Susanne Albers - Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt
ISBN: 978-3-7418-6618-0
Susanne Albers - Kiehlufer 125-129 - 12059 Berlin
http://www.susannealbers.de
1. Erster Anfall
2. Adoption
3. Dr. med. Arnold Blumenbach, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
4. Epi und Spasti
5. Blau angelaufen, 3 Anfälle im Schlaf
6. Kind im Gitterkäfigbett
7. Hamburg 1982, Alsterdorfer Anstalten bei Prof. Funke
8. In der Schule geschnitten, gemieden und gemobbt
9. 35km/h ohne Fahrradhelm
10. EC-Jugendbund oder Diskothek
11. Reizklima Nordsee und Schwarzwald
12. Achterbahn oder Wildwasserfahrt und 3D Kino
13. Trotz Anfall weiter Fahrrad gefahren
14. Alle beten für mich
15. 10 m und 300 m
16. Per Interrail nach Griechenland
17. Rauchen und Drogen
18. Berufswahl
19. Prof. Dr. med. Bettina Schmitz
20. Lucy und die Telepathie
21. Anfall am Steuer
22. Studium und viele Jobs
23. Doris und Carbamazepin
24. Lady Diana und Michael Jackson
25. Ich wollte Gott herausfordern
26. Chakren, Reiki und Bachblüten
27. Für 1,5 Stunden doppelt sehen
28. 15x die Nase gebrochen
29. 9 Minuten Nulllinie
30. Diagnose Epilepsie – was denn nun?
31. Erster Irakkrieg
32. Jens, mein treuer Fels in der Brandung, der immer für mich da gewesen ist
33. Jobablehnung nach Bewerbungsgespräch im Bundesministerium für Verkehr
34. Tina Turner
35. Suizidversuch
36. Falsche Freunde
37. Realistische Träume
38. EEG Video Monitoring
39. Gehirnblutung
40. Gesundheitsreform
41. Psychose 2004 und 2005
42. Epilepsie – Keppra – Psychose – Hand ab
43. Macht doof im Kopf
44. Ich habe einen Traum
Mein Name ist Susanne Albers. Ich wurde am 13. Februar 1965 im Krankenwagen zwischen Adendorf und Lüneburg geboren. Meine richtige Mutter wollte mich nicht, also kam ich für die ersten 10 Lebensmonate ins Kinderheim Wilschenbruch in Lüneburg. Zu Weihnachten 1965 adoptierten mich Klaus und Ursela Knoop aus Bardowick bei Lüneburg. Sie gaben mir so viel Liebe, als wäre ich ihr richtiges Kind.
Bardowick bedeutet für mich persönlich eine wundervolle, aber angepasste Kindheit, eine schwierige Jugend und ein wehmütiges Klagen aus der Riesenstadt Berlin zu so einem schönen und beschaulichen Dorf.
Wenn ich ganz früh anfange, dann waren wir viele Kinder, deren Mütter Hausfrauen waren, und deren Väter zur Arbeit gegangen sind. Wir hießen Annette, Karin, Ina, Tucky, Monika, Antje, Doris, Lolli, Jörg, Werner, Uwe, Karina, Franziska, Stefan, und Susanne.
Und wir wohnten alle in einer Straße, sind nahezu gleichzeitig zur Schule gekommen und kennen uns heute noch, wenn wir jeweils Ostern oder Weihnachten unsere – wenn überhaupt noch lebenden Eltern und eventuell den Gottesdienst im Dom besuchen. Und all die anderen Kinder aus den Nachbarstraßen erwähne ich nicht, sonst wird die Liste zu lang.
Aufgrund der örtlichen Lage gab es außer der üblichen Warnung vor einem "Mitschnacker", also einem Sexualstraftäter der sich an Kinder heran machte, so gut wie keine Gefahren. Wir konnten frei auf der Straße herumlaufen, denn diejenigen, die dort mit dem Auto fuhren, waren fast ausnahmslos unsere eigenen Eltern. Innerhalb von zwei Minuten waren wir im Wald, auf dem Feld, oder an einem Teich der sich Bühringsmoor nannte und konnten machen was wir wollten.
Für uns war zum Beispiel eine typische Einschränkung: "Wenn ihr im Wald Baumhäuser oder Höhlen bauen wollt, dann dürft ihr keine Nägel in die Bäume schlagen". Außerdem gab es die Auflage, nicht zu nahe an Klein - Bühringsmoor heranzugehen, weil dort eine echte und in dem Sinne gefährliche Moorlandschaft war. Wenn wir abends nach Hause sollten, dann sagten uns unsere Eltern: "Du kommst dann nach Hause, wenn Lolli's Mutter ihn rein ruft". Das funktionierte total prima, denn die Stimme der besagten Mutter reichte kilometerweit.
Und zur Entlastung der einzelnen Mütter haben wir an einem Tag im Garten von Familie X gespielt und am nächsten Tag war dann der Garten von Familie Y dran.
Sicherlich haben wir uns genauso gestritten, wie alle anderen Kinder auch, aber unsere Eltern hatten dafür einen prima Trick bereit. Wenn ich zu meiner Mutter ging und herumzeterte, dass Annette mich geärgert hatte, bekam ich als Antwort: "geh zu Annette und vertragt Euch wieder". Als ich erwachsen war, habe ich sie mal gefragt, warum sie niemals Partei ergriffen hat. Darauf antwortete sie: "Ich bin doch nicht blöd, ihr habt Euch doch schon lange wieder vertragen, während wir uns dann mit den Nachbarn streiten."
So hätte die Kindheit bis zur Jugend und zum Erwachsen werden für mich weiter gehen können. Dem war aber nicht so:
Im Sommer 1976 waren Annette und ich mit etwa 10 christlichen EC-Jungschar Kindergruppen während der Pfingstferien zu einem Zeltausflug in der Lüneburger Heide. Am frühen Morgen eines der ersten Tage sagte Annette zu mir, dass während der Nacht etwas Beängstigendes und Merkwürdiges mit mir geschehen sei. Ich hätte mich mitten in der Nacht krampfend und keuchend um die Zeltstange in der Mitte des Zeltes gewunden; dabei sei Speichel aus meinem Mund geflossen und ich hätte mich sehr komisch verhalten, fast so, dass man Angst bekommen könnte. Annette sei davon aufgewacht. Ich konnte mir das nicht erklären, habe es kaum geglaubt. Es sollte ein Geheimnis bleiben, wir wollten niemandem davon erzählen, weder den Gruppenleitern, noch unseren Eltern.
Das war dann also mein 1. Anfall. Da dieser Pfingstausflug aber noch viele weitere, schöne Überraschungen parat hielt, dachte ich kaum noch daran, obwohl Annette besorgt schien, und beteiligte mich an den Gruppenaktivitäten. Es war doch alles so aufregend und schön.
Es dauerte nicht lange. Ich hatte mich gründlich getäuscht, ja es fast vergessen, denn schon kamen weitere Anfälle, dieses Mal in Gegenwart meiner Eltern.
Ab dem Moment setzte in unserer kleinen Familie für einige Momente die Schockstarre ein.
Meine Eltern waren in höchster Sorge und brachten mich zum Hausarzt Dr. Brunswig, dessen Praxis etwa 3 km von unserem Haus entfernt war. Er war ein außerordentlich umsichtiger Arzt, der meine Eltern über das Nötigste aufklärte und ihnen empfahl, mit mir zum Neurologen und Psychiater Dr. Blumenbach ins 10 km entfernte Lüneburg zu fahren. Hier darf man nicht vergessen, dass wir das Jahr 1976 schreiben, in einem 4000 Einwohner Dorf namens Bardowick, dass in seiner Urstruktur vom Gemüseanbau lebt und wo sich seit Kriegsende weiteres Gewerbe angesiedelt hat.
Ein Kind – ja ein vor 10 Jahren adoptiertes Kind – zu haben, das Anfälle hat, das war sehr schwer zu verkraften.
Meine "richtige" Mutter, Wiltraud jetzt G. früher M. geb. S. aus Adendorf brachte mich am 13.2.1965 um 21:00 Uhr im Krankenwagen zur Welt und gab mich anschließend sofort zur Adoption frei. Mein richtiger Vater heißt Klaus W. und kommt aus Winsen/Luhe. Mein Vater hat 2 eheliche Kinder, die Constanze und Andreas heißen, und ein weiteres uneheliches Kind mit dem Namen Thorsten W. gezeugt.
All das weiß ich seit 1989, weil mir das erst die Amtspflegschaft und danach das Standesamt in Lüneburg einfach so am Telefon erzählt haben. Seine Telefonnummer habe ich auch. Angerufen habe ich nie.
Dann kam ich für die nächsten 10 Monate in Lüneburg ins Kinderheim Wilschenbruch.
Zu der Zeit lagen ca. 20 Babys in einem großen Saal und wurden vielleicht von 2 oder 3 Schwestern betreut. Es gab einen Zeitplan zum Windeln wechseln und zum Füttern.
Zum Kuscheln gab es keine Minute.
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