Der alte Ochsner zitterte vor Lreude, er trat ein.
Zwei Bänke waren zusammengerückt, Reisig darübergebreitet. Jungrudi Ochsner lag auf dem Reisig hingestreckt. Die Knie stachen knöchern aus den faltigen Hosen, die ihm sonst prall am kraftvollen Bein gelegen waren. Die dürren Totenfinger umkrallten den Griff des Schweizerschwertes, das über dem langen Körper ruhte. Unter den Kopf hatten sie den Sattel geschoben.
Der Hans saß ruhig beim Tisch, er löffelte und kaute. Er hatte den Toten betten müssen, da der Mutter und dem Schwager bald nachher die Eis zugefallen war. Er hatte den Vater gegen Einsiedeln zu gesucht, und erst, als der Alte Widerlaut gegeben hatte, war er aus allem Sturm unter Dach gekommen. Auf dem Tische war noch der kalte Brei gestanden, das Brot daneben gelegen. So hatte er nicht lange zu suchen brauchen. Der Hunger hatte ihn angefallen.
Hans Ochsner sah kaum auf.
„Do währets etwan mit der Eis ein Zit?“
„Nit lang do der Ruodi ist verscheiden.“
Rudi Ochsner nahm den Krug und trank. Dann streifte er sein nasses Wams ab und hing es neben Jungrudis Mantel über das Ofenreck.
Eine Weile stand er bei dem Toten. Er sah, daß ihm die feuchten Haare über die angeschlagene Schläfenader gestrichen waren, das hatte noch die Mutter getan. Auch zwischen ihm und dem war es still geworden.
Da zitterte ein neuer Schrei durch die Gademdecke nieder. Rudi Ochsner zog den roten Reitermantel vom Ofenreck. Noch war er naß und schwer, die Haare des Rauchwerks klebten noch. Er breitete den Mantel über den starren Mann und bedeckte das kalte, blasse Gesiebt. Der Schrei des Lebens sollte den Todesfrieden nicht bedrängen.
RudiOchsner ging auf und nieder. Er maß und lauschte hinauf. Er maß die tröpfelnde Zeit von Ansturm zu Ansturm wie damals, als der Hans gekommen war. Er dachte an sein blasses junges Weib unter der Gewalt des Lebens. Sie hatte sich im Sturm der Wehen das blonde Haar gerauft, da war er neben sie hingekniet und hatte seinen Kopf geboten, daß sie ihr Haar schone und er teil habe am Schmerz. Sie hatte ihn fortgestoßen, in dieser Stunde war sie nicht sein, sie gehörte der Allgewalt. Von den Weibern war er schmählich aus der Kammer geschoben worden, war aber davor stehen geblieben. Er hatte sein Teil so gefunden.
Der Hans brach geräuschvoll auf. Er war gesättigt und hatte seine Weile dem natürlichen Gang der Dinge da droben zugehört. Ein übriges tat er noch. Er schneuzte den Docht, schlurfte zum Ofen hinüber und lud ihn voll Wurzel.
Als er vorbeiging, faßte er einen Zipfel des roten Reitermantels und besah das feine Tuch, den schimmernden Atlas, die kostbare Pelzverbrämung. Es focht ihn der Gedanke an, daß er noch weit stattlicher heimkehren würde, denn er könnte in Doppelsold stehen, und er galt für anderthalb.
Wo sich der Jungrudi den Tod geholt hatte? Aber Tod – hat er einen, so weiß keiner was von ihm, und der Sankt Peter ist den Schwyzern gnädig. Hat er einen nicht, so glaubt ein jeder an sein ewiges Leben. Der Jungrudi hat zu aller Letzt dran geglaubt, das war zu hören. Der Jungrudi hat auch allezeit gewußt, wo ihm der Wind das beste Futter zutreibt. Standgehalten hat er dem Alten doch. Was sollen die Ochsner bei Melkeimer und Käskessel grau und bitter werden und es mit der Angst kriegen, wenn ihre Weiber niederkommen!
Hans Ochsner stellte sich dem Vater in den Weg und wies auf des Bruders Kriegsgut.
„Ein guoter Zug in zween schnellen Jahrn.“
Der Alte sah ihm hinter die Brauen, er witterte das Herz des Jungen, und seine Augen blitzten. Er nahm den Hans beim Arm und zog ihn zum Jungrudi. Dort hob er den Mantel vom Totengesicht.
„Als ouch ein guoter Zug vor die zween Jahr.“
„Muoß nit ein jeder vertuon.“
„Achthundert müessend verlorn sin, einer wird der Ritter Hans Waldmann ze Zürch. Achthundert hänt der Hans Waldmann ze Zürch werden wollen. Wolhin, der ist din Götti gewest, wil er noch Einsiedleramman war. Dri alt Plappart hat er dir inbunden ze diner Touf und hat eine Schwyzeraxt darzuo verehrt. Sin eigen Namen hat er dir vor ünsern Ochsnernamen gsatzt. Unde am Sant Vinzenzitag vor vier Jahrn sänd ich unde du hinfür uf Zürch, wil üns der Klaus Weßner ein Histori hat bracht, die war nit schön. Am Tag nach Sant Vinzenzi gstunden beid, du und ich, unter dem Grüst uf des Hegenauer Matten, do hänt sie als dem zermarterten Götti sin Kopf vor die Füeß gelegt. Was nütz, daß sie den Göldi, den Schwend, den Escher und die andern ein hürnen Rat heißend, dem Hans Waldmann kunnten sie sin Kopf nümmen ufstecken. Und ist ein früdiger Herr gsi! Ihrer fünf Hans Ochsner kunnten ihm nit glichtuon.“
„Muoß einer ouch kein Ritter Hans Waldmann sin wollen.“
„Unser Eis, Hans, das Leben hanget ihr an eim Haar. Dort liegt der Jungruodi. Willtu din Vater und Muotter beid umb etlichs kamelotten Gewand, ein atlassen Mäntli und ein Bütel Florentiner verraten?“
„Ist nit Gewand und Sach, Ruodi Ochsner. Das treibt, ist Bluot. Das will eim nit sur werdin und abstohn.“
„Dann solltu Gott bitten, daß er dem Kaiser sin Gelüst verhärt, und der Eidgenoß bald stürmen hört. Du sollt din Bluot vor die gerecht und hündisch Sach usgießn. Nit umb fremde Münz verspieln und vertuon als din Bruoder. – Sie werden ihm kein ehrlichs Grab nit günnen.“
„Ei, die und kein ehrlichs Grab nit günnen! Lupf alleinig des Jungruodi Bütel!“
„Der Herr Diebold ist nit nach der Art.“
„Der ander dest meh.“
„Hans, gib din ehrlichs Wort, du mügist nit reisen! Alls Guet, dort im Winkel, ist din.“
Der Hans stand unschlüssig. Er blinzelte auf das Gut des Bruders hinüber und sah auf das Totengesicht nieder. Der Jungrudi war halbtot heimgekrochen. Das muß elend, muß teufelselend gewesen sein. Warum ist er nicht geblieben? Er war kein windiger Gauch mehr und hatte zu leben. Dem Alten die Sach vor die Füße zu werfen? So einen kindischen Trotz hat der Jungrudi nicht getragen.
Der Hans strich über den Bart, dann schlug er dem Vater auf die Schulter.
„Ist guet, Ruodi Ochsner, wir möchtends erwarten. Viellicht so stürmend sie bald.“
Er ging gelassen durch die Gademtür, die Treppe krachte gleichmäßig unter seinen Tritten.
Der alte Ochsner wußte, wem das Wort des Hans zu danken war. Er bedeckte den Toten wieder.
„Hast ehender verscheiden müessen, daß din Art den gueten Lout sullt finden? Du hast vergeben, als will ich dir sin getrü.“
Er hielt im Gadern Wacht und war doch mit ganzer Seele droben bei dem Kinde, das nach Erlösung schrie. Seine Hände hatte er vor der Brust gefaltet, indem er auf und nieder ging. Nie noch war er vom inneren Leben so mächtig bis an seines Wesens Rand erfüllt. Er flüsterte:
„Du bist nit alleinig, Jungruodi. Ouch du nit, Eis. Wir müessend all ersterben, üns geben hin, daß wir ein Lout gewinnen und ein Brucken. Wir wollend all entbunden sin. Allweg es bitter drängt und keiner den andern kann umbfahen und halten, es sije dann, er stürb sin eignen Tod. Kunnt einer dem Felsstein glichen, ihm wär wohl. Der ruhet in des Etzeln Schoß unde ist in ihm bschlossen …“
Er blieb stehen, lauschte seinen Worten nach. Sie kamen ihm fremd und sonderbar vor. Er sah um sich, als könne er all das, was unbeachtet eingelebt sein Eigen war, nicht wiedererkennen. Und aus der Stille hörte er die Sihl. Er war über das Rauschen verwundert, das sein Leben lang ungehört an ihm vorbeigezogen war.
„… ist in ihm bschlossen“, wiederholte er. „Unde die Sihl …? Das Wasser all, das us dem Felsen bricht …? Ouch der Fels tuet ihn Selbsten uf! Mueß sich geben!“
Da gellte der unbändige, wilde Schrei der Erlösung durch das Haus.
Rudi Ochsner ballte die Fäuste vor der Brust, sein Gesicht war zur Decke gewendet, die Lippen zitterten, seine Augen glänzten.
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