Stop and Go... and Stop!
„Und wir haben noch nicht mal gefrühstückt!“ maulte Müller.
„Ja. Normalerweise würde mich das ja echt fuchsig machen. Aber so...“
Er stieg aus und ging gemächlich zu einer Imbissbude auf dem Bürgersteig. Ein paar Meter vor sich sah er im Stau Friedhelm in seinem Wagen sitzen, der sehr nervös wirkte. Börk dachte einen Moment nach, zuckt dann aber die Schultern und ging lieber zur Imbissbude.
Der Verkehr ging sehr stockend weiter…
…und kam wieder zum Stillstand.
Börk schleppte eine Tüte mit Hähnchen, Hamburger und ein paar Dosen Cola. Er blieb auf dem Bürgersteig stehen, bis sich die Wagenkolonne wieder ein Stück vorwärts bewegte. Müllers Wagen blieb direkt vor ihm stehen. Börk öffnete die Beifahrertür und reichte Müller die Tüte.
„Du hättest ihn locker kriegen können.“
„Ja“, stimmte Börk zu, „aber was hätte das gebracht?“
„Auch wieder wahr.“
Nachdem sie gegessen hatten, wurde auch der Verkehr wieder etwas flüssiger.
„Sag mal“, meinte Börk mit vollem Mund, „fragst du dich bei diesen Staus auch immer, warum die eigentlich entstehen?“
„Nee, das hab ich mir abgewöhnt.“
Müller versuchte, gleichzeitig zu simsen, zu trinken, zu essen und zu fahren.
„Kann ich dir vielleicht irgendwas abnehmen?“
„Klar, danke!“
Müller aß, trank und simste, während Börk das Steuer hielt und lenkte.
„Hmmm, lecker!“
„Ja“, meinte Börk. „Ich hoffe nur, er fährt nicht auf die Autobahn... oder auf irgendeine Serpentinenstrecke!“
Er tat ihnen diesen Gefallen. Stattdessen bog er ab und fuhr hinunter zum Rhein.
„Meinst du, er will sich nen schönen Tag am Rhein machen?“ fragte Müller, der inzwischen aufgegessen hatte und wieder selbst fuhr.
Börk, der Mousse au chocolat aus einem kleinen Becher löffelte, hob die Schultern.
„Wohl eher nicht. An einem so schönen Tag würd ich zum Rhein runterfahren, um... Beweise zu vernichten!“
Die beiden sahen sich an.
„Jaaaa! Genau! Und weißt du was?“
„Nö!“
„Ich nehm noch so einen!“
Börk reichte ihm einen Becher.
Friedhelm parkte irgendwo in der Nähe des Rheins. Er stieg aus und ging zum Kofferraum.
„Na, jetzt wird’s aber spannend“, meinte Börk. „Ist es eine Leiche? Entsorgt er illegal Sperrmüll? Was wird es sein? Die Spannung steigt.“
Friedhelm öffnete den Kofferraum.
„Was, wenn er den ganzen Kofferraum voller Rauschgift hat?“ wollte Müller wissen.
Friedhelm sah sich genau an, was er im Kofferraum hatte.
„Was will er dann hier damit? Die Fische süchtig machen?“
„Im Rhein gibt’s noch Fische?“
Friedhelm schüttelte traurig den Kopf.
„Keine Ahnung!“
Friedhelm setzte sich auf die Stoßstange. Er wirkte ziemlich verzweifelt.
„Na komm, jetzt nicht schlappmachen. Zeig uns, was du hast!“
Friedhelm stand auf. Er hatte einen Entschluss gefasst.
„Aaaaaachtung!“
Friedhelm langte in den Kofferraum und holte einen Beutel mit einem weißen Pulver hervor. Er sah ihn sich kurz an und warf ihn dann über die Brüstung in den Rhein.
„Okay, das reicht!“
Müller drückte aufs Gas und brachte den Wagen mit quietschenden Reifen direkt vor Friedhelm zum Stehen. Der war davon völlig überrumpelt.
Müller und Börk sprangen aus dem Wagen, die Dienstausweise im Anschlag.
„Was soll n das werden?“
Kurz darauf erzählte er es ihnen. Er trug Handschellen, saß auf dem Beifahrersitz seines Wagens, die Füße nach draußen, und machte einen ziemlich geknickten Eindruck. Börk und Müller lehnten sich an seinen Wagen und lauschten seiner Erzählung.
„Ich... ich wollte kein Umweltvergehen begehen, wirklich nicht. Aber... ich bin am Ende. Ehrlich. Ich... ich bin Börsenmakler... aber ich hab völlig versagt. Ich bin pleite, meine Kunden sind pleite... die wissen das nur noch nicht. Ich hab das ganze Geld völlig falsch angelegt... ich hab noch versucht, meine Kontakte zu nutzen, aber meine Geschäftsfreunde haben mich alle im Stich gelassen.“
„Kommt jetzt der Teil, wo Sie angefangen haben, Drogen zu verkaufen, um Ihre Verluste wieder wettzumachen?“ fragte Börk.
Friedhelm sah ihn überrascht an.
„Drogen?“
„Hmmmmmmja!“ meinte Müller
Der Kofferraum seines Wagens war voller Beutel mit weißem Pulver.
„Oh nein, viel schlimmer.“
Börk und Müller sahen sich an.
„Ich... ich dachte, ich hab noch eine Möglichkeit. Seit Monaten versucht irgendjemand die großen Supermarktketten zu erpressen, indem er Frischmilch vergiftet.“
„Ja, das stimmt.“
„Also hab ich alles, was ich noch an Kohle hatte zusammengekratzt und alles an Trockenmilch aufgekauft, was ich bekommen konnte.“
„Kein schlechter Plan. Und was ist dann passiert? Haben die den Erpresser geschnappt?“
Friedhelm schüttelte den Kopf.
„Nein. Aber... ich hab das Milchpulver im falschen Land gekauft.“
„Lassen Sie mich raten: Japan?“
Friedhelm nickte.
„Genau! Fokushima. Die waren froh, es los zu werden, ich dachte noch, ich mache einen riesen Gewinn, bei dem Preis.“ Er schluchzte. „Stattdessen hab ich mein letztes Geld in radioaktives Milchpulver investiert! Ich hab alles verloren.“
Er schüttelte den Kopf.
„Und bevor ich Ärger kriege, weil ich radioaktives Milchpulver lagere, wollte ich das Zeug lieber loswerden... und dann für immer von hier verschwinden!“
„Mit anderen Worten: Sie haben es Ihrer Frau noch nicht gesagt?!“
Friedhelm schüttelte wieder den Kopf.
„Tjaaaaaaaa, dann würd ich sagen, machen wir das doch jetzt einfach mal!“
„Was?“
„Sie werden nicht glauben, wie viel besser Sie sich danach fühlen werden!“
Müller nahm Friedhelm bei der Hand und führte ihn hinüber zum Wagen. Börk schloss die Beifahrertür und folgte den beiden.
„Wobei eigentlich kaum ins Gewicht fällt, dass sie eines der besten Fischrestaurants der Stadt leitet – und wir jetzt Mittagszeit haben!“
Er lächelte.
Der Einparker, vor dem Müller den Wagen hielt, lächelte nicht. Börk klappte den Vordersitz vor, um Friedhelm aussteigen zu lassen, was mit den Handschellen eine komplizierte und langwierige Prozedur wurde.
„Muss ich denn die Handschellen tragen?“
„Da ist immer noch Umweltverschmutzung mit radioaktivem Milchpulver!“
„Ach ja!“ gestand er geknickt ein.
Müller reichte dem Einparker die Wagenschlüssel.
„Und wehe, ich find einen Kratzer!“
Der Einparker sah sich den Wagen an: er war vollerKratzer!
Als die drei das Restaurant betraten, war der Oberkellner von ihrem Erscheinungsbild nicht gerade begeistert. Er rümpfte die Nase und wandte sich den „Gästen“ zu. Da Friedhelm sich wegen der Handschellen hinter den beiden hielt, sah er ihn zunächst nicht.
„Ja?“ fragte er, ohne seine Blasiertheit im Mindesten zu verstecken.
„Ja was?“ fragte Börk zurück. „Ja, guten Tag? Ja, ich freue mich Sie hier begrüßen zu dürfen? Arbeiten Sie mal n bisschen an Ihren Umgangsformen!“
„Ich nehme an, die Herren haben reserviert.“
„Na, da kommen wir der Sache doch schon mal näher.“
„Sie haben also reserviert?“
„Nein!“
„Ich fürchte, dann kann ich leider nichts für Sie tun!“ Er klappte das Reservierungsbuch zu, als wäre das das Ende ihrer Unterhaltung. Dann erkannte er Friedhelm. „Oh, Sie. Gehören diese ‚Herren’ zu Ihnen?“
„Äh, ja, die Herren sind mit mir hier.“
„Das tut mir aufrichtig leid.“
Er ließ die drei passieren und seufzte.
„Also Ihre Frau leitet diesen Laden?“ wollte Müller, nicht ohne einen gewissen Respekt, wissen.
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