Als sie sich beruhigt hatte, rief Christina Roberto an und berichtete kurz vom Verlauf des Gespräches mit Volker. Außerdem bat sie ihn um Verständnis dafür, dass sie für den Rest des Tages lieber alleine sein wollte. Roberto konnte sich gut in ihre Lage versetzen. Er ahnte, dass ihr die ganze Sache wohl sehr nahe gegangen war. So verabredeten sich erst für den nächsten Tag.
Immer wieder musste Christina daran denken, wie traurig Volker war. Ja, sie hatte wahre Gewissensbisse wegen der Beendigung ihrer Beziehung. War es richtig gewesen, was sie getan hatte? Sie musste ihm doch die Wahrheit sagen. Ihr war, als hätte sie einen großen Stein im Magen. Vielleicht sollte sie Lilian anrufen? Mit ihr konnte sie immer über alles reden; also wählte sie die Nummer ihrer Schwester.
Lilian nahm sofort ab und Christina hielt sich gar nicht erst mit langen Vorreden auf, sondern erzählte ihr sofort, was alles vorgefallen war:
„Stell dir vor, ich habe Roberto wiedergetroffen.“ Überschwänglich vor Glück erzählte sie weiter: „Wir haben uns wieder ineinander verliebt und wollen jetzt endlich heiraten. Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Du weißt sicherlich noch, wie unglücklich ich damals war und wie sehr ich gelitten hatte? Die ganze Geschichte damals war aber eine üble Verschwörung gegen uns gewesen. Die Eltern hatten uns absichtlich auseinandergebracht. Roberto konnte überhaupt nichts dafür.“ Und sie erklärte ihr die Intrigen der Eltern, von denen Roberto nichts geahnt hatte. „Ihm ging es ebenso wie mir, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich wir beide sind. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass wir uns wiedergefunden haben.“
Lilian wollte sie in ihrer Begeisterung über die Wiedervereinigung mit Roberto unterbrechen, doch Christina gab ihr gar keine Gelegenheit dazu. Alles Glück sprudelte nur so aus ihr heraus.
Doch endlich kam Lilian auch einmal zu Wort: „Christina, das geht mir alles viel zu schnell.“
„Ja, freust du dich denn gar nicht für mich?“
„Aber ja“, antwortete Lilian, „es kommt alles nur so plötzlich. Vor allen Dingen, wie willst du das Volker beibringen? Ach … der tut mir jetzt aber leid. Ihr hattet euch doch so gut verstanden. Bist du dir wirklich sicher, dass du das Richtige tust? Du und Volker, ihr hattet doch schon Zukunftspläne geschmiedet.“
„Mit Volker habe ich schon heute Morgen gesprochen. Er war hier … sicher, er ist sehr enttäuscht. Mich belastet das Ganze ja auch enorm, deshalb rufe ich dich schließlich an. Was soll ich nur machen? Ich liebe Roberto. Er ist die Liebe meines Lebens … das war er schon immer. Du musst ihn unbedingt kennenlernen. Ich komme in den nächsten Tagen nach Hause, das wird das Beste sein. Wenn es für euch in Ordnung ist, würde ich Roberto gleich mitbringen. Du wirst begeistert sein, wenn du ihn triffst. Bis dahin möchte ich dich bitten, dass du dich ein wenig um Volker kümmerst, vielleicht kann auch Stefan mit ihm sprechen? Sie haben ja beruflich miteinander zu tun und sehen sie sich ohnehin sehr häufig.“
Lilian beruhigte sie in ihrer Planung ein wenig und sagte: „Mach dir nicht so viele Sorgen. Es wird sich schon alles finden. Die Zeit heilt alle Wunden.“
Lilian kannte ihre Schwester zu genau, um nicht zu bemerken, wie sehr sie die ganze Angelegenheit mit Volker doch belastete. Sie wusste, dass die Gefühle, die sie Volker entgegenbrachte, nicht nur aus reiner Freundschaft bestanden, sondern es war durchaus mehr dahinter. Dennoch machte sie sich Sorgen um Christina. Die ganze Sache mit Roberto gefiel ihr gar nicht. Doch schließlich war Christina alt genug — es war allein ihre Entscheidung.
Christina verbrachte eine unruhige Nacht. Ein Gewitter zog auf. Aufgrund der erschreckenden Blitze und des gewaltigen Donners war an Schlaf gar nicht zu denken. Das schlechte Gewissen und auch Zweifel, die in ihr hochstiegen, trugen ebenso dazu bei. Ihre innere Stimme meldete sich: War es wirklich richtig, was ich getan habe? Ihr Herz sagte: Ja, du liebst Roberto doch. Ihr Verstand sagte: Willst du etwa alles aufgeben? Deine Heimat, deine Freunde, deinen Job? Und was ist mit Volker? Liebst du ihn nicht auch? Kann Roberto dir das alles ersetzen?
Christina fand keine Ruhe. Sie nahm sich daher in dieser Nacht fest vor, noch einmal mit Volker zu reden. Er musste sie doch verstehen. Sie waren doch immer ehrlich zueinander gewesen. Christina zog sich das Kissen über den Kopf. Sie wollte einfach nicht mehr drüber nachdenken. Was sollte es auch, schließlich hatte sie sich längst entschieden und Volker wie auch Roberto ihre Entscheidung mitgeteilt. Irgendwann übermannte sie dann doch die Müdigkeit und sie schlief ein.
Am nächsten Tag sah die Welt für Christina wieder ganz anders aus: Die Sonne und die herrlich klare Luft trugen dazu bei. Bei einem Spaziergang mit Roberto erzählte Christina davon, wie schwer ihr die Aussprache mit Volker gefallen war. Ebenso erzählte sie von dem Telefonat mit ihrer Schwester.
„Am Telefon ist das alles so schwierig zu erklären. Ich muss in Ruhe mit ihr reden. Sie wird mich verstehen. Was hältst du davon, wenn du mich nach Deutschland begleitest? Dann können meine Schwester und ihr Mann dich gleich kennenlernen.“
Roberto erklärte sich bereit, in den nächsten Tagen mit ihr nach Frankfurt zu fahren. Während der Unterhaltung kam aber auch heraus, dass Roberto am Vorabend noch bei seinen Eltern gewesen war. Er habe so einiges klargestellt und ihnen anständig die Meinung gesagt. Schließlich gaben sie auch alles zu; mit der Begründung, dass sie doch nur sein Bestes gewollt hatten. Angeblich konnten sie damals nicht anders handeln, denn sie hatten schließlich ein Versprechen abgegeben. Ihr einziger Sohn sollte sich mit Maria Biantini vermählen. Sie hatten sich vor diesem Hintergrund auf einige dubiose Geschäfte mit den Biantinis eingelassen: Angeblich hätten seine Eltern sonst sehr, sehr viel Geld verloren. Er verschwieg Christina allerdings den eigentlichen Gesprächsverlauf. Roberto wollte ihr nämlich unbedingt die nach wie vor ablehnende Haltung seiner Eltern ihr gegenüber ersparen. Besonders seine Mutter regte sich über ihr Wiedererscheinen in Robertos Leben auf — ihr ging es schon immer nur ums Geld. Seiner Mutter hatte es fast die Sprache verschlagen, als sie erfuhr, wer seine Auserwählte war. Dass es ausgerechnet dieses Mädchen aus Deutschland von damals sein musste. Ihre Angst, dass nun all ihre Verschwörungen und Lügen ans Tageslicht kämen, belastete sie enorm. Das wollte sie auf jeden Fall verhindern.
Nachdem Roberto sie aber unter Druck gesetzt und ihnen gedroht hatte: „Entweder ihr akzeptiert Christina, oder ihr seht mich nie wieder!“, erkannten seine Eltern, wie ernst es ihm damit war. Ziemlich mürrisch zeigten sie sich also doch bereit, Christina zu empfangen. Auf keinen Fall wollten sie ihren einzigen Sohn und Erben ihres Unternehmens verlieren. Er sollte doch später ihr Lebenswerk fortführen. Den wirklichen Grund, weshalb sie Christina ablehnten, durfte Roberto aber auf keinen Fall erfahren, darüber waren sich Enzo und Antonietta Satori einig.
Antonietta dachte an den Tag, als sie Christina das erste Mal gesehen hatte. Der Schreck saß ihr heute noch in den Gliedern. Ihr war damals schon aufgefallen, dass Christina große Ähnlichkeit mit Constanza hatte. Im ersten Augenblick dachte sie, dass der leibhaftige Geist von Constanza Satori vor ihr stehe. Antonietta Satori hatte in dieser Zeit keine ruhige Nacht mehr gehabt. Immer wieder fragte sie sich, wer dieses Mädchen sei? Was wollte sie hier? Constanza bekam doch damals ein Kind — war dieses Mädchen irgendwie mit ihr verwandt oder gar ein Nachkömmling? Diese Ähnlichkeit war einfach zu verblüffend: Das konnte kein Zufall sein. Vielleicht hatte sie sich absichtlich Roberto an den Hals geworfen, um herauszufinden, wie groß der Besitz der Satoris inzwischen war? Brauchte ihre Familie etwa Geld? Könnte es sein, das sie all dies ausspionieren wollte, um eventuelle Ansprüche geltend zu machen? All diese Gedanken schwirrten ihr im Kopf herum.
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