Ich würde Volker beweisen, dass ich diesen Party-Test mit Bravour bestehen konnte! Ich musste jetzt nur schnell mit irgendjemandem ins Gespräch kommen, damit jeder sehen konnte, wie souverän ich war und wie einfach mir das alles fiel. Verdammt, warum war gerade das immer am Schwierigsten?
Wie sollte ich das anstellen? Irgendwelche Leute anquatschen? Wenn ich hinter einem Interview her war, konnte ich mit jedem ein Gespräch anfangen – vom Konzernchef bis zur Bundeskanzlerin. Aber Party-Smalltalk gehörte nicht gerade zu meinen Stärken.
Ich umklammerte entschlossen das leere Sektglas, ging mutig ein paar Schritte auf die Raummitte zu und versuchte, wichtig auszusehen. Aber irgendetwas ließ mich schon wieder innehalten. Diesmal war es irgendwie … gruselig.
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Aus dem Augenwinkel hatte ich etwas gesehen. Etwas Schönes, Beruhigendes, Vertrautes und doch etwas, was mich in meinen Grundfesten erschütterte. Mein Gehirn versuchte noch, die Information auszuwerten, während sich mein Kopf bereits drehte und nach der Ursache für mein plötzliches Unwohlgefühl suchte.
Als ich den Grund entdeckte, musste ich fast über mich selbst lachen.
Super, Becca, ganz toll.
Der Mann an der Bar, der für mein Magenkribbeln verantwortlich war, war definitiv ein Bekannter. Allerdings kein Bekannter von mir, sondern ein bekannter Fernsehstar: Marc Feldmann, der beliebteste Moderator des Landes.
Einmal im Monat sorgte seine Quizshow dafür, dass sich am Samstagabend ein Millionenpublikum vor dem Bildschirm einfand. Auch ansonsten tummelte er sich in verschiedenen Formaten der Fernsehlandschaft – von der jährlichen Quizshow für Kids im Januar bis zum obligatorischen Jahresrückblick im Dezember. Im Moment hatte seine Rate-Sendung Sommerpause – aber der Auftakt zur neuen Staffel im Herbst würde sicher wieder die Einschaltquoten einer Helene-Fischer-Weihnachstshow knacken.
Dieser Abend geriet immer weiter außer Kontrolle. Ich benahm mich also nicht nur, als hätte ich mich hier eingeschlichen, ich schmachtete auch noch die anwesenden Promis an. Die vollen zehn Punkte für peinliches Verhalten waren mir sicher.
Ich musterte Mister Supermoderator. Da stand er und sah genauso aus wie im Fernsehen: dunkelhaarig, groß und breitschultrig. Der verbesserte Günther Jauch - ebenfalls ein Traum jeder Schwiegermutter, aber nicht so selbstherrlich. Der Moderator, der sich selbst dumm stellte, damit seine Gäste sich besser fühlten. Er hielt den Kopf leicht abgewandt, so dass ich ihn ganz in Ruhe betrachten konnte. Sein Anzug war schwarz, das Hemd darunter grau, der oberste Knopf leger geöffnet. Seine dunkelbraunen Haare wirkten ein wenig verstrubbelt, aber das machte ihn nur noch hübscher. Er war zu Recht ein absoluter Frauenschwarm. Meine vierzehnjährige Nichte Juli war regelrecht besessen von dem Moderator, auch wenn er mit Mitte dreißig viel zu alt für einen Teenie-Schwarm war. Bei meinem letzten Besuch bei Juli hatte ich gesehen, dass an ihrer Zimmerwand zwischen glitzernden Vampiren und Avril Lavigne jetzt auch ein Marc-Feldmann-Poster klebte.
Oh Gott, ich starrte ihn immer noch an wie ein liebeskranker Teenager. Das musste an diesem bescheuerten Outfit liegen. Seit ich mich so verkleidet hatte, lief alles aus dem Ruder. Ich musste aus diesem Kleid raus. Dieser Gedanke mischte sich mit dem Anblick von Marc Feldmann und führte zu einer Reihe nicht jugendfreier Bilder, die sich unkontrolliert vor meinem inneren Auge ausbreiteten. Ich schnappte nach Luft, konnte aber trotzdem nicht den Blick von ihm abwenden.
So ein Mist, jetzt hatte er mein Starren bemerkt. Kein Wunder, er stand keine fünf Meter von mir entfernt. Er wandte sich mir zu und hob grinsend sein Glas, während er mir zunickte. War das … Mitleid in seinen Augen? Erst die Kellnerin, jetzt er.
Ich musste wirklich einen komplett armseligen Eindruck machen.
Hastig riss ich meinen Blick von ihm los und – es gab doch einen Gott! - endlich, endlich kam ein Kollege auf mich zu. Und nicht nur irgendeiner. Tom, Sportchef und mein väterlicher Mentor hier im Sender, schlenderte vom Innenhof durch die offene Tür herein. Natürlich hatte er sich Volkers Dresscode widersetzt und trug wie immer eines seiner karierten Hemden. Er war eine Legende im Sport, seit über dreißig Jahren im Fernsehgeschäft und konnte sich eine Extrawurst locker leisten.
Vor Freude wäre ich ihm fast um den Hals gefallen, aber es wurde höchste Zeit, dass ich mich langsam wieder in die Becca Martens verwandelte, die hier arbeitete. Also setzte ich ein gleichgültiges Gesicht auf und ging auf ihn zu. »Hi, Tom.«
»Becca, schön dich zu sehen«, rief er mir zu und schlug mir auf die Schulter. »Das ist ja wirklich grauenvoll hier dieses Jahr. Komm, holen wir uns erst mal ein Bier. Mir ist schon ganz schlecht von diesem Zeug.« Er zeigte angewidert auf sein Sektglas und schob mich in Richtung Bar.
Dann sah er feixend auf mein schickes Kleid und hob eine Augenbraue. »So, so, du trägst also Versace«, sagte er dann mit einem süffisanten Lächeln.
Einen Designernamen aus dem Mund dieses bereits ergrauten Zwei-Meter-Kerls zu hören, verschlug mir für einen Moment fast die Sprache. »Lass bloß nicht die anderen Jungs vom Sport hören, dass du dich bei Abendkleidern auskennst«, sagte ich schließlich. »Und das hier kann ich mir eigentlich gar nicht leisten. Jetzt werde ich jeden Morgen wieder Müsli mit Wasser essen müssen.« Kurz erinnerte ich mich an meine Studienzeit zurückerinnert, wo es tatsächlich das ein oder andere Mal vorkam.
Er hob seine Hand und ich befürchtete schon, dass er mir wieder so hart auf die Schulter schlagen würde. Aber stattdessen spürte ich nur einen kurzen Ruck an meinem Träger.
»Wer liest, hat mehr vom Leben«, sagte Tom trocken und hielt mir ein kleines Schildchen mit dem Designer-Logo vors Gesicht, dass ich offensichtlich übersehen hatte.
Jetzt war wohl endgültig der passende Moment gekommen, um im Erdboden zu versinken. Aber wie immer, wenn man eine Erdspalte brauchte, war grade keine zu finden. Ich seufzte und entschloss mich, meinen komplett misslungenen Auftritt mit etwas mehr Humor zu sehen.
»Du hast was gut bei mir, Kollege«, sagte ich und schlug nun meinerseits auf Toms Schulter. »Darf ich dich vielleicht als Dankeschön zu einem weiteren kostenlosen Bier einladen?«
Er wiegte den Kopf. »Normalerweise ein Angebot, das ich nicht ablehnen würde.« Er blickte hinter mich und grinste ein wenig diabolisch. »Aber ich möchte nicht dabei sein, wenn der Chef dir seine Neuigkeiten mitteilt.«
Ich drehte den Kopf und sah, dass jetzt auch Volker aufgetaucht war und auf uns zusteuerte. Immerhin hatte er mich nicht alleine am Eingang stehen sehen. »Was für Neuigkeiten?«, zischte ich Tom zu. »Schnell, sag.«
Er lachte wieder. »Nein, ich beobachte deinen Wutanfall lieber aus sicherer Entfernung. Ich habe ein empfindliches Trommelfell.«
»Sicher, deshalb arbeitest du ja auch zur Hälfte an der Rennstrecke und zur anderen in Fußballstadien«, antwortete ich kopfschüttelnd. »Raus mit der Sprache!«
»Ich sag nur so viel - es gibt Neuigkeiten in Sachen ' Anchorman '.« Volker suchte schon seit einer ganzen Weile einen neuen Moderator für die Abendnachrichten. Ich spürte freudige Aufregung. Ob er sich einen renommierten Nachrichtenmann von der Konkurrenz eingekauft hatte? Zumindest die Gerüchteküche hatte diesmal nicht gebrodelt, sodass es auch für mich ein Geheimnis war, wer die Stelle denn nun endlich bekommen mochte.
Tom beobachtete meine Gesichtszüge und sah immer noch amüsiert aus. »Ich verschwinde lieber.« Dann drehte er sich um und schlenderte wieder Richtung Innenhof.
»Hey«, rief ich ihm hinterher, aber er hob nur die Hand zum Gruß. Schon tippte mir Volker auf die Schulter. Immerhin hing da jetzt nicht mehr das Marken-Schildchen.
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