und Schafe auf das kurze Grün. Demgemäß sprachen die Leute des Hochtals vom Gras, Rind und Schaf. Vom Walde aber redeten sie schon, wenn die Sonne kaum den letzten Schnee weggeschmolzen hatte. Sie dachten zu dieser Zeit nur an den Wald am Fuße der Höhen, wo Buchen wuchsen, während die Kämme vom dunklen, unfruchtbaren Nadelholz bestanden waren. Dorthin, in den Ecker am Fuße der Höhen, trieben sie die zarten Märzschweine zur Aufzucht, doch mußte ein neuer Eintrieb am Sankt Johannistag beschlossen sein. Gegen den Herbst zu, wenn die Buchen ihre zottigen Fruchtbecher öffneten und den Ecker streuten, kamen die alten Schweine zur Mast, nach Sankt Michael jedoch nur mehr die Sauen. Ehe der Schnee fiel, das geschah meist vor Sankt Elisabeth, ritt ein Klosterschöff die Runde, und man erwartete ihn. Er raffte einen Fäustling Walderde auf, dort wo das Schwein nicht zu oft und nicht zu selten gewühlt hatte, und schätzte den Ecker. Danach fiel dann der Einlaßzins auf den Kopf des Schweins.
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