Abgeleitet von dem lateinischen Wortstamm crimen = Verbrechen sind alle mit „kriminal“ gebildeten Wörter, also auch die Kriminalwissenschaft, zu der Kriminalistik und Kriminologie gehören, Wissensgebiete, die sich mit dem Verbrechen befassen.
Unter Kriminalistik versteht man die Lehre von den Mitteln und Methoden der vorbeugenden (präventiven) und der strafverfolgenden (repressiven) Verbrechensbekämpfung.
Kriminologie dagegen ist – kurz gesagt – die Wissenschaft vom Verbrechen. Anders ausgedrückt heißt dies: Kriminologie ist alles, was sich mit den Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen des Verbrechens befasst. Sie ist also die geordnete Gesamtheit des Erfahrungswissens über das Verbrechen, den Rechtsbrecher, die negative soziale Auffälligkeit und über die Kontrolle dieses Verhaltens.
Die Kriminalistik ist wiederum in die Teilbereiche Kriminaltaktik, Kriminaltechnik und Kriminaldienstkunde gegliedert:
Mit Kriminaltaktik bezeichnet man die taktisch-logische Kriminalistik: das geschickte, folgerichtige Vorgehen bei der Verbrechensbekämpfung.
Kriminaltechnik nennt man die technisch-naturwissenschaftliche Kriminalistik: den Einsatz technischer Mittel und naturwissenschaftlicher Methoden bei der Suche, Sicherung, Untersuchung und Auswertung von materiellen Spuren im Rahmen der Verbrechensbekämpfung.
Kriminaldienstkunde ist die formelle Kriminalistik: die Anwendung von Dienstvorschriften bei der Verbrechensbekämpfung.
Selbstverständlich ist die Terminologie der Kriminalwissenschaft damit nicht erschöpft, doch soll dies vorerst genügen.
In scharfem Gegensatz zu diesen wissenschaftlichen Begriffen stehen volkstümliche Vorurteile, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Wer sie als naive und unwissenschaftliche Irrtümer erkennt, spart Zeit, Kraft und Geld.
Zu den bekanntesten Vorurteilen gehört die Behauptung, dass der Mörder immer wieder zum Tatort zurückkehrt. Was in einigen Fällen tatsächlich vorkommt, darf man nicht verallgemeinern. Meistens sind die Polizeibeamten enttäuscht, die manchmal tagelang den Tatort beobachten, um auf die Rückkehr des Täters zu warten.
In die gleiche Richtung zielt auch die Behauptung: „Die Sonne bringt alles an den Tag!“ Schön wär’s, aber leider ist in Wirklichkeit die Zahl der ungelösten Verbrechen erschreckend hoch. So werden beispielsweise viele Morde erst nach Jahren entdeckt – wie viele aber bleiben unentdeckt, weil man eine natürliche Todesursache annimmt!
Wenn die volkstümlichen Vorurteile beim Verhalten des Mörders nicht stimmen, gelten sie dann vielleicht für den Ermordeten? Sicherlich wird niemand bestreiten, dass ein toter Mann ein stummer Mann ist. Oft aber kann ein Toter eine beredte Sprache sprechen. Wie viel er verrät, hängt mit dem Geschick der Kriminalisten und der Detektive im weißen Kittel zusammen. Auch trifft es nicht zu, dass sich der Ausdruck der Überraschung, der Furcht oder anderer heftiger Gemütsbewegungen auf dem Gesicht des Opfers ausprägen. Vielmehr entspannen sich – von wenigen Fällen abgesehen – im Allgemeinen die Muskeln. Völlig unsinnig dagegen ist die Behauptung, im Auge des Toten sei das Bildnis seines Mörders zu sehen. Das ist Aberglaube ohne jede wissenschaftliche Grundlage. In diesen Bereich gehört auch die leider immer noch dann und wann angewandte Methode, Hellseher, Wahrsager und Medien bei der Aufklärung von Verbrechen heranzuziehen. Natürlich wäre es ideal, den Geist des Ermordeten zu zitieren und für die Entlarvung seines Mörders einzusetzen, aber bis jetzt hat man damit noch in keinem einzigen Fall wertvolle Aufschlüsse erhalten.
Kann eine Fotografie lügen? Ein weit verbreitetes Vorurteil lautet: Nein, nie! Doch auch das wird durch die Praxis widerlagt, denn viele Umstände können eine Fotografie beeinflussen und dadurch einen falschen Eindruck vermitteln: so unter anderem der Gebrauch einer bestimmten Optik, die Aufnahmeperspektive, die Filmart oder die Entfernung vom Objekt. Verzerrte oder schlecht belichtete Aufnahmen verwirren die Untersuchungsbeamten nur, statt ihnen bei der Aufklärung zu helfen.
Ein bekanntes, aber völlig abwegiges Vorurteil ist auch die Annahme, ein Schuss durchs Herz bewirke den sofortigen Tod. Vielmehr gibt es Menschen, die nach einem Herzschuss noch Erstaunliches geleistet haben. Falsch ist ferner der volkstümliche Glaube, ein Ertrinkender tauche zweimal auf, bevor er dann endgültig untergehe. In Wirklichkeit kann eine ertrinkende Person sofort in der Tiefe verschwinden, jedoch den Todeskampf noch beträchtliche Zeit fortsetzen, bis sie schließlich bewusstlos wird.
Bekanntlich findet Wachstum nur dann statt, wenn die Zellen durch den Blutkreislauf mit Nahrung und Sauerstoff versorgt werden. Ohne Herzschlag gibt es also auch keinen Nachschub mehr. Einige Zellen leben zwar länger als andere, aber nach kurzer Zeit stirbt das gesamte Leben aller Zellen. Bei einem Toten kann demnach keine Art von Wachstum mehr stattfinden.
Dennoch hält sich hartnäckig das Vorurteil, noch nach dem Tod würden die Haare und Nägel eines Toten weiter wachsen. Der Grund hierfür ist wohl in einer optischen Täuschung zu suchen: Der Haut eines Toten wird nämlich Feuchtigkeit entzogen, sie schrumpft. Dadurch treten Teile der Nägel und Haare hervor, die bisher von Haut bedeckt waren, und erwecken so den Eindruck eines Wachstums nach dem Tode.
Im Allgemeinen ist Mord ein nicht schwer zu verübendes Verbrechen. Da der Mensch äußerst verwundbar ist, kann man ihm auf sehr viele und sehr einfach Art das Leben nehmen. Aber kaum hat der Mörder den Mord begangen, da stellt sich ihm die Frage: Wohin mit der Leiche? Wie oft schon hat sich ein Mörder den Kopf zermartert, wie er die Leiche seines Opfers beseitigen könne. Gewiss ist es nur allzu vielen geglückt, dieses Problem zu lösen; aber die Zahl derer, die daran gescheitert sind, ist auch sehr hoch. Der menschliche Körper besteht aus verschiedenen Substanzen, von denen einige – wie Zähne und Knochen – äußerst dauerhaft sind. Andere wiederum, mit denen der Mörder ein leichtes Spiel zu haben scheint, bleiben erhalten, wie sehr er sich auch bemüht, die Spuren seines Verbrechens zu beseitigen. Immer noch glauben einige Täter, man könne eine Leiche sehr schnell durch ungelöschten Kalk zerstören. Doch auch das ist ein irriges Vorurteil, denn ungelöschter Kalk ätzt zwar ungemein stark, zerstört aber einen Körper nicht, sondern konserviert ihn sogar. Er geht nämlich mit dem Fettgewebe eine Verbindung ein, die der Einwirkung von Insekten und der normalen Fäulnis widersteht.
„ Denn Mord, hat er schon keine Zunge, spricht mit wundervollen Stimmen“, lässt Shakespeare seinen tragischen Prinzen Hamlet einmal sagen und glauben, es sei das Gewissen, das den Mord herausschreie. Der Mord gesteht sich also selbst. Was in der Dichtung unser Gefühl für Gerechtigkeit so beruhigend befriedigt, trifft im wirklichen Leben leider nur selten zu. Denn das Gewissen der meisten Mörder ist so stark verkümmert, dass die abgebrühtesten unter ihnen oft ihr ganzes Leben lang stumm bleiben wie das Grab. Nicht das Gewissen verrät den Schuldigen, sondern vor allem die Leiche seines Opfers.
Schätzungsweise zwanzig Prozent aller Menschen sterben unter Umständen, die eine amtliche Untersuchung der Todesursache erfordern. Hierbei handelt es sich um Fälle, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, oder bei denen der hinzugerufene Arzt eine sichere Todesursache nicht angeben kann: War es Mord oder Totschlag, Tötung auf Verlangen oder Selbstmord, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang oder Tötung in Notwehr, Unfall oder fahrlässige Tötung? Welcher Tod liegt vor – und wie ist es geschehen? Die richtige Beantwortung dieser entscheidenden Fragen stellt höchste Anforderungen an die untersuchenden Beamten – vor Ort und im Labor. Aus Tausenden von Steinchen muss ein Mosaik zusammengesetzt werden, das die Tat darstellt. Welche Steine zu verwenden sind, welche nicht in dieses Bild passen, an welcher Stelle welcher Stein einzusetzen ist – das entscheidet allein der Kriminalist. Ein Selbstmord kann vorgetäuscht oder als Mord „frisiert“ sein, ein Unglücksfall als Mord erscheinen oder ein Mord als Unglücksfall; möglich ist auch, dass ein natürlicher Tod nur geschickt vorgespiegelt ist oder den Eindruck erweckt, als sei der Tote durch fremde Hand ums Leben gekommen. Von der sorgfältigen Arbeit der Untersuchungsbeamten hängt es ab, ob ein Sachverhalt geklärt wird oder nicht. Ihre Verantwortung ist groß, denn Fehler und Irrtümer haben verhängnisvolle Folgen. Wird zum Beispiel ein Todesfall fälschlicherweise auf eine natürliche Ursache zurückgeführt, obwohl eigentlich ein Unfall vorliegt, dann verlieren die Angehörigen oft hohe Ansprüche, die der Verstorbene vielleicht unter großen Opfern für ihren Lebensunterhalt sichergestellt hatte. Wenn dagegen ein natürlicher Todesfall als Mord „geklärt“ wird, so kann ein Unschuldiger seelisch und materiell aufs schlimmste gefährdet und geschädigt werden. Um solche Fehlerquellen in immer höherem Maße auszuschalten, ist die Verbrechensbekämpfung im Lauf der Jahrhunderte ständig weiterentwickelt worden. Im 19. Jahrhundert hat sich dann durch vermehrtes Benutzen wissenschaftlich fundierter Untersuchungsmethoden und die häufige Einschaltung von Sachverständigen in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern die Lage so entscheidend verändert, dass man von der Geburtsstunde der modernen Kriminalistik sprechen kann.
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