Dirk Bausch - Erna geht zu Fuss

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Der Autor lebt und arbeitet seit dreißig Jahren in einer kleinen Stadt im Havelland. Dort ist er als Tierarzt tätig. Erzählt werden verschieden lange Geschichten, die sich so oder ähnlich abgespielt haben. Es sind die Erlebnisse mit Menschen und Tieren, die das Leben im tierärztlichen Alltag beleben. Es sind lustige, traurige aber kritische Momente. Dieses zweite Buch erzählt weitere Geschichten aus dem tierärztlichen Leben in einer Landpraxis.

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Kein Urlaub auf Sylt

Eine aufgeregte Frau kommt außerhalb der Sprechzeit zu uns in die Praxis. Die Frau ist Busfahrerin in Berlin und zog aufs Land um mit Tieren leben zu können. Sie kaufte gemeinsam mit ihrem Mann ein altes Haus und renovierten es um nach der Pensionierung schön leben zu können. Aber im Leben kommt es oft anders. Mitten in den Umbauten verstarb ihr Mann ganz überraschend. Das alles hat mit unserem Fall nichts zu tun.

Um den nun allein zu meisternden Umbau fortzusetzen, brauchte sie Hilfe. Ein Verwandter half ihr beim Heizungsbau. Er lebte eigentlich auf der Insel Sylt. Für die Bauphase hatte er Quartier in ihrem Haus. Er brachte auch seinen Hund mit. Es war ein Australian Shepherd Mischling. Da zwischenzeitlich auch der Sohn mit Familie eingezogen war, lebten vier Hunde auf dem Hof. Alle Hunde verstanden sich gut und spielten miteinander.

Doch heute hatte der Gasthund sich irgendwie ein Seil ums Hinterbein gewickelt und kräftig daran gezogen. Mit den lapidaren Worten „ der hat da irgendwas am Bein“ standen sie nun in meiner Praxis. Der Hundebesitzer sah aus wie ein echter Ostfriese. Er war riesengroß, blond, hatte riesige Hände und war unheimlich nett. Ihn schien nichts aus der Ruhe zu bringen. Nun mein neuer Patient hatte ein stark geschwollenes rechtes Knie. Eine äußere Verletzung war nicht zu erkennen. Die distale Extremität baumelte umher. Meine erste Untersuchung ergab, daß keine Fraktur vorlag. Ich gab mein Untersuchungsergebnis bekannt. „ Na dann verbinden sie das mal ich muss weiter arbeiten“ war die Schlussfolgerung des norddeutschen Hünen. Ich erklärte ihm, daß das nicht so einfach ist und ich noch weitere Untersuchungen durchführen muss. „Hm, dann schnell! Ich muss los“, der lapidare Kommentar. Ich dachte immer, die Norddeutschen haben die Ruhe weg. Na, alles Vorurteile. Wir einigten uns, den Hund bis zur Klärung der Diagnose in der Praxis zu behalten und den Hünen zum Heizungsbau zu schicken. Nach Röntgen und Ultraschall stand fest, dass im Kniegelenk ein Bandabriss vorlag. Ich teilte das Resultat meiner Untersuchungen telephonisch mit. „Und können sie das reparieren“, war die einzige Reaktion. Ich versuchte eine genauso coole Antwort: „Ja klar können schon, aber erst übermorgen“ Die Schwellung sollte sich erst mal etwas zurück bilden. „Gut, dann kann der Hund gleich da bleiben“, Ende des Telephonats. Ich war es gewohnt, zu diesem Zeitpunkt langwierige Diskussionen über die Kosten zu führen. Normalerweise musste ich mich dafür rechtfertigen, dass ich für meine Arbeit überhaupt Geld forderte. Schließlich gab es doch so einen Eid, dass ich immer helfen muss. All das blieb mir hier erspart. Wenn ein Besitzer nicht nach dem Geld fragt, ist es immer verdächtig. Aber hier hatte ich ein gutes Gefühl. Die Busfahrerin war eine grundanständige Frau. Das übertrug ich auf den norddeutschen Riesen und ich sollte Recht behalten. Das will ich schon mal voraus nehmen.

Mit etwas anderem hatte ich weit danebengegriffen. Es kam der Tag der OP. Die Narkose bereitete keine Schwierigkeiten. Der Hund war robust und kerngesund, bis auf das Bein. Und das war eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Nachdem ich die Haut durchtrennt hatte, eröffnete ich das ganze Chaos. Es war noch genug blutiges Sekret vorhanden. Das musste erst mal abgesaugt werden. Nun konnte ich mir einen Überblick verschaffen. Es war alles, aber auch alles, was nicht aus Knochen war, kaputt. Da fielen mir wieder die Worte: „Können sie das reparieren?“ und vor allem meine blöde Antwort „JA“ ein. Bei solchen Operationen frage ich mich dann immer: „Warum hast du mit diesem …. überhaupt angefangen?“

Es waren beide Kreuzbänder zerrissen, die Menisci zerstört und auf beiden Seiten die Kollateralbänder kaputt. Nur die Haut hielt den Unterschenkel noch am Oberschenkel. Ich machte mich an die „Reparatur“. Wir brauchten Unmengen an Spüllösung, Bandersatz und Nahtmaterial. Zum Schluss füllte ich das neue Gelenk mit künstlicher Gelenkflüssigkeit und verschloss die Haut. Endlich geschafft! Das Bein sah nach fünf Stunden fast normal aus. Zur Stabilisierung legten wir einen festen Verband an. Der sollte vor allem das Bein ruhig stellen, damit die vielen Nähte Zeit zum heilen bekamen. Nach drei Tagen der erste Verbandwechsel. Mit einem komischen Gefühl im Bauch schnitt ich den Verband ab. Aber, oh Wunder, kaum eine Schwellung und eine passive Bewegung war auch möglich. Aber wie man so sagt, die Kuh war noch nicht vom Eis. Noch eine Woche ging ins Land und die Fäden mussten gezogen werden. Also wieder den Verband abschneiden. Es sieht noch immer gut aus. Das Bein ist zwar dünner als das andere aber alles andere ist fast normal. Die Fäden ließen sich leicht ziehen und die Wunde sah gut aus. Ich war zufrieden. Der Hund lief zwar noch lahm, konnte aber das Bein gut benutzen. Um noch eine gewisse Schonung zu erreichen, legte ich nochmals einen Verband an. Der Hund wurde mit der Maßgabe, sich zu schonen und den Verband wöchentlich zu wechseln, entlassen. Der Hüne erklärte mir, dass er jetzt wieder nach Sylt muss, um sich um seine Pferde zu kümmern. Nun war die Sache überstanden und wenn der Hund noch etwas Ruhe hat, würde er wieder vollständig genesen. Eigentlich war ich zufrieden, aber die Sache war nicht mehr unter meiner Kontrolle. Und das bereitete mir Sorge. Also rief ich nach 14 Tagen auf der Insel an. Der wortkarge Friese war völlig außer sich und erzählte in einem nicht enden wollenden Wortschwall von der wunderbaren Genesung seines Hundes. Nach drei Tagen tat ihm der Hund so Leid mit der Hinkerei und so schnitt er den blöden Verband ab. Und nun lief der Hund beim Ausritt mit seinem Pferd wie immer nebenher. Ich krampfte den Telephonhörer fester und war sprachlos. Diese Pause nutzte der Mann zu einer Einladung auf seine Insel. Dummerweise kam ich dieser aufgrund meines Arbeitseifers nicht nach. Aber so lange der Hund lebte, besuchte er mich jedes Jahr. Anfangs erneuerte sein Besitzer immer wieder die Einladung. Aber ich schaffte es wie immer nicht. Ich bekam im Laufe meiner Praxiszeit viele solcher Einladungen, aber immer war die Arbeit wichtiger. Nur nach Portugal bin ich gefahren.

Der Hund lebt schon einige Jahre nicht mehr, aber ich bekomme noch immer Grüße von der Insel Sylt, wenn die Busfahrerin Besuch bekommt. Und dieses Jahr sollen wir seine neue Hündin kastrieren. Hoffentlich klappt es genauso gut.

Freitag, der dreizehnte ein Glückstag?

Da fällt mir eine andere Knie OP ein. Nun soll nicht der Eindruck entstehen, dass ich nur zwei Knieoperationen in den vielen Jahren durchgeführt habe, aber die meisten sind nicht so markant, um über sie zu schreiben.

Bei dem zu operierenden Patienten handelt es sich auch um eine Australian Shepherd Hündin. Sie gehörte dieser Freundin, die mir vor Jahren die Behandlung von Neuweltkameliden einbrockte. Eigentlich hatte sie immer einen anderen Tierarzt für ihre Pferde und die anderen Tiere. Das kaputte Kreuzband sollte aber ich in meiner Praxis richten. Ich kannte die Hündin „Bunny“ schon lange und gut, so dass wir telephonisch einen Termin absprachen. Wir einigten uns auf einen Freitag, den 13. Ich bin nicht abergläubisch, schlug aber ein anderes Datum vor. Anne, das war die Besitzerin des Patienten, konterte sofort. Der 13. sei ihr Glückstag und sie habe schon viele gute Geschäfte an diesen Tagen gemacht und schließlich ist sie an einem Freitag, den 13. geboren.

Nun, der unheilschwangere Tag kam. Wir hatten nicht 13.00 Uhr, sondern 12.00 Uhr als Beginn der OP ausgemacht. Freitags ist die Sprechstunde immer schlecht besucht. Nun an diesem Tag war es brechend voll und so fiel es nicht auf, dass Besitzerin samt Hund nicht pünktlich erschien. Wir hatten also noch etwas Luft, uns vor der anstrengenden OP zu sammeln und eine Tasse Kaffee zu trinken.

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