»Noch immer der alte Hedonist, wie? Los, abhauen, aber zügig! Ehe sie mit einem Bügeleisen nach uns wirft«, zischte ich, und klemmte mir den Autoschlüssel in den Mund, und meinen Sohn Agnir unter den anderen Arm. Malfurion riss Ructus von den Füßen und folgte mir.
In Windeseile erreichten wir das Auto, noch im Laufen betätigte ich mit den Zähnen die Zentralverriegelung. Schnell setzte ich Agnir ins Auto und ehe ich ihn anschnallen konnte, kam auch schon der Hund ins Auto gesprungen. Na, tolle Wurst!
»Verdammt, wie soll ich den bekloppten Hund hier raus bekommen, ohne ihn anzufassen? Ah, ich versuche es am besten mit Telekinese! Schnallt euch an, sonst stirbt ein Einhorn!«
»Nein Papa, du tust ihm bestimmt nur mit Telekinese weh!«, wehrte Agnir ab. »Lass ihn doch mitkommen!«, klickte sein Sicherheitsgurt. Karl-Heinz das Einhorn, war Agnirs Kumpel und er wollte nicht, dass er starb, nur weil er sich nicht angeschnallt hatte. - Das war nicht meine Idee, sondern es stand in einem Erziehungsberater, dass der Einhorn-Trick funktionierte.
»Zumindest hast du meine Worte verinnerlicht und nicht gebeten, ihn zu behalten! Aber der Hund muss raus!«
»Habe ich da gerade eben ein Polizeiauto gesehen?«, fragte Ructus scheinheilig.
»Glaube ja nicht, ich fiele auf so einen plumpen Trick herein. Los, Hund! Raus mit dir!« Doch statt auf meine Worte zu hören, schleckte er Harrys Gesicht ab.
»Buah! Das Vieh riechen, als wäre es seit tausend Jahren tot!«, sagte der Gottkönig.
»Vielleicht bist du es, der da so müffelt? Oh, nichts für ungut, Harry!«, sagte ich mit einer gewissen Genugtuung. Tja, der arme Harry war nicht zu beneiden, so eingeklemmt zwischen zwei Kindersitzen und einem Riesenhund, der wie eine Müllhalde stank und ihm dabei auch noch ins Gesicht sabberte.
Da ich einsehen musste, dass die Hundeentfernung nur unnütz Zeit und Nerven kostete, startete ich schleunigst den Motor und fuhr unseren Wagen, so unauffällig wie möglich, aus der Florentiner Altstadt heraus. Immer wieder sah ich in die ramponierten Rückspiegel, doch die Polizei war nirgends zu sehen. Als ich meinen Schöpfer mit einem Blick streifte, fiel mir auf, dass er wie ein Honigkuchenpferd vor sich hin grinste.
»Was gibt es da zu lachen? Leidest du unter einer Gesichtslähmung, oder hat dir jemand ins Knie geschossen?«, schnauzte ich schlechtgelaunt.
»Weder noch«, griente er äußerst zufrieden. »Eine halbe Ewigkeit habe ich schon nicht mehr so einen Spaß gehabt«, sagte er und faltete behaglich die Hände hinter den Kopf.
»Ach, wirklich?«, fragte ich sarkastisch.
»Ja, das war einfach toll. Übrigens, Ragnor. Wie wäre es morgen Abend mit Minigolf?«
Aus feinem Tuch werden auch Deckmäntel gemacht.
(Deutsches Sprichwort)
Während in Florenz noch tiefe Nacht herrschte, ging im Osten bereits die Sonne auf. Mit einem zufriedenen Blick betrachtete Gungnir sein befremdlich wirkendes Spiegelbild im Badezimmerspiegel. Er zeigte seinem Gegenüber die Zähne, die weiß aus dem dunkel getönten Gesicht hervor schienen. Selbst seine Augenbrauen und der Bart besaßen eine neue Farbe. Das Waschbecken, vor dem er gerade stand, sah aus, als hätte darin zuvor eine besonders haarsträubende Schlacht getobt. Schwarze Haarfarbe ist eine wirklich hartnäckige Angelegenheit und hinterlässt auf weißem Porzellan eine ziemliche Sauerei.
Er machte innerlich drei Kreuze, in weiser Voraussicht die Gummihandschuhe übergestreift zu haben. Ansonsten sähen seine Hände jetzt ziemlich übel aus, speziell die Fingernägel. Er trocknete seine schwarzen Locken, um sie anschließend mit grimmig-konzentrierter Miene zu kämmen. Wie jedes Mal, gaben sie sich äußerst störrisch und schienen ein seltsames Eigenleben zu führen, weil er immer wieder fluchend den Kamm freikämpfen musste. Gerade nach der Haarwäsche, schimpfte Gungnir stets über die dämonischen Gene, die ihm seine Mutter vererbt hatte. Obwohl er damals seine Mutter abgöttisch verehrte, bekam er selbst heutzutage immer wieder eine Gänsehaut, wenn er an ihre Haare dachte. Seine Mutter war eine strebsame und fleißige Frau, die sogar mit ihren Haaren Schweres heben konnte. Sie war womöglich die Einzige, deren Haare Muskeln besaßen. Jedenfalls erzählte ihm sein Vater, dass sie bei ihrem ersten Rendezvous versucht hätte, ihn mit ihrem Haar zu erwürgen. Gungnir schüttelte sich, weil sein Vater ihm des Öfteren vorschwärmte, dass er, Gungnir, überhaupt keine Ahnung hätte, was seine Mutter alles mit ihren Haaren anstellen konnte. Und wieder lief es ihm bei diesem Gedanken, eiskalt den Rücken hinunter. Als er noch ein kleiner Bub war, ertappte er seine Eltern dabei, wie sie aufeinander lagen und grunzten. Neugierig fragte er, was sie da trieben. Sein Vater antwortete schroff, sie würden »Krötenwanderung« spielen. Diese Antwort ließ sich der kleine Steppke durch den Kopf gehen, wälzte einschlägige Literatur und musste feststellen, dass die Erwachsenen nicht immer die Wahrheit sagten. Daraufhin keimte in ihm die Idee, seine Eltern dafür zu bestrafen und sie umzubringen. Leider schlugen alle seine Attentatsversuche fehlt. Überhaupt grauste es Gungnir bei dem Gedanken, seine Eltern könnte jemals miteinander Sex gehabt haben. Aber so ergeht es wahrscheinlich allen Kindern.
Normalerweise züchtigte er seinen eigensinnigen Schopf brachial mit einem Haargel, das nach dem Auftragen hart wie Zement wurde. Ansonsten musste er davon ausgehen, wenn er sich einen Kugelschreiber hinter das Ohr steckte, dass er ihn entweder gar nicht, oder erst nach Tagen wieder fand, oder, was auch schon mal vorkam, dieser wie ein Speer auf umstehende Personen abgefeuert wurde. Das passierte ihm neulich bei einem Meeting, wobei ein Mitarbeiter beinahe ein Auge verlor. Doch diesmal musste er auf Haar bändigende Mittel verzichten, wenn er nicht einen klebrigen Klumpen unter dem Turban tragen wollte.
Gerade als er mit dem Wickeln seiner aufwändigen Kopfbedeckung fertig war, wurde diese, wie das Geschoss eines Katapults, von seinen Haaren wieder abgestoßen. Gungnir schnaubte verärgert. Seitdem es völlig aus der Mode gekommen war, Hüte zu tragen, gestaltete sich sein Leben wesentlich angenehmer. Damals verschliss er Dreispitze, Zylinder, Bowler und Fedoras, wie andere Servietten, oder Klopapier.
- Dumm formuliert, dieser Vergleich hinkt, bzw. stinkt. -
Selbst an windstillen Tagen sahen Passanten des Öfteren, einen hochgewachsenen Rotschopf hinter seinem Hut herjagen. Und das betraf nur die Friedenszeiten. Mit einem Helm auf dem Kopf, durfte er niemals bei den Spähern ganz vorn mit dabei sein, weil das Klappern des Helmes ihren Standort verraten hätte. Und wenn er einen Helm bei einer Schlacht trug, musste er zusätzlich mit einem auf und zu klappenden Visier kämpfen. Nein, er hatte es von jeher nicht leicht gehabt. Schon damals, als er noch ein Halbvampir war, wurde er von den Leuten geschnitten, weil weder seine Mutter, noch sein Vater in der Beliebtheitsskala des Volkes ganz oben standen. Und sich mit Lord Seraphims Familie einzulassen, befanden die meisten als ungesund und zu gefährlich. Somit fiel es dem gutmütigen Gungnir schwer, Freunde zu finden. Er beneidete andere, die wie selbstverständlich, eine Handvoll Spielgefährten ihr Eigen nennen konnten. Sein Vater behauptete, keine Freunde zu haben sei besser, als falsche, die einem ein Messer in den Rücken rammen. Zum Glück war Gungnir kein Einzelkind. Er hatte seinen Zwillingsbruder, mit dem er sich nicht nur von Anfang an das Fruchtwasser und den Mutterkuchen teilen musste, sondern auch die Eltern. Der Zwillingsbruder war zugleich sein bester Freund und Kumpel. Ihr Vater Ragnor rätselte oft, wer von beiden wohl der böse Zwilling sei, kam aber letztendlich zur Einsicht, dass beide böse und ungezogen waren.
Gungnir musste sich schon recht früh eingestehen, seinen Bruder Mjølnir (den alle seltsamerweise Wally nannten) heimlich zu beneiden. Dieser war hübscher und sehr viel talentierte als er selbst. Mjølnir war ein wahres Genie, was das Zeichnen, Malen und die Bildhauerkunst betraf. Weniger genial war dagegen dessen schlechtes Timing, vor allem dann, wenn sie etwas Schlimmes ausgefressen hatten. Während sich Gungnir schon auf der Flucht und hinter den sieben Bergen befand, bummelte sein Bruder noch immer als Corpus Delicti am Tatort herum. Malen oder Zeichnen konnte Gungnir leider nicht, doch damit punkten, alles zähmen und reiten zu können, was vier Beine besaß. Erst im mittel- bis spätpubertären Alter, kamen bei ihm weibliche Zweibeiner hinzu. Schon früh kristallisierte sich sein Talent als Pferdeflüsterer heraus. Ganz im Gegenteil zu seinem Vater, der eigentlich dafür bekannt war, gerne mal Pferde anzubrüllen und den Begriff »Pferdeboxen« als Tätigkeitswort zu verstehen.
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