Martin Cordemann - Börk

„Warum denn nicht? Glauben Sie, die Typen bei C.S.I. machen in der Wirklichkeit all das, was sie in der Fernsehserie machen?“

„Äh, eigentlich nicht.“

„Sehen Sie!“

Gruft und Leich bemühten sich, den Sarg aus dem Wagen zu bekommen. Doch aus irgendeinem Grund schien das nicht zu funktionieren.

„Und was hat sich bei den Vernehmungen ergeben?“

„Also“, Börk überflog die Akte, „laut den Verhören gibt es drei Verdächtige. Alle haben zur Tatzeit kein Alibi, alle wurden sie in der Nähe des Hauses gesehen, alle hätten sie ein Motiv.“

„Schieß los.“

„Da ist die Ex-Freundin. Sie sagt: ‚Ja, ich habe mich von diesem Arschloch getrennt, aber ich habe ihn nicht umgebracht. Auch wenn ich das gerne gewollt hätte.’“ Er unterbrach sich und sah Schnippler an. „Das ist n bisschen farbenfroh geschrieben, finden Sie nicht. Sehr lebendig.“

„Hey, wollen Sie die Verhörszenen mit Laiendarstellern nachgespielt haben oder was?“

„Okay, was tut man nicht alles, um Kosten zu sparen. Also weiter im Text. Sie sagt ferner: ‚Und sicher habe ich ihn nicht umgebracht, weil ich eifersüchtig auf seine Sammlung bin.’“

„Ach Mist!“

„‚Ich bin selbst Sammlerin. Nein, dieser Arsch...’“

„Ziemlich harte Formulierung, wenn man bedenkt, dass er tot ist.“

„‚...hat mich mit ner anderen betrogen, mit ner FRAU! Irgendsoner Schlampe, die er auf einer Comic-Convention kennen gelernt hat. Auf derselben, auf der wir uns auch kennen gelernt haben.’“

„Was sammelt sie?“

Börk blätterte.

„Anime. Also diese asiatischen Comics.“

„Ja, das passt. Wen haben wir noch?“

Gruft hatte einen Einfall… aber keinen guten. Das Problem blieb, genauso wie der Sarg.

„Als nächstes haben wir Verdächtigen Nummer 2, ebenfalls Comicsammler“, fuhr Börk fort. „Hat die zweitgrößte Comic-Sammlung Deutschlands.“

„Warum sind die alle noch mal verdächtig?“

„Kein Alibi, Fingerabdrücke am Tatort, die Liste ist endlos“, sagte Schnippler.

„Ja? Was denn noch?“

„Äh, kein Alibi und Fingerabdrücke am Tatort!“

„Oh.“

„Ach ja, und Zeugen sagen, sie hätten sich in letzter Zeit mit dem Opfer gestritten.“

„Okay, mach weiter.“

„Gut. Der Sammler sagt: ‚Artur war ein guter Freund von mir. Ich habe ihn nicht getötet. Gut, wir hatten Differenzen wegen Comic-Heften...’“

„Da steht wirklich Differenzen?“ Müller war überrascht. „Ich meine, wer sagt denn Differenzen? Schon gut, lies weiter.“

„‚...und natürlich war ich ein wenig neidisch auf seine Sammlung, aber, hey, ich bin Comic-Freak, das heißt, ich kenn mich mit Comics aus...’“

„Der haut aber ganz schön auf die Kacke!“

„‚...also wenn ich jemanden umbringen wollte, gerade jemanden wie Artur, dann würde ich da doch ein Zeichen setzen wollen, gerade WENN man jemanden aus der Comic-Szene mit einem Comic umbringt...’“

„Jetzt komm mal endlich zur Sache, Kerl!“ meinte Müller genervt.

„‚...und dann würde ich dafür doch etwas wirklich Symbolisches nehmen und nicht den billigen Nachdruck einer Spider-Man Ausgabe, oder?’“

„LANGWEILIG!“

„‚Einen echten Comic-Experten tötet man mit Wolverine, oder einer Batman-Ausgabe mit dem Joker, auf jeden Fall mit irgendetwas, wo ein cooler Bösewicht auf dem Cover zu sehen ist. Alles andere macht keinen Sinn!’“

„War’s das endlich?“

„Ja.“

„Ein Glück. Und nun beim Vorsprechen für die Besetzung des Täters im Fall des ermordeten Comic-Helden: Kandidat Nummer 3!“

Endlich hatten Gruft und Leich es geschafft, den Sarg aus dem Auto zu bekommen. Als sie ihn zum Eingang brachten, hielt ein Abschleppwagen neben dem Leichenwagen.

„Tja, und dann ist da noch der Hausmeister: ‚Dieser ständige Krach ist mir auf die Nerven gegangen. Nie war da Ruhe im Haus. Ein Lärm, mitten in der Nacht. Mit solchen Mietern kann man nicht zusammenleben. Wenn der wenigstens ein vernünftiges Hobby gehabt hätte, aber nein, es musste ja etwas sein, das die ganze Nachbarschaft gestört hat!’“

„Wieso stört Comics sammeln die ganze Nachbarschaft?“

„‚Er musste ja Schlagzeug spielen!’“

Börk wirkte verwirrt. Müller auch.

„Er hat Comics gesammelt UND Schlagzeug gespielt? Interessante Kombination.“

„Oh, da ist wohl was durcheinander gekommen. Das ist von einem anderen Fall“, spekulierte Schnippler.

Börk nickte. „Stimmt. Hier haben wir es ja. Verdächtiger Nummer 3: Der Ex-Freund seiner neuen Freundin!“

„Na, da kommt Stimmung auf. Was sammelt der?“

„Messer.“

„Das ist cool! Schade, dass er nicht erstochen wurde, da hätten wir direkt eine Spur.“

„Die haben wir auch so. Sieht nämlich ganz so aus, als wäre unser Freund nicht gerade in bester Stimmung gewesen, als er verhört wurde.“

„Das kann ich nur bestätigen“, konnte Dr. Schnippler nur bestätigen. „Ich habe selten jemanden in unflätigerer Art und Weise sprechen hören. Außer Sie, Börk.“

„Danke! Was hat er so gesagt?“

„Sie haben doch die Mitschrift.“

„Stimmt.“ Börk lächelte. „‚So jemandem gehört ein Comic in den Hals gestopft! Was für ein mieser, dreckiger Sack! Hat mir die Freundin ausgespannt. Hat gesagt, was er für ne tolle, große Comic-Sammlung hat und ob sie die nicht mal sehen wollte. So was klappt bei Frauen immer.’“

„Oh, wer hätte das gedacht?“

„‚Und dann er sie ihr gezeigt. Seine Comics. Und bestimmt noch was ganz anderes. In den Hals stopfen sollte man ihm seine blöden Hefte, bis er daran erstickt, die Sau!’ Hmm, dann hat man ihn offenbar darauf hingewiesen, dass genau das bereits geschehen ist. Es geht weiter mit: ‚Hey, cool.’ Pause. ‚Moment.’ Pause. ‚Soll das etwa heißen, ich bin verdächtig?’ Dann hat man ihn über seine Rechte aufgeklärt. Und er hat gesagt: ‚Ich hab ihm nur gedroht. Mit meinem Messer. Aber ich hab ihn doch nicht umgebracht!’ Pause. ‚Ich sage nichts ohne meinen Anwalt.’“

„Die Leute kucken zu viel Fernsehen“, meinte Müller. „Ich sage nichts ohne meinen Anwalt. Ich habe einen Anruf frei. Ich habe das Recht zu schweigen. Alles aus amerikanischen Serien. Alles Blödsinn. Das gilt doch nur in Amerika, in Deutschland läuft das doch alles ganz anders.“ Er sah die beiden fragend an. „Oder?“

Der Leichenwagen wurde abgeschleppt.

„Tja, das war also die TOP 3 der Verdächtigen.“

„Und?“ fragte Schnippler. „Wer war es?“

„War es bestimmt einer von denen?“

„Es gibt nichts, was auf etwas anderes hindeutet. Keine Spuren, keine Zeugen, nichts. Es muss einer von diesen dreien gewesen sein.“

„Hm, ich weiß nicht. Im Moment steh ich noch zu dicht vor der Wand, um das Gesamtbild zu sehen. Aber... irgendwie hab ich das Gefühl, da stimmt was nicht.“ Börk hob die Schultern. „Ich muss darüber nachdenken.“

Müller sprang auf.

„Verdammt!“

„Was?“

„Das hab ich völlig übersehen. Oh Mann, wie konnte ich nur?“

„Haben Sie die Lösung?“

„Ich Idiot! Ich IDIOT!“

„Beruhige dich!“ meinte Börk.

„Aber... warum ist mir das nicht früher eingefallen?“

Börk und Schnippler sahen Müller erwartungsvoll an.

„Die ganze Zeit hab ich gedacht: Mann da ist doch was. An irgendwas denkst du nicht. Irgendwas Wichtiges hast du vergessen.“

„Ja?“

Müller sah die beiden an.

„Die Parkuhr! Ich hab vergessen, die Parkuhr zu füttern!“

Einen kleinen Moment, nachdem der Leichenwagen um die nächste Ecke verschwunden war, kamen Leich und Gruft aus dem Gebäude. Sie sahen sich suchend nach ihrem Wagen um.

Börk und Müller eilten an ihnen vorbei.