Dieser wurde noch etwas nervöser, als er antwortete, »Das weiss ich nicht. Mir wurde vom Gehilfen des Meisters Mondschein nur aufgetragen, Euch dies zu bestellen.
»Danke«, antwortet der Prinz knapp und ging weiter. Dann war sein Rittermeister bei Meister Mondschein gewesen und beide von Winfried unterrichtet worden, was sie vormittags gesprochen hatten. Nach einigen Schritten blieb er jedoch wieder stehen und grübelte kurz.
Es würde jetzt wohl keinen Sinn machen, mit seinem Vater sprechen zu wollen. Er sollte lieber abwarten, was Meister Mondschein von ihm wollte. Auch weiter nach Winfried oder dem Rittermeister zu suchen war vielleicht nicht das richtige. Und selbst wenn er sie finden würde, würden sie ihm wohl kein weiteres Wort sagen, solange er nicht bei Meister Mondschein gewesen wäre.
Also beschloss er, sein Zimmer aufzusuchen und nicht weiter im Schloss oder Schlosshof umher zu gehen. Gerade seiner Schwester wollte er nicht begegnen, um nicht von ihren neugierigen Fragen gelöchert werden zu können. Wer weiss, was sie schon wieder zu erahnen meinen würde, wenn sie ihn so nachdenklich sehen würde. Ihre Gedanken würde er nie verstehen.
Noch gute eineinhalb Stunden, stellte er fest, als er sein Zimmer im Schloss betrat. Diese Zeit wollte er nutzen, seine Gedanken zu sammeln und sich auf das Gespräch vorzubereiten, seine Aufregung in den Griff zu bekommen.
Doch egal was er machte, er kam aus dem Grübeln nicht raus. Das Geheimnis dieser Legende würde er alleine nicht lüften können, hoffte nur, dass er von Meister Mondschein nicht aus anderem Grunde bestellt wurde.
Hätte es mit seiner Ritterweihe zu tun haben können? Möglich, doch warum dann so kurzfristig und geheimnisvoll. Und über die Legende sollte ja jeder Ritter erfahren.
Hätte es mit seinem 18. Geburtstag und den Pflichten, die danach auf ihn warten könnten, zu tun? Mit der Thronfolge vielleicht, die irgendwann auf ihn warten würde? Doch auch dann und insbesondere dann müsste er von der Legende wissen und von all dem, was sie für ihn und das Land bedeuten würde.
Die Thronfolge, da kamen wieder alte Gedanken in Erinnerung, die er so oft schon durchdacht hatte. Wer nun Erstgeborener war, Isolda oder er, das wusste man nicht. Zwillinge waren sie und hatten natürlich auch am gleichen Tag Geburtstag. Ihr Vater war bei der Geburt nicht dabei gewesen, ihre Mutter hatte die Geburt nicht überlebt und die Hebamme, die als einzige noch mit bei der Geburt dabei war und es als einzige wissen könnte, hatte das Schloss schon vor so langer Zeit verlassen, dass niemand mehr wusste, ob sie noch lebte und falls ja, wo. So hatte es der Vater einmal vor vielen Jahren erzählt, als er ihn danach gefragt hatte, als kleiner Junge, als er sich das erste Mal mit seiner Schwester gestritten hatte, wer denn nun älter war. Der Vater hatte die kindliche Streitigkeit mit einem Machtwort beendet. Und auch als er ein paar Tage später den Vater noch einmal in Ruhe gefragt hatte, war die Antwort unmissverständlich, dass über dieses Thema nie wieder gesprochen werden sollte, so dass er es auch seitdem nicht mehr gewagt hatte, anzusprechen. Eile war hier eh nicht geboten, denn ihr Vater erfreute sich bester Gesundheit und würde noch lange regieren.
Grundsätzlich verstand er sich mit seiner Schwester, auch wenn er ihren Lebenswandel genauso wenig nachvollziehen und wirklich für gut heissen wollte, wie sie seinen. Wirklichen Streit hatten sie beide seit Jahren nicht mehr gehabt, doch wirklich viel gemeinsam machten sie auch nicht. Sie akzeptierten dies und gingen jeder seinen Weg, auch wenn sie natürlich bei ihrem Vater gemeinsam im Schloss wohnten und sich täglich mindestens bei den Mahlzeiten sahen.
Nervös blickte er auf die Uhr im Zimmer, doch die Zeit war gerade einmal etwa zur Hälfte vergangen. So wandte er sich zum Fenster und liess seinen Blick wieder über die Mauern des Schlossgartens und das Land dahinter wandern, wie zuvor schon auf dem Turm, auf dem er jetzt lieber stehen würde. Er sah Ritter draussen zu Pferde mit Langlanzen üben, was er noch viel lieber tun würde als, fast wie ein Gefangener, in seinem Zimmer abzuwarten, dass die Zeit verging.
Nicht viel später eilte der junge Prinz mit stürmischem Schritt durchs Schloss, aus dem Trakt der privaten Gemächer durch die grosse Empfangshalle in den Trakt der Bediensteten, dort hinauf in das oberste Geschoss und war natürlich einige Minuten zu früh vor der Tür des königlichen Gelehrten angekommen.
Doch bevor er noch überlegen konnte, ob er vor der Tür warten oder anklopfen solle, wurde die Tür geöffnet und sein Rittermeister stand vor ihm.
Erstaunt blickte der Prinz ihn an, denn mit ihm hatte er nicht gerechnet, bevor er sich nach zwei drei Sekunden wieder gefasst hatte und sich vor ihm eilig leicht verbeugte, wie es sich gehörte.
»Leonhard, kommt herein«, sprach der Rittermeister aber direkt, ohne sich mit Höflichkeitsfloskeln oder Etikette aufzuhalten. Und so folgte der Prinz ihm hinein in die Räume des Meisters Mondschein. Verwirrt war er weiterhin und sogar jetzt noch ein wenig mehr.
Durch den kleinen Vorraum folgte er durch eine der drei Türen in das Studienzimmer, das er gut aus so einigen Stunden des Zuhörens, Forschens und Lernens kannte. Das Zimmer war zwar nicht übermässig gross, mass etwa vier auf fünf Schritt, war jedoch zu zwei Seiten mit Bücherregalen versehen, die nahezu bis zur Decke gefüllt waren mit den unterschiedlichsten Büchern, wissenschaftlichen wie geistlichen, Atlanten und grossen Folianten, Karten und Zeichnungen von Flora und Fauna, Tieren und Medizin und noch vielem mehr. Der Schreibtisch, der am anderen Ende des Raumes vor einem der beiden Fenster stand, war wie gewöhnlich so voll gepackt, dass er kaum zu erkennen war.
Daneben stand der grosse Globus mit all den bunten Ländern, Gebirgen und Ozeanen, den er als kleines Kind schon so bewundert hatte. Doch diesmal schenkte er ihm kaum Aufmerksamkeit, sondern nur der inzwischen alten und schon leicht gebrechlich wirkenden Person, mit dem inzwischen weissgrauen Haaren und einem passend dazu gepflegten etwa eine Hand langem Bart.
Meister Mondschein stand in seiner dunkelblauen Robe am Schreibtisch und war in ein Dokument vor sich vertieft, als sie den Raum betraten.
Doch bevor Leonhard etwas hätte sagen können, drehte sich Meister Mondschein zu ihm um und ein leichtes freudiges Lächeln hellte sein sonst sorgenvoll aussehendes Gesicht auf.
»Leonhard, mein Prinz«, sprach er mit warmer Stimme, »danke, dass Ihr gekommen seid.«
»Ihr hattet nach mir gewünscht, Meister Mondschein«, antwortete er, mit leiser und vorsichtiger Stimme.
»Ja ja, so nehmt Platz«, sprach Meister Mondschein, als hätte er die Unsicherheit in der Stimme des Prinzen gar nicht registriert und deutete auf einen der beiden Lesesessel, die im Raum standen.
Leonhard nahm Platz, jedoch nicht wie sonst üblich bequem in die Tiefen des Sessels gedrückt, um es sich mit einem der Bücher bequem zu machen, sondern steif und aufrecht am vorderen Rand der Sitzfläche. Meister Mondschein setzte sich langsam und auf Grund seines Alters bedacht in den zweiten Sessel, während der Rittermeister ihnen gegenüber vor dem Bücherregal stehen blieb, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und abwartend, was nun kam.
Ein ungleiches Bild gaben die drei Personen ab, Meister Mondschein in der ordentlichen dunkelblauen Robe eines Gelehrten, der Rittermeister im Waffenrock mit dem grossen königlichen Wappen auf der Brust und sein Schwert gegürtet sowie der Prinz in höfischer Alltagskleidung.
Nach einem unendlich erscheinenden Moment der Stille begann Meister Mondschein: »Nun, mein Prinz. An sich ist es zu früh, um miteinander zu sprechen. Doch nachdem ich mir sicher bin, nachdem ich es mehrfach überprüft habe, dass die Sterne in einer Konstellation stehen, die ich nicht ganz deuten kann, haben Meister Wilhelm«, dabei deutete er mit einer kurzen Pause auf den Rittermeister, der ganz sachte nickte, »und ich beschlossen, bereits jetzt mit Euch zu sprechen.«
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