Sprach ich, »im Talgrund voneinander trennen.
Dort glühts, alsob es Feuer insich hätte.«
Und er: »In ihrem Schoß das ewige Brennen
Macht solche Röte diese Stadt gewinnen.
Bald läßt die untere Hölle dichs erkennen.« –
Einlenkten wir in tiefe Grabenrinnen,
Die jene hoffnungslose Stadt umschlangen.
Mir schienen eisern Mauerwerk und Zinnen.
Nicht ohne einen großen Umweg drangen
Wir dahin, wo des Fergen barsche Worte
»Steigt aus, hier ist der Eingang!« uns erklangen.
Himmelsverbannter sah ich an der Pforte
Tausend und mehr, und trotzig schrien die Frechen:
»Wer ists, der in des toten Volkes Orte
Als Unverstorbner wagt dreist einzubrechen?«
Mein weiser Meister aber gab ein Zeichen,
Er wolle insgeheim mit ihnen sprechen.
Da mocht ihr großer Grimm ein wenig weichen.
Sie riefen: »Komm allein; doch den laß fliehen,
Der vorlaut sich gedrängt zu unsern Reichen.
Allein soll er die Narrenstraße ziehen
Nach Haus, wenn es ihm glückt! Doch du wirst bleiben,
Der ihm ins Nachtgefild Geleit verliehen.«
Ob mich der Mut verließ: muß ichs beschreiben,
O Leser, bei so schnöder Worte Klange?
Wer würde meine Heimkehr hier betreiben?
»O teuer Führer, der mich, wenn mir bange,
Schon siebenmal und öfter hat beschwichtet
Und mich entriß dem unheilvollsten Zwange,
Nicht laß mich,« bat ich, »sonst bin ich vernichtet.
Und ists verwehrt uns, weiter vorzudringen,
Sei schnell auf Rückkehr unser Sinn gerichtet.«
Doch jener Herr, befugt mich herzubringen,
Sprach zu mir: »Fürchte nichts; denn unsere Reise
Hemmt keiner, läßt uns höhere Macht gelingen.
Drum harre hier, und neu mit Hoffnung speise
Den schwachen Mut; denn nie wird es geschehen,
Daß ich dich lasse hier im tiefen Kreise.«
So geht er hin und läßt mich einsam stehen,
Der holde Vater; und in Zweifelsbangen
Laß durch den Kopf ich Ja und Nein mir gehen. –
Nicht konnt ich hören, was dort vorgegangen;
Doch lang nicht blieb er stehen zu kurzem Worte,
Als alle in die Stadt im Wettlauf sprangen.
Die Widersacher schlugen zu die Pforte
Dicht vor des Meisters Brust. So ausgeschlossen,
Kam langsam er zurück zu mir am Orte,
Gesenkten Blicks, dem aller Mut entflossen.
»Wer ists, der mir zu wehren sich gelüste
Des Jammers Haus?« So seufzt er leis-verdrossen.
Und dann zu mir: »Ob ich mich auch entrüste,
Erschrick nur nicht; denn ich besteh die Proben,
Wie man dadrin sich auch mit Abwehr brüste.
Alt ist solch Trotz! Man sah bereits ihn toben
An einer weniger-geheimen Pforte,
Vor die seitdem kein Riegel ward geschoben:
Du sahest über ihr die Todesworte.
Und diesseits schon den Abhang niederschreitet,
Der keinen Führer braucht durch diese Orte –
Solcher, der Zutritt uns zur Stadt bereitet.«
Des Kleinmuts Blässe, die mein Antlitz deckte,
Als ich den Führer sah so traurig kehren,
Trieb ihn, daß er die eigene Furcht versteckte.
Er horchte aufmerksam, alsob belehren
Das Ohr ihn sollte, weil nicht in die Weite
Das Auge drang, dem Dunst und Qualm zu wehren.
»Nur uns allein gebührt der Sieg im Streite,«
Begann er, »wenn nicht ... darf ich auf ihn pochen?
Wie lang doch währts bis Er an meiner Seite!«
Ich sah wohl, daß er sich nur unterbrochen,
Um mir den Schlußgedanken zu verdecken,
Denn anders klang, was er zuerst gesprochen.
Gleichwohl ließ mich sein Selbstgespräch erschrecken;
Denn in dem Satze, den er jäh durchschnitten,
Sah Schlimmres als er selbst mein Argwohn stecken.
»Hat je des Qualenkessels Grund beschritten
Von denen einer, die im ersten Kreise
Getäuschter Hoffnung Strafe nur erlitten?«
So fragt ich. »Nur sehr selten,« sprach der Weise,
»Geschahs, daß unsereiner ward erkoren,
Den Weg zu wandern, den ich jetzt durchreise.
Zwar ich ward einmal schon hierherbeschworen.
Durch der Erichtho grausige Zaubereien,
Die Tote weckt, schritt ich zu diesen Toren.
Kaum ließ mein Tod sich Fleisch und Geist entzweien,
Als sie mich hergesandt zu diesen Mauern,
Um einen Geist Judeccas zu befreien,
Des tiefsten Ortes, dessen finstern Schauern
Zufernst ums All des Himmels Räume schwingen.
Vertraut ist mir der Weg, drum laß dein Trauern.
Von einem Sumpf, draus ekle Dünste dringen,
Ist dieser Schmerzenswohnort rings umwunden,
Zu dem nur Zorn uns Einlaß kann erzwingen.«
Was er noch sprach, ist meinem Sinn entschwunden,
Weil mir der hohe Turm, starr hinzuschauen
Zur Zinnenglut, das Auge hielt gebunden,
Wo plötzlich, steil emporgereckt zum Grauen,
Drei blutbefleckte Höllenfurien standen:
Glieder und Haltung ganz wie Erdenfrauen,
Nur daß die Hüften grüne Hydern banden
Und daß, wo Haare sonst das Haupt umspinnen,
Sich Natternbrut und Vipern grausig wanden.
Und er, dem wohlbekannt die Dienerinnen
Der Königin niemals-ausgeweinter Zähren,
Er rief: »Sieh da die schrecklichen Erinnen!
Rechts weint Alekto, links siehst du Megären,
Dazwischen ist Tisiphone zu schauen.«
Und er verstummte mitten im Erklären.
Die Brust zerriß sich jede mit den Klauen,
Und zu der Fäuste Schlagen scholl ihr Brüllen,
Daß ich mich eng am Dichter hielt vor Grauen.
»Er werde Stein! Laß uns dein Haupt enthüllen,
Medusa,« kreischten sie und stierten nieder,
»An Theseus endlich Rache zu erfüllen!« –
»Dreh dich und drück aufs Auge fest die Lider,
wenn es bei Gorgos Anblick offenstände,
Du kehrtest niemals heim nach oben wieder!«
So rief Vergil, der – daß er selbst mich wände –
Sich eilte und zum Schutze des Gesichtes
Auf meine Hand noch legte seine Hände. –
Ihr, deren Geist sich freut gesunden Lichtes,
Bedenkt die Lehre, die mit Schleiers Hülle
Den Sinn bedeckt des seltsamen Gedichtes! –
Schon überflog ein dröhnendes Gebrülle
Die trüben Wogen so, alsob vor Grausen
Ein jedes Ufer tiefer Schreck erfülle.
Es klang wie Sturmwind, der mit zornigem Brausen
Bekämpft die Lüfte, die zuheiß-erglühten,
Der durch die Waldung rast mit wildem Sausen,
Äste knickt, abreißt, mitsichführt im Wüten,
Und staubaufwirbelnd stolz durchfegt die Aue,
Daß bang die Herden fliehn und die sie hüten.
Mein Auge gab er frei und sprach: »Nun schaue
Dein Sehnerv hin zum abgestandenen Schaume,
Dort, wo am beißendsten der Qualm, der graue.«
Wie Frösche angstvoll aus des Sumpfes Raume
Vor ihrer Feindin Schlange jäh zerstieben
Und eng sich kauern an des Ufers Saume,
So sah ich tausend Seelen angstgetrieben,
Ja mehr, vor einem fliehn, dem beim Durchschreiten
Des grausen Styx die Sohlen trocken blieben.
Die linke Hand bewegte er zuzeiten,
Daß er den dicken Dunst vom Antlitz bannte,
Denn das nur schien ihm Unmut zu bereiten.
Wohl merkt ich, daß der Himmel ihn entsandte,
Zum Meister kehrt ich mich; doch auf sein Zeichen
Ich stummen Neigens Ehrfurcht ihm bekannte.
Ha! wie er schien vor Unmut zu erbleichen.
Er trat ans Tor und schlugs mit einer Rute:
Aufsprangs, denn jedes Hemmnis mußte weichen.
»Himmelsverbannte, ewigen Trotz im Blute,«
Begann er auf der fürchterlichen Schwelle,
»Was führt euch zu so tollem Übermute?
Was trotzt dem Willen ihr von höchster Stelle,
Der, eurer lachend, stets sein Ziel gefunden,
Und euch ward mehrmals neuen Schmerzes Quelle?
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