„Ich will guot sin ze Üch, Herr Wilhelm.“
Er umfing die Braut und küßte ihr Stirn und Mund.
Sie ging dann schweigend neben dem Maultier eine Weile her, Bombast hielt ihre Hand in der seinen. Auf der Höhe blieb sie zurück und winkte ihm nach. Die Luft war rein, das Moor gegen Einsiedeln zu lag unter schimmerndem Reif. Als sie sein Gesicht nicht mehr erkennen konnte, kniete sie nieder und betete zur Gnadenmutter für den stillen Mann. Er hatte ihrem Leben das Ziel gewiesen, da er sie um seine Heimat bat. Und sie wurde des Lebens froh.
Von dem Pfleger des Stifts, Herrn Diebold von Geroldsech, heischte Bombast Beistand. Der freimütige Herr, der nachmals Ulrich Zwingli auf die Kanzel von Einsiedeln berufen hat und dem Reformator späterhin in der Lehre nachgefolgt ist, sagte dem Arzte wohlgeneigt zu.
Um Fastnacht hielten sie Beilager im Ochsnerhause. Und am anderen Morgen führten sie Braut und Bräutigam in stattlichem Zuge zum Meinradskirchlein auf der Paßhöhe.
In dieser Nacht, da Gäste und Hausleute, von Wein und Bier beschwert, in den Betten, auf Stroh und Heu, etliche auch auf dem duftenden Reisig des Estrichs ruhten, entwich Jungrudi nach Zürich, wo des Florentiner Werbeleute lagen.
Der Alte konnte ihm, als er den Rausch ausgeschlafen hatte, nur mehr nachfluchen. Er schwur, den Entlaufenen nicht wieder unter seinem Dache zu dulden.
Und nun, nach zwei Jahren, war Jungrudi mit der letzten verbissenen Kraft seines harten Schwyzerwillens heimgekrochen. Er füllte den niedrigen Gadem mit seiner keuchenden Stimme, daß ihre Herzen alle zitterten.
Als der Vater, von des Sohnes Elend gebändigt, zusammengesunken war, trug Hans den Bruder auf die Ofenbank. Eis lief um Wein, die Mutter griff aus der Truhe altes Linnen. Der Knecht hatte das Geflüster der Frauen verstanden, er drang durch das Unwetter Herrn Wilhelm entgegen.
Und während die Mutter Jungrudis glühende Brust und den brennenden Kopf mit Wein wusch, trat Eis unruhevoll immer wieder vors Tor und lauschte in die Nacht. Der Hans barg des Bruders Gut in einem Winkel, trug der Eis Holz zu, holte Schnee und mengte ihn unter den Wein.
Jungrudi erkannte die Mutter nicht. Die Kühlung tat ihm wohl, er sog den säuerlichen Duft gierig ein und lächelte. Er wähnte, daß die gefälligen Mägde einer Badestube ergötzlich mit ihm umgingen. So brodelte er nackte Redensarten, und seine Mutter deckte sie mit hastigen Gebeten zu. Er winkte ihr, wollte sie fassen. Die Mutter beneidete, von Scham und Verzweiflung gemartert, die schmerzensreiche Maria um ihre Leiden. Und doch tauchte sie den Lappen wieder in den Wein und kühlte ihres Kindes Fieber.
Der Hans trat erst hinzu, als er die Not der Mutter nicht mehr aushielt. Er rüttelte den Bruder.
„Ruodi! Wach uf, Kerl! Din Muotter.“
Der elend sieche Teufel lachte und lallte:
„Weg dine säuische Hüf! Gang miner müeßig, Heini Stoll! Vergunnst eim das Mensch nit? Die streichet und zwacket mich wohl … wills widerstreichen uf Schwyzer Art.“
Die Mutter ließ das Linnen sinken, sie deckte mit zitternden Händen das Gesicht. Der Vater war langsam aufgestanden.
Er war weiß vor Wut, der Mund klaffte ihm, der Hans wich aus.
Der Vater ging zur Ofenbank, packte den Jungrudi am Koller und den faltigen Hosen, schwang ihn auf die Achsel und wollte gegen die Tür. Die Mutter hing sich an den Mann. Rudi Ochsner stieß sie weg. Der Hans folgte mit halberhobenen Armen, bereit, beide, Vater und Bruder, aufzufangen. Der Alte tappte unter seiner Last weiter.
Da erschlafften die Arme und Beine Jungrudis, der wild um sich geschlagen hatte. Sein Kopf fiel röchelnd auf des Vaters Brust.
Die Mutter schrie, sie stürzte sich auf den Mann, drängte ihn zurück. Hans riß ihm den Bruder aus den Armen.
Eis lief ans Tor, sie hatte Hohenheim gehört. Die Mutter wankte ihm mit einer unsäglichen Gebärde entgegen. Eis öffnete die Arzeneitasche, so schnell sie konnte. Der Hans saß auf einem Stuhl und hielt den Bruder auf den Knien.
Bombast fühlte den Puls. Sie brachten ein Schaff. Er ließ dem Sterbenden die salva tellam der Rechten, aber das Blut schoß nicht mehr in einem freudigen Strahl aus der Wunde, es tröpfelte matt von den Fingern.
Er goß aus einem Fläschchen auf die hohle Hand, rieb Jungrudis Schläfe, hielt des Fläschchens Mund an die schwer schnaufende Nase. Ein scharfer Duft durchdrang den Gadern.
Dann verband er die Hand und schlug die Schläfenader.
Das Blut floß kräftiger. Jungrudi seufzte tief. Er öffnete die Augen und ließ sie über die vorgebeugten Gesichter irren. Die Finger seiner linken Hand spreizten sich, als wollte er etwas fassen. Er ballte die Hand und murmelte:
„Muotter … Eis …“
Dann sank die Brust rasselnd ein, das Blut stockte. Wilhelm Bombast, der Jungrudis Kopf hielt, legte seine Hand über die gebrochenen Augen und schob die Lider zu.
Die Mutter nahm den Kopf auf ihren Arm und wischte das Blut von Wange und Schläfe. Sie weinte leise. Eis war von Hohenheim gestützt, beide blieben still bei der Mutter. Der Hans rührte sich nicht, er schaute nur die Mutter an.
Sie küßte die erkaltende Stirn. Ihre Augen suchten den Mann. Der lehnte abgewandt an der Tür, die Fäuste ineinander gepreßt, vor die stoßende Brust gestemmt. Er kämpfte wie ein getroffener Eber, der seine Wunde aufwühlt, während er das Eisen abzuwetzen strebt. Sie sollten nicht wissen, daß ihm ein Schrei hinter den Zähnen stand, der ihn fast erstickte.
Die Frau kannte seine Not. Sie rief ihn an:
„Ruodi, kumm ze ihm … Ruodi, es hat ihn siech uf den Tod hoimwarts trieben, eh dann er ist verscheiden.“
Der alte Ochsner schleppte steif hin, legte eine Hand auf die Schulter des Weibes. Sie nahm seine Hand und legte sie auf die Stirn des toten Sohnes.
Sie sagte nur:
„Der ist din Ebenbild gsi, Mann.“
Aber eine Last von Liebe und Kummer lag auf jedem ihrer Worte, daß der alte Ochsner seinen Nacken beugte, bis sein Gesicht die Brust des Toten berührte.
Als er sich erhob und das Weib ansah, drang es ihm stoßweis durch die Zähne:
. Muotter … Muotter … ich nimm ihn vor Gott uf mich.“
Dann ging er hastig hinaus. Ließ den Schnee ins Gesicht jagen. Hetzte über die Meinradsklause talab durch den Etzelwald. Als müsse er dem sterbenden Sohne entgegen, ihn vom Pferd heben, auf den Armen heimtragen. Erst ober Pfäffikon wurde er seiner selbst gewahr. Der Schweiß rann ihm vom Gesicht und der Brust. Und er dachte des Weibes bei dem Toten. Vor Reue und Schmerz riß er an seinem Wams. Und er kletterte den Pilgeriweg zurück. Es schlug ihm bis in den Hals, er fühlte kein Ermatten. Als müsse es der Tote ansehen und müsse die Buße gut aufnehmen für alle Härte und dafür, daß ihn der Vater hat auf die Straße werfen wollen, als er im Sterben gelegen war.
Droben vor der Pforte des Meinradkirchleins fiel der alte Ochsner in die Knie. Er fand kein Gebet, aber er schlug die Stirn gegen die Tür und war demütig wie nie in seinem Leben.
Als sein härtester Drang verpulst war, hörte er die Rufe des Hans. Er gab kräftig Widerlaut und ging dem Rufe nach. Er durchkreuzte die Schweigwies über den verschneiten Spuren des Jungrudi.
Das Tor war vom Hans offen gelassen. Als Rudi Ochsner eintrat, schallte ihm vom Oberstock herab ein langer, heller Schrei entgegen. Er blieb, den Zapfen des Riegels in der Hand, stehen und lauschte mit verhaltenem Atem.
Der Schrei, der lange, helle Schrei, der wie ein Herold in Scharlach einhergeht!
Wann wieder … wieder …
Die Heroldsrufe müssen tiefer, hastiger, mächtiger werden … statt Scharlach sollen sie dunklen Purpur tragen … dann wird die Majestät des neuen Lebens durch die Todespforte brechen. Alle werden ihr dienen.
Hell und heiß, ein neuer Laut wie das flammende Leben.
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