Elena Landauer - Der Nihilist

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Wo landet man, wenn man sich von allem frei macht? Nach Elena Landauers Roman «Der Nihilist» am Ende in der Praxis einer Psychotherapeutin. Dort hockt der Held ihres Romans nach dem Selbstmord seiner Freundin und «versenkt sein Leben im Grab eines professionellen Zuhörers». Dabei endet das Leben Bertolds, so nennt sie ihren notorischen Selbstbefreiungskünstler, nach bürgerlichen Maßstäben durchaus erfolgreich in einer kleinen Villa in Hamburg. Dahin hat er es aus einem kleinen katholischen Dorf über die Stationen Lektorat, Journalismus und Schriftstellerei gebracht.
Was sein Leben bestimmt hat, war das Streben nach Freiheit. Er befreit sich von den Banden seiner religiösen Erziehung und den politischen Konventionen der Epoche, vor allem aber meidet er jede Bindung an eine Frau. Landauers Protagonist ist ein atheistischer Moralist, der seinen eigenen Weg im ideologischen Durcheinander der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sucht.

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Elena Landauer

Der Nihilist

Ein Bericht

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Inhaltsverzeichnis Titel Elena Landauer Der Nihilist Ein Bericht Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Elena Landauer Der Nihilist Ein Bericht Dieses ebook wurde erstellt bei

Vorwort Vorwort Im Frühjahr 2001 meldete sich in meiner Praxis ein 59jähriger Mann und fragte, ob ich Zeit für ihn hätte. Ich fragte zurück, was sein Anliegen sei. Er wolle reden, sagte er. Ich gab ihm einen Termin für ein Erstgespräch. Er erschien pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt. Er war ein groß gewachsener, sportlich schlanker Mann, der unter Berücksichtigung seines fortgeschrittenen Alters attraktiv aussah. Man konnte vermuten, dass er in jüngeren Jahren auf Frauen Eindruck gemacht hatte. Ich fragte ihn, wie ich ihm helfen könne. Er fragte zurück, ob ich bereit sei zuzuhören. Ich bin es gewohnt, dass meine Patienten mit ihrem Problem herausplatzen, mit ihrer Klaustrophobie, ihren Schwierigkeiten in der Partnerschaft, ihrer Entscheidungsunfähigkeit oder was auch immer. Sein entschiedener Wille, nichts dergleichen zu nennen, reizte mich. Ich wollte ihn ein wenig provozieren und sagte, ich wäre bereit, ihm zuzuhören, wenn er bereit wäre, gut zu zahlen. Das war für ihn kein Problem. Er sagte, er habe viel zu erzählen, er wolle sein Leben auskotzen und es im Grab eines professionellen Zuhörers versenken. Hilfe erwarte er nicht. Ich nahm ihn als Patienten an. Die Gespräche fanden einmal wöchentlich statt und zogen sich über ein halbes Jahr hin. Es herrschte durchweg eine entspannte Atmosphäre. Es waren eher freundschaftliche Unterhaltungen als Therapiesitzungen. Ich fragte ihn, ob ich ein Band mitlaufen lassen und mir Notizen machen dürfe. Er hatte keine Einwände. Gegen Ende unserer Begegnungen im Herbst 2001 fragte ich ihn, ob ich bei Veröffentlichungen auch auf seinen Fall Bezug nehmen könne, natürlich unter Abänderung der Namen und Örtlichkeiten. Er sagte, ich könne sein ganzes Leben veröffentlichen, wenn ich es für mitteilenswert hielte, allerdings erst posthum. Es sei ihm sogar ein Trost, in irgendeiner wissenschaftlichen Zeitschrift als Fall weiterexistieren zu können. Er, ich nenne ihn Bertold, starb im Sommer 2007 durch Selbstmord. Er schoss sich in die Schläfe. Obwohl aus seinem Abschiedsbrief das Motiv klar hervorging - bei Bertold war Alzheimer diagnostiziert worden -, stellte die Polizei doch Nachforschungen an und kam so auf mich. Bertolds Lebensgeschichte ist für mich ein Zeitdokument. Sie zeigt die Probleme von Menschen, die keine moralischen Normen außer den selbstgesetzten gelten lassen. Bei aller Sympathie für Bertold will ich sein Leben nicht glorifizieren noch will ich sein Verhalten verurteilen. Ich enthalte mich einer Wertung. Ich gebe nur möglichst genau wieder, was er mir erzählt hat, mit den Schwerpunkten, die er gesetzt, und mit den Wertungen, die er vorgenommen hat. Elena Landauer

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Impressum neobooks

Vorwort

Im Frühjahr 2001 meldete sich in meiner Praxis ein 59jähriger Mann und fragte, ob ich Zeit für ihn hätte. Ich fragte zurück, was sein Anliegen sei. Er wolle reden, sagte er. Ich gab ihm einen Termin für ein Erstgespräch.

Er erschien pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt. Er war ein groß gewachsener, sportlich schlanker Mann, der unter Berücksichtigung seines fortgeschrittenen Alters attraktiv aussah. Man konnte vermuten, dass er in jüngeren Jahren auf Frauen Eindruck gemacht hatte. Ich fragte ihn, wie ich ihm helfen könne. Er fragte zurück, ob ich bereit sei zuzuhören. Ich bin es gewohnt, dass meine Patienten mit ihrem Problem herausplatzen, mit ihrer Klaustrophobie, ihren Schwierigkeiten in der Partnerschaft, ihrer Entscheidungsunfähigkeit oder was auch immer. Sein entschiedener Wille, nichts dergleichen zu nennen, reizte mich. Ich wollte ihn ein wenig provozieren und sagte, ich wäre bereit, ihm zuzuhören, wenn er bereit wäre, gut zu zahlen. Das war für ihn kein Problem.

Er sagte, er habe viel zu erzählen, er wolle sein Leben auskotzen und es im Grab eines professionellen Zuhörers versenken. Hilfe erwarte er nicht. Ich nahm ihn als Patienten an. Die Gespräche fanden einmal wöchentlich statt und zogen sich über ein halbes Jahr hin. Es herrschte durchweg eine entspannte Atmosphäre. Es waren eher freundschaftliche Unterhaltungen als Therapiesitzungen.

Ich fragte ihn, ob ich ein Band mitlaufen lassen und mir Notizen machen dürfe. Er hatte keine Einwände. Gegen Ende unserer Begegnungen im Herbst 2001 fragte ich ihn, ob ich bei Veröffentlichungen auch auf seinen Fall Bezug nehmen könne, natürlich unter Abänderung der Namen und Örtlichkeiten. Er sagte, ich könne sein ganzes Leben veröffentlichen, wenn ich es für mitteilenswert hielte, allerdings erst posthum. Es sei ihm sogar ein Trost, in irgendeiner wissenschaftlichen Zeitschrift als Fall weiterexistieren zu können.

Er, ich nenne ihn Bertold, starb im Sommer 2007 durch Selbstmord. Er schoss sich in die Schläfe. Obwohl aus seinem Abschiedsbrief das Motiv klar hervorging - bei Bertold war Alzheimer diagnostiziert worden -, stellte die Polizei doch Nachforschungen an und kam so auf mich.

Bertolds Lebensgeschichte ist für mich ein Zeitdokument. Sie zeigt die Probleme von Menschen, die keine moralischen Normen außer den selbstgesetzten gelten lassen. Bei aller Sympathie für Bertold will ich sein Leben nicht glorifizieren noch will ich sein Verhalten verurteilen. Ich enthalte mich einer Wertung. Ich gebe nur möglichst genau wieder, was er mir erzählt hat, mit den Schwerpunkten, die er gesetzt, und mit den Wertungen, die er vorgenommen hat.

Elena Landauer

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„Ich bin Nihilist“, waren die ersten Worte Bertolds nach der Begrüßung. Er sage dies, begründete er, um mich zu warnen. Falls ich also Angst um meinen Seelenfrieden hätte, könne ich auch die Therapie verweigern. Ich sagte ihm, Nihilisten seien mir immer noch lieber als Mörder, und auch die säßen mir gelegentlich gegenüber. Nein, Mörder sei er nicht, beruhigte mich Bertold, jedenfalls nicht im juristischen Sinne. Er könne wortwörtlich sogar keiner Fliege was zuleide tun und öffne das Fenster, wenn eine vergeblich versuche durch die Scheibe ins Freie zu kommen. Um so weniger könne er einen Menschen leiden sehen, und wenn er Tierfilme anschaue, was er gerne tue, schalte er schnell um, wenn ein Raubtier sich über seine Beute hermache. Er sei also ausgesprochen sentimental, was wahrscheinlich ein kümmerliches Relikt seiner religiösen Erziehung sei.

Das aber bedeute nicht, dass er nicht doch alles für sinnlos halte. Immer wenn er höre, dass irgendetwas von ewigem Wert sei, sträubten sich ihm die Haare, egal ob es um Goethes Faust oder Mozarts Kleine Nachtmusik gehe, oder, was noch lächerlicher sei, um einen Geschwindigkeitsweltrekord, der doch einige Zeit später sowieso übertroffen werde, oder gar um ein Fußballtor, das manche Reporter sich nicht scheuten als ein Tor für die Ewigkeit zu bezeichnen, an das sich aber drei Monate später kaum noch jemand erinnern könne, und das alles, wo doch Astronomen inzwischen recht genau vorhersagen könnten, wann die Erde von der Sonne verschluckt und alles Leben vernichtet werde, sogar das der Insekten, woraufhin dann definitiv sich niemand mehr an ein schönes Tor und noch nicht einmal an Goethe und Mozart erinnern werde. Aber wahrscheinlich müsse man gar nicht so lange warten, bis die Sonne alles in heißer Glut verschlungen habe. Wahrscheinlicher sei, dass irgendein riesiger Meteorit, von dessen Existenz wir noch gar nichts wüssten, weil er Lichtjahre entfernt sei, sich mit an Lichtgeschwindigkeit grenzender Eile der Erde nähere und sie zertrümmere, oder dass ein Vulkanausbruch wie in der Vergangenheit die Erde in schwarze Wolken hülle, unter der alles Leben zugrunde gehe, mal abgesehen davon, dass die Menschen vielleicht vorher schon selbst die Erde unbewohnbar gemacht hätten. Es sei eben alles vergänglich und nichts ewig außer den Gesetzen der Mathematik, von denen aber niemand leben könne. Und selbst, wenn man den Blick nicht so weit schweifen lasse und nur ein paar Jahrzehnte ins Auge fasse, sei die Vergeblichkeit allen Bemühens unübersehbar. Da rackere sich einer sein Leben lang ab oder zeige Mut, Tapferkeit und Nächstenliebe; der Tod aber überantworte ihn trotzdem dem Vergessen. Da kümmerten sich Eltern liebevoll um ihre Kinder, die wenige Jahre später nur auf das Erbe schielten und sich gegenseitig mit Prozessen überzögen, und kaum habe eine schöne Frau die Blüte ihrer Jahre erreicht, zeigten sich schon die ersten Falten und wenige Jahre später schleppe sie sich als krumme Alte durch die Straßen, wenn sie sich nicht schon vorher umbringe.

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